Das Altpapier am 7. Dezember 2018 Journalisten, hört die Signale

Stell Dir vor, in Deutschland werden jede Woche Journalisten angegriffen, und keinen interessiert's. Ein Altpapier von Juliane Wiedemeier.

Ein bisschen enttäuscht bin ich schon. Da macht die Bild-Zeitung sich seit Wochen so große Mühe, den ihr genehmsten Kandidaten für den CDU-Vorsitz im Rahmen ihrer Möglichkeiten ins Amt zu schreiben, wie das Bildblog dokumentiert. Und was fällt ihr am entscheidenden Tag für die Titelschlagzeile ein?

"Mops aus Versehen eingeschläfert"

Allerdings haben andere Titel-Macher an diesem Morgen ihre Kreativität ebenfalls für die morgige Ausgabe aufgespart (FAZ: "Nach Schäubles Merz-Vorstoß wirbt Altmaier für Kramp-Karrenbauer" / SZ: "Entscheidung im Dreikampf" / taz, immerhin: "Die Anti-AKK-Bewegung").

Bitte gehen Sie weiter: Hier gibt es nichts zu sehen.

Auch in Deutschland verfügbar: Alltägliche Gewalt gegen Journalisten

Sätze, die hingegen knallen:

"Es gibt leider sehr sehr viele (Anlässe) (…), wo es Angriffe gab, tätliche Angriffe auf unsere Journalisten. Es ist eigentlich eine nahezu wöchentliche Erfahrung bei Ereignissen, wo Menschen zusammenkommen, vor allem im Osten Deutschlands. (…) Man sollte sich immer - und das tun wir längst - als Fotograf nur noch in Gruppen bewegen mit anderen Agenturfotografen."

Das erzählt dpa-Chefredakteur Sven Gösmann im Gespräch mit Henning Hübert vom Deutschlandfunk'schen Medienmagazin "@mediasres". Anlass ist eine Resolution "zur Wahrung der Freiheit der Berichterstattung in Deutschland", die der Aufsichtsrat der dpa gestern verabschiedet hat, und in der es heißt:

"In großer Einigkeit und nachdrücklich fordert der dpa-Aufsichtsrat die Einhaltung der gesetzlich geschützten Pressefreiheit und Unversehrtheit der Berichterstatter. Bedrohungen wie etwa in Chemnitz am letzten August-Wochenende 2018, als Fotografen von dpa und Zentralbild von Sympathisanten der AfD, Pegida oder der Identitären Bewegung körperlich angegriffen und rüde beschimpft wurden, ohne auf einen entsprechenden Schutz der polizeilichen Einsatzkräfte setzen zu können, seien ebenso in keiner Weise hinnehmbar wie vergleichbare Vorkommnisse am Rande weiterer Demonstrationen sowie in Fußballstadien".

Ja, genau, ich wiederhole: In Deutschland werden fast jede Woche Journalisten, die ihren Job zu machen versuchen, körperlich angegriffen - sowohl bei Demonstrationen als auch bei Fußballspielen. Im Stadion von Dynamo Dresden habe sich etwa unter den Zuschauern ein Spiel namens "Triff das Journalistenschwein" etabliert, bei dem es gelte, die Fotografen am Spielfeldrand mit Münzrollen zu bewerfen, berichtet Gösmann bei "@mediasres". Die Polizei schaue sich solche Vorfälle gerne schulterzuckend an oder gleich ganz weg.

"Erstmal muss man sich bewusst machen, dass hier die Freiheit der Berichterstattung und damit ein grundgesetzlich geschützter Fakt in Gefahr ist",

sagt er.

IN DEUTSCHLAND - kennen Sie, ist das Land mit Erfahrungen im Führen einer Reichsschrifttumskammer und ins KZ verschleppter Journalisten - IST DIE GOTTVERDAMMTE PRESSEFREIHEIT IN GEFAHR 1ELF1111!!!

Und nun schauen wir uns das großartige Presseecho darauf an:

Da hätten wir die Pressemeldung der dpa, deren Republizierung bei tagesspiegel.de ("Unternehmensnachrichten präsentiert von Presseportal", gekennzeichnet als Anzeige), eine 400-Zeichen-Meldung bei Meedia, besagtes "@mediasres"-Interview - und dann: nichts. Nicht mal ein Hinweis bei Turi2.

Nun gut. Die dpa hätte ihrer Pressemeldung eine ansprechendere Überschrift verpassen können als "dpa-Aufsichtsrat fordert besseren Schutz von Journalisten bei Demonstrationen", und die Aufzählung der Mitglieder des besagten Rates vor die Resolution zu setzen war sicher auch die nicht allerbeste Idee. Aber ist es nicht der Job von Journalisten, bei der Durchsicht des Pressematerials die wirklich wichtigen Themen zu erkennen und dann nachzufragen, wenn der Eindruck hängen bleibt, dass die eigentliche Geschichte noch freizulegen und zu erzählen ist?

Wissen Sie was? Ich bin so müde der Erfahrung, dass sich die Kollegen diese Mühe nicht mehr machen wollen oder können (Zeitdruck, Contentdruck, I know the drill) - nicht einmal, wenn es in ihrem ureigensten Interesse liegt.

Ich finde es maximal verstörend, dass sich Journalisten in Deutschland bei Großereignissen aus Selbstschutz nur noch im Pulk zu bewegen wagen.

Ich mag nicht hinnehmen, dass die Polizei sich das Spektrum von Pöbelei bis Gewalt schulterzuckend anschaut - übrigens egal ob Journalist oder nicht: Da werden Menschen angegangen, und das ist echt nicht okay. Verdammte Axt!

Und ich frage mich, warum sich jenseits unserer Medienmedienblase jemand für dieses Problem interessieren sollte, wenn wir selbst es nicht einmal tun?

*Sie sahen eine bewusste Schwerpunktsetzung. Alles andere ist heute im

Altpapierkorb (Facebook, Hurriyet.de, Zeit-Chefs, Deutschlandfunk Nova, "Dogs of Berlin").*

+++ Daten sammeln, Konkurrenz ausschnüffeln, Gewinne scheffeln: Wer diese Mantren der Facebook'schen Unternehmensführung, die die gestern hier schon angesprochene neueste Veröffentlichung von Mails aus dem Zuckerbergschen Universum offenbaren, in deutscher Sprache rekapitulieren möchte, kann das mit Jannis Brühl und Hakan Tanriverdi bei sueddeutsche.de tun. Die knapp 250 Seiten Original-Leak finden sich hier zum Download.

+++ Facebooks Algorithmus-Änderung hin zu mehr Freundes-Inhalten führt zu maximalen Traffic-Einbrüchen bei allen Medien, außer denen am rechten Rand, hat Jens Schröder für Meedia ermittelt.

+++ Hätten Sie's gewusst? Hürriyet gibt es nun auch auf Deutsch. Für Spiegel+ hat sich Ulrike Simon von Redaktionsleiter Chris Ehrhardt von hurriyet.de erzählen lassen, er wolle "keine Meinung, keine Suggestion, keine Emotion" verbreiten. "Es gehe um pure Nachrichten und darum, ein realistisches Bild der Türkei zu zeichnen." Konkret bedeutet das, dass die Meldung vom weiteren Haftbefehl gegen Can Dündar wegen vermeintlicher Organisation der Gezi-Proteste 2013 von der dpa übernommen wird, während sich eine Autorin um die "fünf schönsten Wanderwege der Türkei" gekümmert hat.

+++ Fast ein Drittel der freien MitarbeiterInnen öffentlich-rechtlicher Sender hat im Berufsleben Diskriminierung erlebt. Dieses - und weitere - Ergebnisse einer Befragung im Auftrag der Bundestagsfraktion der Linken und der Rosa-Luxemburg-Stiftung fasst Jürn Kruse in der taz zusammen. "Freie, womöglich immer schlechter bezahlte Beschäftigte, deren Interessen dar­über hinaus nicht stark genug in den Häusern vertreten werden, sind anfälliger, Diskriminierungen über sich ergehen zu lassen", meint er zudem.

+++ Öffentlich-rechtliche Auftragsdebatte gefällig? "Der Markenkern Unterhaltung (einschließlich Sport) soll (selbstredend) weiterhin zum Angebotsauftrag gehören, aber nicht den Schwerpunkt bilden." Dass die Politik entsprechende Ansagen machen dürfe, argumentiert in der aktuellen Ausgabe epd medien der Leipziger Medien- und Verfassungsrechtler Hubertus Gersdorf (derzeit nicht online).

+++ Es hat gedauert, aber nun konnte sich die Politik doch auf Markus Söder und Dietmar Woidke als neue Mitglieder im ZDF-Verwaltungsrat einigen, der nun wieder komplett ist, berichtet Volker Nünning in der Medienkorrespondenz.

+++ "Eine ganz zentrale Entwicklung ist die Entbündelung der klassischen Lese-, Seh- und eben auch Hör-Medien, die eingespielte Geschäfts- und Nutzungsmodelle erodieren lässt. Gerade Radio aber kann von der immer besseren Verfügbarkeit von Medieninhalten besonders profitieren." Das ist nur eine Erkenntnis von Altpapier-Kollege Christian Bartels in seiner aktuellen evangelisch.de-Kolumne, für die er sich ausführlich mit Deutschlandfunk Nova auseinandergesetzt hat.

+++ Die Zeit-Verlagsgruppe sortiert um und macht Giovanni di Lorenzo zum Vorsitzenden aller Chefredaktionen und beruft Onliner Jochen Wegner zudem zum Mitglied der Zeit-Chefredaktion (Pressemitteilung). "Die Idee ist, dass Giovanni das bunte redaktionelle Treiben in unserem Verlagshaus etwas besser ordnet. Ich werde versuchen, die Verzahnung zwischen Print und Online weiter zu verbessern und die recht erfolgreiche Zusammenarbeit bei Z Plus auszubauen", erklärt Letzterer im dazugehörigen Interview mit Roland Pimpl bei Horizont. Wer sich für Personalien im Hause Spiegel interessiert, wo ebenfalls zwischen Print und Online verzahnt werden soll, kann diese etwa bei Meedia nachlesen.

+++ In Ungarn geht die Pressefreiheit weiter den Bach hinunter, nachdem Ministerpräsident Viktor Orban die Prüfung eines Zusammenschlusses von 400 eh schon regierungsnahen Medien zu einer Stiftung durch das Kartellamt verhindert hat (tagesschau.de).

+++ "Keine Frage: 'Dogs of Berlin' ist fabelhaft fotografiert, das Soundengineering exzellent, der Cast sowieso. Gaststars der lokalen Rap-Szene machen es authentisch. Dennoch bleibt die erste Staffel von raffinierten Milieustudien wie '4 Blocks' weiter entfernt als Constantin von Jascharoff als Kurts Feind im eigenen Haus vom plausiblen Cop", urteilt Jan Freitag im Tagesspiegel über den neuesten, deutschen Netflix-Zugang. "Immer dann, wenn es nicht um Möchtegern-Gangster geht, ist Dogs of Berlin am stärksten", meint Kathrin Hollmer auf der SZ-Medienseite. Für die FAZ () hat Bert Rebhandl Regisseur Christian Alvart interviewt.

+++ Das Krautreporter-Vorbild De Correspondent zieht es als The Correspondent in die USA, schreibt Adrian Lobe in der Schweizer Medienwoche.

Das nächste Altpapier erscheint am Montag. Schönes Wochenende - und bleiben Sie unversehrt.