Das Altpapier am 29. März 2019 What Would Peter Lustig Do?

Facebook sorgt für mehr Transparenz bei politischer Werbung – zumindest ein bisschen, irgendwie. Die AfD braucht Mathe-Nachhilfe und deutsche Journalisten selbige im Fach Recherchieren. Auch ohne Brexit bringt der 29.März Abgänge mit sich. Schöner Rezensieren mit IMDb. Ein (letztes) Altpapier von Juliane Wiedemeier.

Die Antwort lautet: Nichts. Zumindest vorerst. Gut, sie stimmen noch mal ab. Aber für Ergebnisse steht das schon lange nicht mehr.

Seit mittlerweile Jahren, und seit vielen Monaten intensiv, stellen Medien die Frage, was am 29. März passiert, wenn Großbritannien die EU verlässt bzw. verlassen will bzw. vielleicht doch nicht. Nun ist das Datum, dessen Ins-Hirn-Gebrannt-Sein es mit dem 1. Januar 2000 (Wir werden alle sterben – oder zumindest unsere Computer und EC-Automaten!) und dem 25. Mai 2018 (DSGVO! Btw, lange nichts mehr gehört seitdem. Außer natürlich bei Netzpolitk.org) aufnehmen kann, und wir wissen immer noch nicht mehr, als dass diese Kombination aus politischem Dilettantismus und Medienhype keine gute ist.

– Sie erkennen schon: Wir schlagen heute die großen Bögen. –

Die gute Nachricht ist jedoch, dass sich sogar aus Clusterfucks etwas lernen lässt, was heute ausgerechnet Facebook beweist, zumindest vermeintlich.

Um 0 bis 24 Uhr ist die Werbe-Bibliothek, bislang etwa in den USA und Brasilien verfügbar, auch für Deutschland online gegangen.

“Die Bibliothek enthält Daten zu sämtlichen aktiven und inaktiven Anzeigen, bei denen es sich um Wahlwerbung oder Werbung zu Themen von nationaler Relevanz handelt und die seit März 2019 geschaltet wurden. Wir speichern alle diese Werbeanzeigen sieben Jahre lang in der Bibliothek“,

informiert das Unternehmen auf der Website. Im Vorfeld der Europawahl soll so für mehr Transparenz im Anzeigen-Dschungel gesorgt und zudem die Beeinflussung durch zwielichtige Gestalten mit großem Werbebudget und Facebook-Zugang erschwert werden.

Zur gleichen Zeit stellte sueddeutsche.de das passende Erklärstück von Max Muth auf die Seite:

“Wer künftig auf Facebook oder Instagram werben will, muss sich registrieren. Dazu müssen Bewerber entweder einen Ausweis oder ein anderes beglaubigtes Dokument vorlegen, das beweist, dass sie aus dem betreffenden Land kommen. Werbende dürfen zudem nur Anzeigen in dem Land schalten, für das sie auf diese Weise autorisiert worden sind. So soll Wahlbeeinflussung aus anderen Ländern verhindert werden. Ab Mitte April will das Unternehmen anfangen, Wahlwerbung von nicht registrierten Unternehmen, Agenturen und Personen zu blockieren.“

Die Bibliothek ist für alle einsehbar, sogar für Menschen ohne Facebook-Account, sodass nun jeder nachvollziehen kann, dass die AfD bislang zwei Posts von ihrem zentralen Account beworben hat, die CDU keinen und die SPD etwa 550. (Bedürftigkeit, ick hör Dir trappsen.) Wer mehr wissen will, kann sich zudem über eine Datenschnittstelle (API) auch größere Infomationspakete beschaffen. Zumindest in der schönen, neuen Theorie.

Muth von sueddeutsche.de zitiert dazu den Wissenschaftler Damon McCoy von der New York University, der die US-Version des Archivs zu den Kongresswahlen durchforscht hat und sagt:

“'Die Facebook-API ist nicht für die Transparenz ausgelegt, die Facebook jetzt bieten will. Sie hat eine Menge Beschränkungen, es gibt ein Zeitlimit, ein Mengenlimit und dann noch ein Rechenlimit.’ Das mache es schwierig, große Datenmengen zu bekommen.

Außerdem hätten Untersuchungen gezeigt, dass Facebook Werbende zwar auffordert, ihre Identität anzugeben, diese dann aber nur sporadisch überprüft. (…) Facebook räumt ein, dass die Identifikationsmethode nicht absolut fälschungssicher ist, man wolle es Manipulatoren aber so schwer wie möglich machen.“

Facebook fährt also weiter die Strategie, vorzutäuschen, es habe das erschaffene Monster noch irgendwie im Griff.

Moment, hatte ich nicht gute Nachrichten versprochen?! Stimmt, die gibt es, und zwar ausgerechnet in Form von “Taking back control“. Man muss ja nicht bei Facebook sein, wissen wir vom Altpapier längst und sieht nun auch der ORF so. Zum 1. April schaltet der Sender zumindest einen Teil seiner Facebook-Seiten ab. In einer ausführlichen Begründung auf seiner Website erklärt er den Datenkraken zum schwierigen Biotop für seriöse Nachrichtenmedien:

“(E)in Kooperationspartner, der gleichzeitig Konkurrent ist, der seine Spielregeln nicht kommuniziert und ständig ändert – und wo mittlerweile tendenziell jene die besseren Karten haben, die auf Emotionen setzen, Affekte bedienen und Empörung bewirtschaften.

Dass Facebook darauf sein Geschäftsmodell aufbaut und Reichweite verkauft, ist einem kommerziell ausgerichteten Konzern an sich nicht vorzuwerfen. Aber das Netzwerk ist damit eben keine neutrale Plattform. Irgendwann stellt sich die Frage für ein Nachrichtenmedium, welchen Nutzen ein Facebook-Auftritt hat – und was man dafür in Kauf nehmen muss.“

Abschalten! So zieht man Monstern auch den Stecker. The big things stay the same until we make: Little changes.

Journalismus retten? Gar nicht so schwer!

Von hier zurück zu den großen Bögen und der beliebten Frage: Was könnte den Journalismus und seinen Ruf retten? Die heutige Nachrichtenlage bietet dazu drei Ansatzpunkte

1. Informationen hinterfragen

Wie schwer das manchen fällt, dröselt Panajotis Gavrilis bei “@mediasres“ am Beispiel einer Kleinen Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag auf. Diese hatte sich erkundigt, wie viele Menschen in Deutschland Integrationskurse besuchen und wie viele diese erfolgreich abschließen. Die Antwort für das Jahr 2018: 202.000 bzw. 109.000, woraus die AfD eine Durchfaller-Quote von 45 Prozent errechnete. Was falsch ist, weil die Leute, die einen solchen Kurs innerhalb eines Jahresverlaufs beginnen, nicht Dieselben sind wie diejenigen, die ihren Kurs im selben Zeitraum beenden.

Der Neuen Osnabrücker Zeitung war das nicht nur egal; sie verbreitete diese ihr von der AfD zugetragene Information auch noch stolz per Pressemitteilung weiter, worauf sie ungefähr überall landete.

Dazu “@mediasres“:

“Das sei kein Glanzstück des Journalismus gewesen, kritisiert der Migrationsforscher Herbert Brücker: 'Das gilt leider für große Teile der deutschen Presse und es gilt auch für die Agenturen, die das erst sehr spät richtig gestellt haben. Das heißt, es ging den ganzen Vormittag, praktisch den ganzen Tag lang, gingen diese falschen Zahlen durch die Medien, werden entsprechende Spuren hinterlassen haben. Da denke ich, wäre es eine vornehme Aufgabe der Journalisten gewesen, das seriös zu recherchieren und richtigzustellen.’“

Vornehm? Die!

2. Informationen mehr Platz einräumen

Gehen wir davon aus, dass das mit der Recherche und dem Job-Gut-Machen klappt. Dann wäre es schön, den erlangen Informationen zwischen all den mies kennzeichneten Anzeigen, Meme-Nacherzählungen und Kroatien-Krimis auch den gehörigen Platz einzuräumen.

Beim ZDF hat man das als Option erkannt und verlängert das “Heute Journal“ am Sonntag auf die unter der Woche üblichen 30 Minuten.

Timo Niemeier zitiert dazu bei DWDL Redaktionsleiter Wulf Schmiese:

“In politisch unsicheren Zeiten wollen die Menschen verlässliche Einordnung. Wie die sehr guten Quoten des 'heute-journals’ zeigen, die in den letzten zwei Jahre weiter gestiegen sind, sind wir offenbar recht erfolgreich im Vermitteln und Erklären von Nachrichten. Sonntags haben wir besonders viele Zuschauer“.

Das Erste hat derweil sein “Nachtjournal“ am Freitag komplett gestrichen und möchte bei den 15 Minuten “Tagesthemen“ am Freitag bzw. 20 am Sams- und Sonntag verbleiben. (Ich bin die Einzige, die sich 30 Minuten “Tagesschau“ mit mehr Hintergrundinfos um 20 Uhr wünscht, oder?)

3. Informationen zeitgemäß aufbereiten

Wir schreiben das Jahr 45034 seit Erfindung des Internets (gefühlt), und deutsche Verlage so: Das funktioniert doch sicher wie Print! Hat zumindest Franz Sommerfeld am Beispiel der frisch gerelaunchten App der FAZ beobachtet.

“Die F.A.Z. Edition beinhaltet alle Artikel aus der Zeitung – zusätzlich multimedial angereichert, z.B. mit Videos“,

bewirbt die Zeitung selbst ihr Angebot

Sommerfeld bei Meedia:

“Anders als bei der New York Times und der Washington Post sowie in Deutschland auch der Welt ist das gesamte redaktionelle Denken auf die Erstellung der Papierzeitung ausgerichtet. Digital wird als ein zusätzlicher 'Kanal’ missverstanden, mit denen die Leser auch noch beliefert werden können.“

Martin Baron, Chefredakteur der Washington Post, habe schon vor Jahren verstanden und ausgesprochen, dass das Internet ein komplett neues Medium mit komplett anderen, dialogorientierteren Möglichkeiten sei.

“Nichts davon ist in der neuen App. (…) Natürlich erfordert das einen Bruch in der Arbeitskultur von Zeitungsjournalisten, doch das Bewusstsein von der Krise könnte die Einsicht in die Notwendigkeit erleichtern.“

Könnte? Sollte! Müsste! Dringend! Nur dass halt, um ein Motiv vom Anfang aufzugreifen, immer noch nicht.


Altpapierkorb (Abschiede, Recherche im Bund, Rundfunkbeitrag in bar)

+++ Auch ohne Brexit (Stand 29. März) ist gerade Time to Say Goodbye: Ulrike Simon beendet ihre Kolumne bei Spiegel+ (ebenda), um in Zukunft – jetzt hätte ich bald “Geschichten“ geschrieben, aber ich meine natürlich hart recherchierte und gegengeprüfte Texte für das Nachrichtenmagazin Der Spiegel zu liefern, gedruckt wie digital. Offenbar vermisst man das Medienressort dort doch. Julia Reda hört bei den Piraten auf. Und für mich ist diese Ausgabe heute mein letztes Altpapier. Nach fünf Jahren ist einfach mal Zeit für Neues. Die geschätzten Kolleg:innen machen natürlich weiter, und wenn Sie mögen, können wir gerne Freunde bleiben.

+++ Auf 25 Jahre Reporter ohne Grenzen blickt Altpapier-Kollege Christian Bartels in seiner Kolumne bei evangelisch.de zurück.

+++ Einfach mal angesichts von Kursverlusten die Zeitung verklagen, die über Vorwürfe zu kriminellen Machenschaften des eigenen Managements berichtete: Kann man machen, Wirecard, berichtet u.a. Zeit Online. Betroffen ist die britische Financial Times.

+++ Ob deutsche Bargeldfreunde den Rundfunkbeitrag auch in Kleingeld bezahlen können, beschäftigt nun den Europäischen Gerichtshof (epd/Christmon).

+++ Verlage und öffentlich-rechtliche Sender können durchaus gut miteinander, zumindest recherchieren, thematisiert “@mediasres“.

++ “Inhaftierte Politiker" statt “politische Gefangenen“ soll der Fernsehsender Betevé aus Barcelona die Führer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung nennen, hat die spanische Wahlbehörde befohlen, berichtet auf der SZ-Medienseite Thomas Urban.

+++ Der Plan, weißen Nationalismus von Facebook zu verbannen, ist Thema für Axel Weidemann auf der Medienseite der FAZ.

+++ Bei ProSiebenSat1 wird um- und dabei die Streaming-Plattform 7TV ausgebaut, hat Volker Nünning für die Medienkorrespondenz aus der Bilanzpressekonferenz herausgelesen.

+++ Besser, aber noch nicht gut: Das Tldr zum Text von Dominik Speck zur Transparenz beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk im epd medien (derzeit nicht online).

+++ So kann die Rezension eines zur Amazon-Serie umgemodelten Films auch aussehen: Nur die Serie schauen und für den Vergleich mit dem Film IMDb konsultieren. Joachim Huber hat dieses Konzept für den Tagesspiegel auf “Hanna“ (“Wer ist Hanna?“ ist der Kinofilm von 2011) angewandt. Morgen dann: Gastrokritker rezitieren Yelp.

Das nächste Altpapier erscheint am Montag. Ich danke Ihnen fürs Mitlesen, immer wieder, bis ganz hier unten. Schönes Wochenende und auf bald in diesem Internet.