SUV mit Aufschrift "friday for future"
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Das Altpapier am 01.April 2019 Die Goldene Haltung

Mark Zuckerberg unterbreitet Regulierungsvorschläge fürs Internet. Spektakulär? Oder eine Nebelkerze? Bei der “Goldenen Kamera“ wird erst Greta Thunberg mit dem “Sonderpreis Klimaschutz“ geehrt, dann ein SUV verschenkt. Und die Ufa Fiction will den Fall Relotius verfilmen. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Wie viele Kommentare über “Fridays For Future“ und Greta Thunberg wären wohl erschienen, wenn die Klimaschutzdemonstrationen der Schülerinnen und Schüler nachmittags um 15 Uhr nach den Hausaufgaben stattfänden und nicht während der Unterrichtszeit? Ich sach’ ma’ ganz vorsichtig: ein paar weniger.

Klima ist sicher wichtig, aber zündet publizistisch häufig eher so mittel. Klima ist zu abstrakt und wirkt nicht lebensnah genug, um nicht doch irgendwie langweilig zu sein. Aber Schüler, die Freitag für Freitag schwänzen – wow! Das ist ein Zukunftsthema, dessen man sich dringend in 15.381 Veröffentlichungen annehmen muss!

Da kann man andererseits mal sehen, was ein kluges Demonstrationssetting bewirken kann. Im Spiegel, in der FAZ, bei “Anne Will“ – überall wird über den Hebel der Schulpflicht auch über Klimaschutz diskutiert. Interessant, dass eine Teenagerin, Greta Thunberg, die mit dem Protest begann, es hingekriegt hat, erstaunlich viele Leute derart weit auf die Palme zu bringen, dass sie nun nicht mehr herunterkommen.

Reinhard Müller in der FAZ, zum Beispiel. Er hätte dieser Tage um ein Haar die Zahlung von Rundfunkbeiträgen befürwortet, nur um ein Argument gegen die Schülerproteste zu haben.

“Warum nicht Kriechen auf den Straßen oder Rasen aus Protest gegen die Verkehrspolitik, das Verweigern von Steuerzahlungen als Zeichen gegen die Finanzpolitik? Zur Klimarettung sollte das doch erlaubt sein. Aber warum eigentlich nur aus Gründen des Umweltschutzes? Schwänzen für Europa? Das Verweigern der Rundfunkgebühr, weil das Programm nicht gefällt?“

Aber zum Glück – puh, die Welt steht noch! – ging der Absatz dann noch weiter. Irgendjemandem muss aufgefallen sein, dass das “Verweigern der Rundfunkgebühr, weil das Programm nicht gefällt“, unter Umständen wohl schon mal drin sein könnte. Weshalb der Kommentar also wie folgt fortgesetzt wurde: “In dem Fall gäbe es immerhin einen Zusammenhang. Der besteht zwischen Schulpflicht und Klimaschutz nicht unmittelbar.“ Die anschließende Verteidigung “nicht immer gewaltfreier“, aber eben doch “eindrucksvoller“ Proteste gegen “die atomare Bedrohung“ hat auch Pfiff.

Was bei der “Goldenen Kamera“ geschah

Freilich wird Greta Thunberg anderswo in den Medien auch sehr gelobt. Am Wochenende hat sie für ihr Engagement sogar die “Goldene Kamera“ erhalten: “Im weißen Kleid und in weißen Turnschuhen tritt sie aus den güldenen Kulissen der Gala, die wahlweise an das Studio 54 oder eine Schogettenpackung erinnern“, panoramat Claudia Fromme in der Süddeutschen Zeitung, die aber ihre Pappenheimer von den Medien gut genug kennt, um Gründe für die Preisvergabe erahnen zu können:

“Man kann sich genau vorstellen, wie sie bei der Funke Mediengruppe ganz rote Bäckchen bekommen haben, weil sie den ersten großen Medienpreis in diesem Jahr vergeben und die Konkurrenz vom Bambi (Burda) und Goldener Henne (auch irgendwie Burda) erst viel später dran ist, ebenso der Friedensnobelpreis, für den Thunberg nominiert ist. Eilends wird der 'Sonderpreis Klimaschutz‘ ausgerufen, und gleich wirkt die angestaubte Goldene Kamera viel frischer.“

Genau so kann man sich das vorstellen, na klar. Welche Haltung dahinter steckte – um eines der Journalismus-Buzzwords der Zeit zu verwenden –, konnte man sich am Samstagabend, nachdem die Preisverleihung im ZDF beendet war, aber auch vorstellen: dann doch eher so gar keine.

“Als die Tränchen für Greta längst getrocknet sind, wird der Nachwuchspreis an die Schauspielerin Milena Tscharntke verliehen. Neben einer Goldenen Kamera erhält sie noch einen Autoschlüssel für einen SUV.“

Greta Thunberg und einen SUV in einem Atemzug zu feiern, das war wirklich sehr originell, und auch Übermedien ist es aufgefallen, wo Greta Thunberg zudem mit dem schönen Satz zitiert wurde, wir würden in einer Welt leben, in der “eine Mediengala mehr Aufmerksamkeit bekommt als die größte Krise, vor der die Menschheit je stand“.

Da allerdings irrte sie – Meedia jedenfalls vermeldete im Rahmen des Mediendienstkerngeschäfts am Sonntag feierlichst einen “neuen Zuschauer-Minusrekord“. Aber vielleicht hat Thunberg einfach nicht geahnt, dass die Preisverleihung derart unterhaltungsarm sein würde. Drei statt veranschlagter zweieinhalb Stunden dauerte die Übertragung im ZDF, womit die Rückkehr von “Wetten, dass..?“ (Altpapier) stilecht vorbereitet wäre. Um ein Haar hätte ich angefangen zu bügeln.

Anschließend kam das “heute journal“, dessen Redaktion der Tagesspiegel aus Gründen (Altpapier vom Freitag) besucht hat, und Autor Jan Freitag hat diesen Satz von Claus Kleber dabei eingefangen: “Wer langweilt, kann nicht informieren“. Und wenn das ZDF jetzt noch wüsste, dass, wer langweilt, vor allem nicht unterhalten kann, wäre es auch nicht verkehrt.

Mark Zuckerbergs Regulierungswünsche

Wollen wir nun aber mal zum obersten Langweiler und Unterhalter Nummer 1 kommen? Bitte, gern, es gibt Neues von Facebook: Mark Zuckerberg fordert eine Regulierung des Internets.

Ja, klar, es ist der 1. April. Aber es ist ernst, der entsprechende Text erschien nämlich schon am 31. März.

In einem Gastbeitrag, der unter anderem in der Washington Post und in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung veröffentlicht wurde (wo er online derzeit hinter der Paywalls steht), der aber auch auf loginfrei zugänglichen Seiten wie dem Facebook-Newsroom zu lesen ist, schlägt Zuckerberg vor, “eine weltweit schlagkräftige Regulierung des Internets aufzubauen“. Etwa bei ft.com steht zusammenfassend: “(T)he chief executive of the social network set out four areas that he said needed to be regulated: privacy, election integrity, harmful content and data portability.“

Simon Hurtz nimmt die vier Vorschläge ernst und unterzieht sie auf sz.de, kürzer auch im Print-Wirtschafsteil, einer Betrachtung. Die Skepsis aber, die in der Folgeberichterstattung klar überwiegt, teilt auch er:

“In der Theorie sind es vernünftige, teils sogar spektakuläre Forderungen. In der Praxis stellt sich eine entscheidende Frage: Wie glaubwürdig ist der Chef eines der mächtigsten Unternehmen der Welt, der bekennt, dass Unternehmen weniger Macht haben sollten?“

Michael Hanfeld nennt den Zuckerberg-Text in der Montags-FAZ die “nächste große Nebelkerze“, die NZZ schreibt, er mute wie “eine im Endeffekt unbedeutende Medienerklärung“ an. Und die Financial Times zitiert einen Vertreter des Centers for Digital Democracy mit den Worten, er hoffe, es handle sich nicht – wie üblich, wenn Facebook in der Kritik stehe – nur um “another ‚mea culpa‘“. Was wohl den Schluss gestattet, dass er den Text für genau das hält.

Was ist das Problem? Zweierlei wird kurzfristig ausgemacht:

Erstens: Zuckerbergs Verweis auf die EU-Datenschutzverordnung, die ihm zufolge bei der Regulierung “vorbildlich“ sein könnte. “Diese Regulierung schadet Facebook nicht, sondern macht es stark gegen Konkurrenten aus Europa, die den Aufwand nicht erfüllen können“, schlussfolgert der CDU-Abgeordnete Thomas Jarzombek. Und Rechtsanwalt Thomas Stadler twittert: “Das zeigt doch nur, dass großen US-Konzernen eine formal korrekte Umsetzung möglich erscheint, die ihrem Geschäftsmodell nicht schadet.“ Das bedeute dann aber, dass Datenschutz nicht wirke.

Zweitens: “Bei genauer Lektüre“, schreibt Hanfeld in der FAZ, handle es sich wohl eher um ein “Danaergeschenk“ (Erklärung für Schulschwänzer).

Zuckerberg “sei 'überzeugt, dass anstelle nationaler Regulierungen ein gemeinsamer globaler Rahmen notwendig ist, um eine Fragmentierung des Internets zu verhindern, damit Unternehmer nützliche Produkte entwickeln können und alle Menschen den gleichen Schutz erhalten.‘ (…) Das klingt so, als gehe es dem Facebook-Chef vor allem darum, die Politik, die gewählten Regierungen und gewählten Volksvertreter, mit einem Ausblick in die ferne Zukunft von konkreten Schritten in der Gegenwart abzuhalten.“

So ähnlich klingt etwa auch Konstantin von Notz (Grüne), der neben anderen zurückhaltenden Netzpolitikern von Spiegel Online zitiert wird: “Sicherlich würde Facebook gern die Regulierung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag einer globalen Verständigung vertagen.“

Wenn es ernst wäre mit den Vorschlägen, also so richtig ernst, dann würden wir es mitbekommen.

Was die Ufa so plant

Rausschmeißer für heute: “Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat sich die Produktionsfirma Ufa Fiction die Verfilmungsrechte an dem neuen Buch von Juan Moreno gesichert“, berichtete am Freitag die FAZ. Und das neue Buch von Juan Moreno handelt dem Vernehmen nach vom Fall Relotius. “(S)chon jetzt hat sich die Ufa in Person von Sebastian Werninger die exklusiven Rechte an der Verfilmung des Buchs 'Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus’ von Juan Moreno gesichert. Dabei wird das Buch selbst erst im Herbst im Berliner Rowohlt Verlag erscheinen.“ Heißt es im Tagesspiegel.

Was noch nirgends steht, ist, wann der Film produziert werden soll. “Über die Termine des Drehbeginns oder gar eines geplanten Kinostarts wurden noch keine Angaben gemacht“, heißt es bei Spiegel Online. Sich die Rechte an einem Stoff zu sichern, heißt erstmal nur: “(D)ann kann es kein Konkurrent verfilmen“ (Küppersbusch in der taz).

Dass der Versuch unternommen werden soll, nicht abgeschlossene Ereignisse mit den Mitteln des Spielfilms zu historisieren, wäre aber auch nicht auszuschließen. Die Wulff-Affäre wurde von der Ufa auch schon für Sat.1 verfilmt, bevor Gras drüber gewachsen war… Die Vergleichsgröße für die SZ freilich heißt “Schtonk!“ Der Film kam nach neun Jahren.


Altpapierkorb (Rundfunk in Norwegen, Bild-Märchen, Hella von Sinnen, Mueller-Report, “Veep“)

+++ “Ende der Rundfunkgebühren in Europa?“, fragt der Tagesspiegel leicht clickbaiterisch. Er berichtet aus Frankreich und Norwegen, Die Welt nur aus Norwegen, wo die Regierung “den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (NRK) mit Steuergeldern finanzieren“ wolle. Dass ein solches Modell den einen oder anderen Nachteil haben könnte – Stichwort Unabhängigkeit –, schreibt die taz.

+++ Ebenfalls im Tagesspiegel geht die Reihe ““Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ weiter, diesmal mit Markus Heidmeier, der kritisiert, die “Investitionen von ARD und ZDF in technologische Innovationen viel zu gering, sie würden “ihre noch große Reichweite nicht in nutzbare ‚Kundenbeziehungen‘“ umwandeln, und sie würden qua Organisationsform nicht innovativ und schnell denken und entwickeln. “Das könnte am Ende binnen weniger Jahre zu einer Irrelevanz der öffentlich-rechtlichen Medien führen“.

+++ Neues aus dem Märchenland: “Die Uniklinik Heidelberg hat einen revolutionären Test entwickelt. Dieser kann erstmals Brustkrebs im Blut nachweisen. Und darum ist dieser Test eine Welt-Sensation“, schrieb Bild im Februar. Der Spiegel (€) nun: “Die Heidelberger Uni ließ einen halb fertigen Krebs-Bluttest von der 'Bild‘-Zeitung als Durchbruch feiern.“

+++ Hella von Sinnen erhält am Montag den Ehren-Hurz, und Hans Hoff hat sie für die SZ interviewt.

+++ “Sind wir Trump-Kritiker einer Wunschvorstellung zum Opfer gefallen?“, fragt USA-Korrespondent Christoph Scheuermann nach dem Mueller-Report im Spiegel (€). “Die Gefahr ist, dass der Präsident aus dieser Affäre als unwahrscheinlichster Superheld der Welt hervorgehen könnte, dass viele Amerikaner jenen Medien noch weniger vertrauen, die kritisch über Trump berichten, und dass Trumps Freunde beim Quasi-Regierungssender Fox News wochenlang feiern werden.“

++ Nina Rehfeld schreibt in der FAZ vom Samstag über den Beginn der letzten Staffel von “Veep“: “Keine andere amerikanische Fernsehserie zirkelt die politische Sphäre so geistesgegenwärtig als Universum persönlicher Eitelkeiten, kleinlicher Machtkämpfe und geschwollener Egos ab wie das HBO-Stück“. Nein, auch nicht “House of Cards“.

+++ “Verlasst also Twitter, gründet wieder Blogs!“, befiehlt Claudius Seidl in der FAS, nachdem Vide-Chefredakteur Felix Dachsel wegen eines abgewandelten, auf die Band Rammstein gemünzten Slime-Zitats (“Deutschland muss sterben, damit wir leben können“) für 12 Stunden von Twitter gesperrt wurde. Seidl: “Womöglich ist ja der einzig richtige Schluss aus beidem, aus der avisierten Dummheit der Uploadfilter und der dämlichen Wortwörtlichkeit des Twitter-Aufsichtspersonals, dieser hier: dass man nicht beides haben kann, nicht die absolute und schrankenlose Freiheit des Internets und zugleich ausgerechnet die durch und durch kommerziellen sogenannten Plattformen als Schauplatz dieser Freiheit.“

Neues Altpapier gibt es am Dienstag.