Collage zur Medienkolumne Das Altpapier vom 8. Mai 2019: Papierboot mit Gabor Steingart
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Das Altpapier am 8. Mai 2019 Der Journalismus geht schwimmen

... oder will zumindest Konzerte geben. Der neueste Megatrend heißt: Newsletter-Monetarisierung. Auf der Republica erntet der höchstrangige Gast nett formulierten Hohn und der "meistgehasste" ein bisschen Respekt. Außerdem: eine frische Idee gegen das öffentlich-rechtliche "Dilemma der Staatsnähe". Ein Altpapier von Christian Bartels.

Medienjournalisten mit Migrationshintergrund gibt es nicht sehr viele – und jetzt noch einen weniger. Bülend Ürük, der als kress.de-Chefredakteur im Altpapier durchaus häufig vorkam, "wechselt die Seiten und wird Pressesprecher bei der CDU", hat dwdl.de in der Bild-Zeitung entdeckt. "CDU-General baut neuen Machtzirkel auf", steht dort. Heißt: "Geholt wurde Ürük offenbar von Generalsekretär Paul Ziemiak" (der übrigens auch einen Migrationshintergrund hat, einen polnischen, mit dem er nach Ansicht der deutsch-polnischen Journalistin Emilia Smechowski nicht ideal umgeht ... aber das ist eine andere Geschichte).

Was Kress-Verleger Johann Oberauer Ürük hinterher rühmt, ist eine nicht originär journalistische, eher wohl chefredaktionelle Qualität: "ein außergewöhnlicher Netzwerker" zu sein.

Das Schiff zum Newsletter (Journalismus-Eventisierung)

Damit zum noch außergewöhnlicheren Netzwerker, der seit gestern die Medienmedien-Schlagzeilen rockt: Gabor Steingart, der Journalist, baut gemeinsam mit Axel Springer, dem Konzern, "das erste Redaktionsschiff Deutschlands". Was immerhin nicht allein eine doofe (oder so alte, dass schon wieder anrührende) Metapher ist. Vielmehr geht es um ein echtes Schiff, sozusagen ein "Riverboat",  ein "Riverboat", (wie es es auch bei unserem MDR zwar als Talkshow, nicht aber als tatsächliches Boot gibt).

Dieses Schiff wird so heißen wie die neue Steingart-Springer-Firma: "Media Pioneer", und auf deren neuer Webseite ebenso mit einem eigenen pathosgetränkten Video vorgestellt wie deren "Mission". Und das ist das noch interessantere Video:

"Die Hauptrolle in diesem kurzen Werbevideo spielt Gabor Steingart. 'Journalismus beginnt dann, wenn andere wollen, dass du schweigst', sagt er mit bedeutungsschwangerer Stimme. Und fügt an: Das Problem seien harmlose Journalisten (im Hintergrund der ARD-Schriftzug) sowie Halbwahrheiten und Märchen (zu sehen ist ein 'Spiegel'-Cover). Deshalb müsse es nun einen 'Neustart' für unabhängigen Journalismus geben ...",

beschreibt Caspar Busse es auf der SZ-Medienseite, der auch die konkretesten Zahlen hat: Beim Springer-Einstieg mit 36 Prozent handele es sich "um ein Volumen von etwa 15 Millionen Euro". Basieren soll das Geschäft dann vor allem auf dem jeweils erfolgreichen Newsletter und Podcast, den Steingart unter dem Titel "Morning Briefing" anbietet (und ja zuvor beim Handelsblatt, das er vor fünfzehn Monaten unter spektakulären Umständen verlassen musste, maßgeblich entwickelt hatte).

Rund herum wurde ein Füllhorn an Ideen ausgeschüttet, von der "Entwicklung eines Club-Modells" (wie es beim Handelsblatt, ersonnen von Steingart, mit ähnlich großen Worten ja leidlich zu funktionieren scheint) bis zur "Akademie für demokratischen Journalismus" (wie es auch schon eine gibt ...). Weitere Berichte stehen im Tagesspiegel und, unglaublich enthusiasmiert vom "größten Medien-Experiment und -Abenteuer des Jahres", bei meedia.de (wobei Autor Georg Altrogge ein weiterer Online-Medienmedien-Chefredakteur ist, der seinen Posten verlässt; falls personell-unternehmerische Hintergründe zu ihm und meedia.de, das wie Steingart ja mal zur Verlagsgruppe Handelsblatt gehörte: siehe Ürüks Ex kress.de). Und natürlich ist es nicht schwer, sich drüber lustig zu machen.

Doch Steingarts Newsletter lässt sich auch dann durchaus empfehlen, wenn man seine Meinungen keineswegs immer teilt – weil er tatsächlich ein größeres Meinungsspektrum bietet als weite Teile der klassischen deutschen Medienlandschaft es derzeit tun. Einen interessanten Vergleich, wie das angestrebte "profitable Geschäftsmodell für neue Medienangebote ..., das auf Werbeerlöse verzichtet und inhaltlich sowie wirtschaftlich auf Leser-Beteiligung setzt", am ehesten funktionieren sollte, zieht Busse in der SZ: "Leser sollen künftig ebenfalls Geldgeber und Aktionäre werden können (ähnlich wie die Genossen der taz)". Und taz wiederum ist ja "wie Kirche", sagte taz-Geschäftsführungs-Veteran Karl-Heinz Ruch zuletzt gerne ...

Jedenfalls ist Newsletter-Monetarisierung ein tagesaktueller Megatrend. Schließlich kündigte auch der andere deutsche E-Mail-Newsletter-Pionier Tagesspiegel gerade an, "nach mehr als vier Jahren Nachtarbeit und exakt 1000 Ausgaben" seinen "Checkpoint" kostenpflichtig zu machen. Und geizte – so als würde auch er dieser Idee ganz alleine nicht trauen – ebenfalls nicht mit flankierenden Ideen: "Wir laden Sie ins Kino ein, joggen mit Ihnen durch die Stadt, bringen den Checkpoint live auf die Bühne". Letzteres soll dann in Gestalt der "Checkpoint-Band" mit Chefredakteur Lorenz Maroldt am Bass geschehen. Die Eventisierung des Journalismus nimmt also Fahrt auf. Ob ihm das hilft ..., wir werden sehen.

Das Staatsoberhaupt und der Meistgehasste (Republica)

Höchste Zeit, zu dem Ereignis zu kommen, das das medienaffine Berlin noch mehr rockt als Steingarts Schiff, bloß halt längst nicht mehr neu ist: Seit Montag schon läuft schon wieder die Republica. Zur Eröffnung hatte sie den höchstrangigen Redner, den es in Deutschland gibt. Einen "Ritterschlag" nennt Bettina Schmieding Deutschlandfunk den Auftritt des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (einleitend, bevor sie dann vor Republica-Kulisse eine Diskussionsrunde über was ziemlich anderes moderiert ...). Das war allerdings auch schon die höflichste Reaktion, die Steinmeier erntete.

Seine "staatstragenden Worte und ein bisschen Internet-Slang" (Süddeutsche) "gewissermaßen eine 'Ruck'-Rede" nennt der WDR-Blog Digitalistan. Bloß werde sie "wenig ... bringen", da die Netzwerke, an die Steinmeier appellierte, die falschen Adressaten seien. Jörg Schieb hätte sich "hier auch (Selbst-) Kritik gewünscht. Kritik an der politischen Klasse, die sich hier ausgesprochen ungeschickt verhalten hat". "Was Malu Dreyer", die bei einer weiteren Berliner Medienkonferenz eine weitere Politikerin-Ansprache hielt, "und Frank-Walter Steinmeier fordern, gibt es also längst oder könnte es längst geben, wäre die hiesige Medienpolitik etwas mehr auf Zack", formuliert es Michael Hanfeld heute auf der FAZ-Medienseite. "Wollte man einen Kalender mit politischen Sinnsprüchen drucken, an denen garantiert kein Mensch Anstoss nimmt, Steinmeiers Reden wären eine Goldgrube", hieb am schärfsten die ausländische Neue Zürcher Zeitung auf die Staatsoberhaupts-Rede ein – um gleich anschließend die trendige Schiffs-Metaphorik aufzugreifen und die Republica als "so etwas wie das Mutterschiff der Komfortzonen" zu bezeichnen.

Aber nicht für jeden ist die Veranstaltung eine Komfortzone. Sozusagen als Vertreter der in digitalen Dingen nicht sonderlich geschickt agierenden politischen Klasse war am gestrigen Dienstag dann CDU-Europaparlamentarier Axel Voss, der "meistgehasste Mann des Internets" (wie SPON die Wiwo zitiert), auch "der mutigste Mann in Berlin" (sueddeutsche.de). Sein Gespräch mit Markus Beckedahl, das unter der allerfrischesten Überschrift ("Mr. Uploadfilter besucht seine Hater") zdf.de schildert, brachte natürlich keine Annäherung, verlief aber fair und endete versöhnlich. Am aufschlussreichsten ist folgender Absatz des SZ-Berichts:

"Wie Filter-Software funktioniert, erlebten die Republica-Organisatoren Montagnacht am eigenen Leib. Weil während eines Vortrags ein kurzer Ausschnitt aus einer Arte-Sendung gezeigt worden sei, blockierte Youtube die Aufzeichnung aus dem Republica-Kanal von Youtube. Der Arte-Inhalt war im Filter hinterlegt, und der erkannte kein Zitat, sondern eine Urheberrechtsverletzung. So erklärte es jedenfalls das ZDF. Kritiker wie Beckedahl sagen, dass dieses automatisierte, von Nutzern als erratisch empfundene Blockieren von Inhalten mit der neuen Urheberrechts-Richtlinie Alltag werde ..."

Für Diskussionsstoff-Nachschub ist also gesorgt. Mehr Republica-Diskussionsstoff folgt im Altpapierkorb. Überm Strich muss noch die Ruckrede erwähnt werden ...

Gremiengremlins wählen!?

... die unter der Überschrift "Wir sollten die Rundfunkgremien wählen!" auf der FAZ-Medienseite steht. Der Medienwissenschaftler Hermann Rotermund, dessen Vita (u.v.a.: "Von Frühjahr 1997 bis Ende 2000 Projektmanagement des ARD-Online-Kanals, des ersten Multimedia-Kanals im deutschen Digitalfernsehen") auf weisses-rauschen.de/gelebt zu finden ist, übt in scharfen Worten und an konkreten Beispielen Kritik an den "insgesamt 667 Frauen und Männern in Rundfunk- und Verwaltungsräten" der Rundfunkanstalten, die als einzige befugt sind, diese Anstalten zu kontrollieren. In allen aktuellen Öffentlich-Rechtlichen-Debatten blieben sie "unauffällig" und "im Hinblick auf Strukturen und Prioritäten des Programmangebots" stützten sie "eher die Wagenburgen von ARD und ZDF" als dass sie durch eigene Ideen auffielen. Eins der Beispiele:

"Der WDR hat unter der Bezeichnung 'Programmrichtlinien' einen Text veröffentlicht, in dem das Selbstlob aller Unternehmensgliederungen gesammelt ist. Der WDR-Rundfunkrat hat diesen Text 2013 'verabschiedet' und sich damit als Aufsichtsgremium aus der ihm gesetzlich gestellten Aufgabe herausgemogelt, überprüfbare Richtlinien zu beschließen. Ein Konsens zwischen Aufsicht und Unternehmensleitung ist eine legitime Option. Hier jedoch wollen sich die Abgesandten der diversen 'gesellschaftlichen Gruppen' offenbar den Mühen von Benchmark-Diskussionen entziehen und bei der Bewertung des Programms lieber der Weisheit ihrer Herzen vertrauen."

Falls Sie in diese Programmrichtlinien reinschauen wollen: hier (PDF). Der Text selbst ist zurzeit bei Blendle zu haben (€).

Angesichts der "Ent-Institutionalisierung der deutschen Gesellschaft" (derentwegen die "gesellschaftlichen Gruppen", die die Gremien mit ihren Interessenvertretern, häufig Politikern, besetzen, nicht mehr sind, was sie im vergangenen Jahrhundert waren ...) sowie um das "Dilemma der Staatsnähe" der öffentlich-rechtlichen Sender aufzulösen, plädiert Rotermund für Direktwahl der Gremienmitglieder. Und hat auch dafür konkrete Ideen ("Jeder Haushalt erhält vom Beitragsservice TANs und gibt seine Stimme mit Hilfe einer App oder auf einer Website ab").

Unter den vielen Ruckreden mit Medienbezug, die immerzu geschrieben und/oder -halten werden, ist diese eine diskussionswürdigsten seit langem.

Altpapierkorb (Böhmermann in Österreich, Europa-TV-Duell bloß bei Phoenix, "Mitte-Studie", Schulfach-Idee, freigelassene Preisträger)

+++ Kurz nachdem am Montagabend der neue Preisträger des Ari-Rath-Preises, "mit dem er soeben für kritischen Journalismus ausgezeichnet wurde", "die Pressefreiheit in Österreich am Anfang vom Ende" sah, griff auch der deutsche Entertainer Jan Böhmermann in österreichische Mediendiskurse (siehe viele neuere Altpapiere) ein: Die ORF-Sendung "Kulturmontag" sendete ein Interview mit ihm. "Darin erklärt der deutsche Satiriker etwa, es sei 'nicht normal, dass das Land von einem 32-jährigen Versicherungsvertreter geführt wird', und spricht von 'volksverhetzender Scheiße', die der Vizekanzler bei Facebook 'raushaut'". Wovon sich der ORF anschließend distanzierte. "Ein weiteres unrühmliches Beispiel für journalistische Selbstbeschädigung, weil genau jene Unabhängigkeit infrage zu stellen ist, um die im Moment wieder so hart gerungen wird", meint Doris Priesching im Standard. +++ "Wenn das in Österreich zum Skandal taugt, ist dem Land wirklich nicht mehr zu helfen" (Micha Hanfeld bei faz.net unter der Überschrift "Böhmermann marschiert in Österreich ein").

+++ Zur Europa-Wahl gibt es nicht nur neuen Wahlwerbespot-Streit, jetzt um die Satire-Partei Die Partei (die für die Organisation Sea-Watch werben will), sondern in einer Woche auch ein von der öffentlich-rechtlichen Europäischen Rundfunkunion veranstaltetes Spitzenkandidaten-Gesamtduell – bloß nicht bei ARD oder ZDF: "Die Brüsseler Show verschieben sie auf Phoenix – also da, wo nur Auskenner*innen und Journalist*innen zuschauen" (taz).

+++ Die "Mitte-Studie" der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung war Thema im Altpapier. Da verdient auch noch die Analyse von Ex-Altpapier-Autorin Juliane Wiedermeier unter der Überschrift "Darf’s ein bisschen rechtsextremer sein?" bei uebermedien.de Erwähnung, schon weil dieses Medientheater ("Doch die überwiegende Mehrheit" der deutschen Medien "folgte als Rudel der Lesart von 'Spiegel Online', tagesschau.de und dpa") mindestens so viel über die Medienlandschaft aussagt wie die Kevin-Kühnert-Äußerungen-Debatte.

+++ Zurück zur Republica und der parallel laufenden "Media Convention": "Wenn fast die Hälfte der Zuhörer unentwegt aufs Smartphone guckt, ins Smartphone tippt, wer hört da noch vorne zu?", fragte sich der Tagesspiegel angesichts einer MC-Veranstaltung mit Tom Buhrow und Mai Thi Nguyen-Kim. +++ Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen brachte mal wieder die Idee aufs Tapet zu einem "Schulfach, ... in dem gelehrt werde, wie man Quellen überprüft, Medien und Diskurse versteht und, ganz wichtig: 'Dass der öffentliche Diskurs von verbaler Aggression geschützt werden muss.'" (faz.net). +++ Und SPONs heitere Kuriosa-Umschau ("Menschen suchen online Wege, Restaurants oder Onlineshops zu kontaktieren. Die einzige Telefonnummer, die auf deren Websites auftaucht, ist mitunter aber die einer Datenschutzbehörde ...") zum bevorstehenden Jahrestag der endgültigen DSGVO-Einführung basiert auch auf einem Republica-Vortrag von Katharina Nocun und Lars Hohl.

+++ Vodafone will seinen Aufstieg zum deutschen Fernsehkabel-Monopolisten, den die EU-Kommission noch nicht genehmigt hat, durch einen Handel mit dem Rivalen Telefónica, der "den Wettbewerb auf eine ganz neue Stufe" heben soll, genehmigungsfähig machen (Standard).

+++ Und Positives zum Abschluss: freigelassene Pulitzer-Preis-Träger in Myanmar (taz).

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.