Collage zur Medienkolumne Das Altpapier vom 15. Mai 2019: Frank Plasberg auf der Bühne des Euro-Vision-Songcontests.
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Das Altpapier am 15. Mai 2019 Es fehlt nur die Panflöte

ARD, ZDF, ProSieben und Sat.1 überbieten sich in Angeboten zur Europawahl. Zum Glück für die Europainhalts-Quote der ARD gibt es noch den Eurovision Song Contest mit starken Botschaften und Frischhaltefolie. ProSieben-Sat.1-Vorstand Conrad Albert möchte derweil mal wieder öffentlich gefördert werden: Sein “incentivierter Public Value“ ist unser Wort des Tages. Ein Altpapier von Klaus Raab.

Wir hätten eine gute Nachricht und eine nicht ganz so gute. Die gute zuerst? Gerne: Am Wochenende interessieren sich aller Wahrscheinlichkeit nach wieder Millionen von Menschen für die Europa-Berichterstattung der ARD.

Yep. Eurovision-Song-Contest.

Und ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich hab’ Bock. Weil: Songs mit “starker Botschaft“ (“Im Refrain heißt es etwa: ‚Wenn ich träume, bin ich ein König‘“)! Und allein schon wieder diese Halbfinal-Zusammenfassungstexte:

  • “Eine aufgeregte Zypriotin, die ein bisschen aussah wie Madonna in Frischhaltefolie.“
  • “Eine finnische Eiswasserperformance, die sinnfälligerweise 'Look away‘ hieß.“
  • “Weißrussland diesmal nicht mit neuem Murks aus dem Drumcomputer 'Lukaschenko 3000‘, sondern mit einem Mix aus Zirkus, Monty Python und irgendwas, was nur harte Drogen auslösen können.“

Jetzt aber die nicht ganz so gute Nachricht, in Ordnung? Der Rest der öffentlich-rechtlichen Europa-Berichterstattung – die politische – haut dagegen irgendwie nicht so richtig rein bei den Leuten. Der Tagesspiegel schreibt: “Das Erste zeigte am Montag um 20 Uhr 15 die Reportage 'Feindbild Brüssel – was wollen Europas Rechtspopulisten?‘. Dafür interessierten sich gerade mal 1,52 Millionen Zuschauer. (…) Das ZDF erreicht keine besseren Zahlen.“

Tja. Europa zieht also wohl wieder nicht so richtig. Und eigentlich ist das ja ein alter Hut: Sobald man ernsthaft über die EU berichtet, verdrücken sich die Leute einigermaßen verlässlich. Viele Printmagazin-Leute, die schon einmal versucht haben, mit EU-Themen am Kiosk zu punkten, haben die Erfahrung gemacht, dass sich die eher schlecht verkaufen. Warum sollte es ARD und ZDF anders gehen?

Erstaunlich ist das nur, weil man dort doch offensichtlich einiges dafür tut, dass die Europawahl-Berichterstattung mit dem Eurovision Song Contest verwechselt werden kann. Allein “Hart aber fair“ am Montag zu einem entfernt auch etwas mit Europa zu tun habenden Thema: AfD-Mann Reil, Boris Palmer, Ralf Schuler von “Bild“ – die Gästeliste war derart auf Knalleffekt gebürstet, da fehlte nur noch die Panflöte, dann hätte man direkt beim ESC mitmachen können. 

“Zuweilen wird da ordentlich Bling-Bling geboten, die Musik untermalt bis unterspült die Aussage, das Medium nutzt seine emotionalen Möglichkeiten. Es reizt, überreizt aber nicht.“

Findet der Tagesspiegel. Entdeckt also durchaus auch so etwas wie Ähnlichkeiten. Er lobt ARD und ZDF allerdings auch explizit dafür, dass sie “Stimmung für Europa und Europawahl“ machen: “Es geht um ein Europa und nicht um kein Europa. Die Öffis riskieren ihre gewohnten Quoten. Wann aber, wenn nicht jetzt?“

ProSieben trägt Verantwortung für Europa

Nun darf man das freilich von ARD und ZDF auch erwarten: dass sie mal Quoten riskieren, wenn es um Dinge geht, deren Relevanz gesetzt ist. Von ProSieben Sat.1 müsste man das nicht. Auch dort aber: Europawahl, Europawahl, Europawahl. Schreibt die FAZ im Wirtschaftsteil:

“'Was wäre wenn ... die EU zerfällt?‘, fragt das Wissenschaftsmagazin 'Galileo‘ auf Pro Sieben. (…) Der Fernsehsender, der bei jungen Menschen vor allem wegen seiner Unterhaltungsformate wie 'Germany’s Next Topmodel‘ beliebt ist, wird zur Europawahl politisch. Und nicht nur 'Galileo‘, auch das 'Sat1-Frühstücksfernsehen‘ hat in der Wahlwoche den täglichen Themenblock 'Vorteil Europa‘ mit Studiogästen im Programm. Die Privatsenderkette, die nicht unbedingt für seriöse Nachrichten bekannt ist, will in all ihren Magazinen und Informationssendungen so umfangreich über die Europawahl berichten wie nie zuvor.“

Das ist… löblich. Also, ja. Schon. Je nachdem, wie es wird, natürlich. Bei “Galileo“ ging es schon am Dienstag jedenfalls um ein ganz heißes Eisen für die Zielgruppe – Roaming-Gebühren.

Aber es ist auch nicht so, dass man gleich aus allen Wolken fiele, wenn ProSieben und Sat.1 auf dem Papier mal was anderes als Schlick machen. Es gab schon öfter mal politisches oder politisch anmutendes Programm, auch welches, das so schlecht nicht war. Klaas Heufer-Umlauf stand zuletzt dafür. Und auch Stefan Raab hatte mal eine Talkshow vor einer Bundestagswahl, mit der die “Emokratie“ (Zeit Online) auf jeden Fall hart gefördert wurde.

Dass das Ganze nicht auf der Medienseite, sondern im Wirtschaftsteil der FAZ steht, führt freilich aber zu einem heißen Verdacht: Man wird bei ProSieben Sat.1 doch wohl keinen Hintergedanken haben?

Antwort dann gleich im zweiten Absatz: Nein, natürlich nicht.

“Wir machen das aus unserem Selbstverständnis heraus. Als Medienunternehmen tragen wir eine besondere Verantwortung, erst recht in Zeiten, in denen der Populismus die Demokratie vor sich her treibt.“

Vorstand Conrad Albert bekräftigt das dann auch nochmal, also, dass es keinen Hintergedanken gibt: “Es geht mir nicht um neue Gebühren oder Steuern. Wir als Privatunternehmen wollen auch nichts von den 8 Milliarden Euro Gebührengeldern, die ARD und ZDF erhalten.“

Hätte er aber gar nicht sagen müssen. Von diesen Milliarden wollte er ja noch nie etwas haben, weshalb es auch im Altpapier vom Oktober 2017 nicht stand. Und Sie denken jetzt bitte auch nicht an einen rosa Elefanten!

Aber natürlich, irony off, geht der Text dann noch weiter. Albert hat seinen Vorschlag von damals, die Rundfunkbeiträge zu seinen Gunsten umzuschichten, verändert:

“'Für mehr Programme mit gesellschaftlich-relevanten Inhalten sollte es staatliche Anreize geben, am besten über einen Fonds‘, schlägt Albert vor. In der heutigen Medienwelt sollten relevante Inhalte, die vermehrt junge Menschen ansprechen, generell gefördert werden. Albert spricht von 'incentiviertem Public Value.’“

(Incentivierter Public Value – super! Wer schreibt ProSieben eigentlich die Framing-Manuals?)

“'Private Contentanbieter wie Fernsehunternehmen oder Hörfunksender sollten sich mit ihren Public-Value-Formaten bewerben können, so wie bei der deutschen Filmförderung oder der Journalismus-Stiftung in Nordrhein-Westfalen.‘ Der Fonds sollte mit einer Summe zwischen 50 und 100 Millionen Euro im Jahr ausgestattet sein. Das, meint Albert, sei günstig für den Mehrwert, den eine meinungsplurale Gesellschaft dafür erhalte.“

Und wer nun meint, dass es für Public-Value-Formate doch die Öffentlich-Rechtlichen gebe, der muss den nicht aus Rundfunkbeiträgen finanzierten FAZ-Text bitte bei FAZ+ oder bei Blendle (0,45€) weiterlesen: Die FAZ weiß das auch, aber Albert hat noch ein Argument in petto.

Streaming rettet die deutsche Bildung

Der Name “Netflix“ fällt im FAZ-Text logischerweise auch. Das ist ja Teil des Dramas für die deutschen Privatsender: dass sie nicht einmal mehr einen einzigen Artikel kriegen, ohne dass Netflix als weggesprinteter Konkurrent erwähnt wird.

Was macht Netflix in Sachen Europawahl? Kurz und knapp: nichts. Also nicht direkt. Netflix bietet auch in Deutschland halt englische Inhalte an und rettet damit lediglich im Alleingang die Idee einer europäischen Öffentlichkeit. Oder – okay okay, einen halben Gang nehmen wir vielleicht mal raus – zumindest zusammen mit anderen internationalen Streaming-Anbietern das deutsche Bildungssystem. Und das ganz ohne Incentives:

“Für bevölkerungsschwächere Länder sind Untertitel kostengünstiger als eine Synchronisation, was nebenbei positive Auswirkungen auf die Fremdsprachen-, insbesondere Englischkenntnisse hat. In Umfragen zu Englischkenntnissen schneiden die Länder regelmäßig gut ab. Deutschland landet meist im Mittelfeld. Dank internationaler Pay-TV- und Streaming-Anbieter wird der Originalton nun auch in Deutschland beliebter. Eine neue Studie von Cartoon Network und Boomerang, zwei Sendern der Turner-Gruppe, zu der auch TNT Serie gehört, und des Marktforschungsinstituts Mindline Media zeigt nun, dass die Angebote offenbar auch Auswirkungen auf die Fremdsprachenkenntnisse von Kindern und Jugendlichen in Deutschland haben.“

Schreibt Altpapier-Kollegin Kathrin Hollmer in der SZ.

Tja. Die Gewinner des Tages sind damit also die Streaming-Anbieter, mal wieder. Denn die können offensichtlich einfach alles. Irgendwann reparieren sie noch den Müll für uns und trennen das Fahrrad.

PS: Aber eines darf man bitte nicht völlig vergessen, und das hat wirklich überhaupt nichts damit zu tun, dass wir hier ein MDR-, also ARD-finanziertes Blog sind (wirklich gar nichts, es gibt hier definitiv keinen rosa Elefanten, an den Sie denken könnten!): Im Public-Value-Programm der ARD läuft am Samstag der Eurovision Song Contest. Auch da gibt es englische Texte für die ganze Familie. Sie erkennen sie an den starken Botschaften!

Altpapierkorb (NPD-Spot, Euronews, Friede Springer, Julia Bönisch, Uberding)

+++ Noch mehr Europawahl: Der Bayerische Rundfunk musste im Radio einen NPD-Wahlspot senden, HR und NDR müssen das ebenfalls tun. RBB und ZDF dagegen müssen den Spot im Fernsehen nicht ausstrahlen. Wolfgang Janisch interpretiert in der Süddeutschen, wie es zu so unterschiedlichen Urteilen kommt: “Das dürfte vor allem damit zu tun haben, dass so ein Spot im Fernsehen sehr viel suggestiver wirkt als im Radio, selbst wenn der Inhalt ähnlich ist.“

+++ Noch mehr Europa: “Euronews wurde 1993 von zehn öffentlich-rechtlichen Sendern gegründet, um die europäische Identität und Integration zu stärken.“ Meldet die FAZ. Nun aber gibt es Kritik am mittlerweile anderweitig untergekommenen Sender: “Die millionenschwere EU-Finanzspritze für den Fernsehsender … stößt beim Europäischen Rechnungshof auf Bedenken.“ Die meisten EU-Bürger hätten keinen Zugang dazu.

+++Friede Springer hat beim European Publishing Congress, wie gestern hier kurz vermeldet, einen Lebenswerk-Preis bekommen. Die Welt hat dazu nun die Laudatio von Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner – ohne Paywall.

+++ Ausgezeichnet als “Chefredakteurin des Jahres“ wurde derweil Julia Bönisch, die das Online-Angebot der Süddeutschen Zeitung leitet (Tagesspiegel). Um Bönisch ging es noch einmal in anderen, gestern hier aus der taz zitierten Zusammenhängen, etwa bei Meedia. “Wir müssen uns von gewohnten Hierarchien und linearen Top-Down-Strukturen verabschieden, ebenso wie von der strikten Trennung in Redaktion und Verlag“, hatte sie im Zusammenhang mit Podcasts geschrieben. Was natürlich auf Widerstand stößt.

+++ In der medienpolitischen Tagesspiegel-Reihe “Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ ist diesmal Doris Achelwilm von der Linken im Bundestag an der Reihe.

+++ Übermedien (€) bespricht im “Bahnhofskiosk“ diesmal das Reisemagazin Uberding.

+++ Und Steffen Grimberg, auch hier nebenan beim MDR tätig, kolumniert in der taz über PR, Journalismus und Monsanto.

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.