Das Altpapier am 24. Mai 2019 Weißer Medienrauch

In Stuttgart wurde ein neuer SWR-Intendant gewählt und in Düsseldorf Germany’s Next Topmodel gekrönt. Die CDU, die in einem Youtube-Video von Rezo zerlegt worden ist, sucht nun doch das Gespräch mit dem Urheber. Und ein anderes Battle Jung vs. Alt ist vielleicht bald keines mehr. Ein Altpapier von Kathrin Hollmer.

Wir befinden uns im Jahre 2019 n. Chr. Die Jungen haben den Alten den Kampf angesagt. Alle Jungen? Nein! Es gibt natürlich Ausnahmen, dazu gleich mehr. Die Kampfansage, aktuell ausgesprochen von Youtuber Rezo (siehe Altpapier von gestern), hat die Medien am Donnerstag weiterhin beschäftigt und tut das auch am heutigen Freitag. Dass von den Jungen was kommt, dazu kommentiert Constanze von Bullion auf der SZ-Meinungsseite: "Gut so."

"Selbstverständlich kann man sich jetzt erst einmal ausgiebig über diesen Rezo aufregen, dessen Politvideo so seriös ist wie Zahnpastawerbung. Der 26-Jährige, der Filmchen fürs Internet produziert, redet wie aus den hinteren Bänken einer Schulklasse: übers Klima, den Krieg, die Notlügen der Politik und deren 'krasse Inkompetenz'. Natürlich fehlt die Hälfte, natürlich wird nicht abgewogen, denn Rezo ist Youtuber, kein Bundeskanzler. Irgendwann versteigt er sich noch zur Aussage, es gebe nur 'eine legitime Einstellung'. Das ist natürlich Blödsinn. Nur: Es hilft den etablierten Parteien halt nichts",

schreibt sie in ihrem online zurecht vielgeteilten Kommentar. Das Factchecking ist inzwischen in vollem Gang. Dass in Rezos Video nicht alles 100 Prozent stimmt, stimmt freilich. "Der Faktencheck zeigt, dass Rezo manches zurechtgebogen hat, damit es ins Bild passt", schreibt Constanze von Bullion, aber auch, warum "nur auf den ersten Blick recht" hat, wer jetzt "Fake News!" schreit.

Die CDU selbst hat statt eines Antwort-Videos von Philipp Amthor (die eingangs erwähnte Ausnahme, man muss dazu immer und unbedingt das Portrait von Moritz von Uslar über ihn empfehlen), wie am Mittwoch angekündigt, am Donnerstag einen offenen (elf Seiten langen) Brief auf ihre Webseite gestellt, in dem sie sich gegen die Vorwürfe verteidigt. Dass die CDU das Video nicht veröffentlicht, ist für die Berichterstattung schade, ein, zwei Bonustage hätte das die Debatte schon noch heiß gehalten. Constanze von Bullion dazu weiter:

"Man hat das dann gelassen. Das ist auch besser für die CDU. Denn Amthor ist in den Augen junger Wähler sozusagen der wandelnde Beweis dafür, dass Sprache und Gestus der Politik vor allem von Alten und für sie gemacht ist."

Der Titel der CDU-Hausmitteilung: "Offene Antwort an Rezo – Wie wir die Sache sehen." Der Ton: tendenziell beleidigt. Spiegel Online zitiert CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer dazu:

"'Ich habe mich gefragt, warum wir nicht eigentlich auch noch verantwortlich sind für die sieben Plagen, die es damals in Ägypten gab', sagte sie in Kiel."

AKK hätte ihren Witz wohl lieber faktenchecken lassen sollen. "Tatsächlich ist im Alten Testament von zehn Plagen die Rede", weiß auch SPON.

Robert Rossmann beobachtet in der SZ-Innenpolitik, dass die Partei seit Donnerstag einen neuen Ton im Umgang mit dem Rezo-Video anschlägt. Am Mittwoch hatte der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak Rezo noch stark kritisiert und ihm unter anderem vorgeworfen, Falschbehauptungen und Pseudofakten zu verbreiten. Am Donnerstag suchte Ziemiak sogar das Gespräch mit Rezo – in einem Twitter-Thread, wie die jungen Leute das heute so machen. Dazu Rossmann:

"Er (Ziemiak, Anm.) gestand ein, dass die CDU 'nicht alles richtig' mache. Rezo habe 'Kritikpunkte benannt, die berechtigt sind'. Die Union könne beim 'Klimaschutz noch mehr tun, mit besseren Technologien und guten Ideen'. Die Lösungen müssten jedoch derart sein, 'dass die Menschen in Deutschland unseren Weg akzeptieren und nicht aus Wut über Preise und Vorschriften zu 'Gelbwesten' werden'."

Wieder andere Töne übrigens in der FAZ, wo Jasper von Altenbockum am Donnerstag zum Rezo-Video kommentiert, jeder Like "für diese Suada", sei ein "Armutszeugnis":

"Das ist gleich die erste Ungenauigkeit dieses Machwerks, das an allen Schulen des Landes gezeigt werden sollte: als Anschauungsmaterial dafür, wie Propaganda im Zeitalter des Internets aussehen kann – gute Propaganda, wohlgemerkt, denn es wird einem übel beim Anschauen."

Jung gegen Alt gilt auch für die überaus medienpräsente Bewegung Fridays for Future – zumindest noch. In einem Gastbeitrag im SZ-Feuilleton fordern Greta Thunberg, Luisa Neubauer (die "deutsche Greta Thunberg", siehe Altpapier) und weitere Aktivisten der Bewegung Fridays For Future heute, dass sich ihnen auch die Erwachsenen anschließen:

"(...) Um alles zu verändern, brauchen wir alle. Es ist Zeit für uns alle, massenhaften Widerstand zu leisten - wir haben gezeigt, dass kollektive Aktionen funktionieren. Wir müssen den Druck erhöhen, um sicherzustellen, dass der Wandel passiert. Und wir müssen ihn gemeinsam beschleunigen."

Weißer Rauch über dem Funkhaus Stuttgart

Kai Gniffke wurde am Donnerstag im zweiten Durchgang zum neuen SWR-Intendanten gewählt. Im ersten Wahlgang hatte seine Konkurrentin Stefanie Schneider, SWR-Landessenderdirektorin Baden-Württemberg, zwar mehr Stimmen als Gniffke (über die Besonderheiten der SWR-Intendantenwahl steht mehr in der Stuttgarter Zeitung), im zweiten Durchgang hat sich Gniffke dennoch durchgesetzt. Im Vorfeld gab es Kritik, weil es nur zwei Kandidaten gab (siehe Altpapier).

In der taz (unter der schönen Überschrift "Es ist ein Mann") vergleicht Peter Weissenburger die Kandidaten:

"Schneider sprach eher wie eine, die ihren Laden nicht verunsichern will. Mehr 'Das läuft schon gut' als 'Das müssen wir ändern'. 'Unsere linearen Programme sind immer noch sehr erfolgreich', so Schneider. Dennoch forderte auch sie 'ein konzeptionelles Update', blieb aber vage. Gniffke dagegen ließ die Damen und Herren ein bisschen von Silicon Valley träumen. Der SWR solle 'Pacemaker in Sachen Digitalisierung' werden. 'Das crossmediale Denken müssen wir stärker mit Leben füllen, viel mehr Kraft in die Digitalen Plattformen stecken'. Dazu gehöre eine stärkere Schwerpunktsetzung. Zugunsten neuer Kanäle müsse man auch mal anderes liegen lassen können."

Auch neue Formate, die junge Leute ansprechen, "vielleicht sogar eine Serie, die mit Netflix mithalten kann", stellte Gniffke in Aussicht, wie Stefan Mayr auf der SZ-Medienseite schreibt.

"Für Gniffke dürfte bei der Wahl gesprochen haben, dass ihm als von außen Kommendem eher zugetraut wird, die verhärteten Strukturen aufzubrechen. Und dass er, im Gegensatz zu seiner Konkurrentin, in der ARD gut vernetzt ist, was das Gewicht des SWR bundesweit stärken könnte",

heißt es in der SZ, wo es auch um die Herausforderungen geht, vor denen Gniffke nun steht.

Leider bleibt es also vorerst bei nur zwei Intendantinnen – im Vergleich zu sieben Intendanten – innerhalb der ARD, Patricia Schlesinger beim RBB (die DWDL zufolge ihre Rundfunkanstalt umbauen will) und Karola Wille beim MDR. Immerhin versprach Gniffke, Führungspositionen im SWR paritätisch mit Frauen und Männern zu besetzen.

Weißer Rauch über dem ISS Dome in Düsseldorf

Auch in NRW wurde gewählt, wenngleich die Auswirkungen deutlich weniger langfristig sein dürften. Als Intendant ist man für fünf Jahre gewählt, die Halbwertszeit eines Topmodels nach Klum'scher Definition deutlich kürzer (Heidi Klum selbst hat ihren Vertrag mit Pro7 aber schon um sechs Jahre verlängert). In den Medienressorts gibt es heute pflichtbewusst die Kritiken zum Finale von Germany’s Next Topmodel ("Dschi-En-Ti-Äm", wie Ariane Bemmer zuvor im Tagesspiegel schrieb), die teilweise einfach aus der Aneinanderreihung von Absurditäten bestehen.

"Es hatten sich die Synapsen doch gerade so schön vom ESC-Finale und seinen Epilepsie-Warnungen erholt, da wird beim Finale von 'Germany’s next Topmodel' in Sachen Reiz-Überflutung schon wieder so dermaßen ausgeteilt, als würde morgen das Schwarz-Weiß-Fernsehen wieder eingeführt. Was da wann genau passiert, was das soll, wer wen wählt, warum das alles, das wird nicht nur Herrn Gottschalk, sondern auch dem Casual Gucker kaum klar, denn ständig ist das Geschehen kurz vor der Kernschmelze",

schreibt Ingo Scheel beim Stern.

Mit lauter Superlativen, hofft man bei Pro7 vielleicht, wird einem die Zeitverschwendung vielleicht nicht so bewusst: super Akrobatikeinlagen, super Stripper, eine superspontane Superhochzeit, die super Heidi Klum vollzieht, super Auftritte von Stars (Taylor Swift aber nur – super – eingespielt), und ein Thomas Gottschalk, dem im einzig wirklich super Moment das Wort "Kinderfasching" herausrutscht.

Bei Spiegel Online anjarützelt Anja Rützel die Zusammenfassung, zu der man nichts weiter sagen muss:

"Es ist ein konstantes Faszinosum, dass man bei jedem Finale von 'Germany's Next Topmodel' ('GNTM') fest glaubt, nun sei aber wirklich der Scham-Endpunkt erreicht. Aber da geht tatsächlich immer noch mehr, und auch nächstes Mal wird wieder noch mehr gehen, das ist beruhigend und beängstigend zugleich."

Schade, dass auch die Kritiker teilweise die Oberflächlichkeit an den Tag legen, die man an der Klum-Veranstaltung immer so gern kritisiert:

"Danach ist es Zeit für einen weiteren Gast. Klum verrät, er sei 'sehr hübsch, sehr groß und sehr blond', womit klar ist: Philipp Amthor ist es schon mal nicht",

schreibt Christoph Becker bei Welt Online.

Tiefer geht Theresa Hein bei Sueddeutsche.de in die Analyse und entlarvt die Alibi-Diversitätsbemühungen in der Sendung (Gastjurorin mit Vitiligo, "Personality-Award" für Transgender-Model Tatjana, feministische Sprüche auf Pappschildern und Kleidern), die kaschieren sollen, dass es doch nur um den schönsten Körper geht. "Und im Klum-Universum bedeutet das, den Körper zu haben, den man hinterher am wenigsten photoshoppen muss", schreibt Hein. Ironisch ansehen könne man sich das nicht:

"Wer diese Sendung ansieht, der sieht sich genau an, wie diese Frauen dargestellt werden, nicht ironisch und nicht nebenbei. Am offensichtlichsten wird das während des Live-Fotoshootings mit Tänzern der Gruppe 'Magic Mike', die die beiden Models in die Luft heben und dort kneifen, berühren, beinahe abschlecken - alles um des Fotos willen, natürlich. Dass die Hände sehr lange brauchen, bis sie vom Körper der Kandidatin Sayana ablassen (auch, als die schon lange wieder am Boden ist), vergisst man nicht so schnell. (...) Zwei Jahre nach #metoo sollte die Erkenntnis durchgesickert sein: Man kann nicht gleichzeitig für Gleichberechtigung kämpfen und ein Format unterstützen, in dem der weibliche Körper der einsame Protagonist ist. Ein Arsch ist ein Arsch ist ein Arsch."

Bei #metoo geht es zwar um Machtmissbrauch, aber auch ohne gilt: Sexuelle Belästigung ist sexuelle Belästigung ist sexuelle Belästigung.

Die Süddeutsche widmete der Sendung am Donnerstag bereits eine ganze Seite "Thema des Tages", auf der Tanja Rest über die Anziehungskraft der "umstrittensten Sendung im deutschen Fernsehen" (mir fallen da aber schon noch andere ein) schreibt und Caspar Busse über die gute alte Fernsehzeit, in der es mehr "Lagerfeuer" gab als GNTM und ESC.

Altpapierkorb (Content-Klau bei der CDU, manipulierbare Umfragen, Tagesspiegel, buchbare Emotionen, Tatort Zürich, Medientage Leipzig, Kooperation gegen populistische Angriffe und Medienunterdrückung in Aserbaidschan):

+++ Nico Semsrott, Satiriker und Europäischer Präsidentschaftskandidat der Partei Die Partei, wies am Mittwoch darauf hin, dass der Youtube-Kanal "cdutv" sich an Mitschnitten unter anderem aus Talkshows von ARD und ZDF bedient – ohne je deren Einverständnis eingeholt zu haben (und obwohl die Union ja eigentlich selbst darüber nachdenkt, einen eigenen Newsroom einzurichten, siehe Altpapier). Die Antwort der CDU gibt es bei Übermedien.

+++ Gehört der Islam zu Deutschland? Einer Telefonumfrage der Sendung "MDR um 4" zufolge nein, da stimmten nämlich 95,34 Prozent dagegen. Das Problem mit solchen äußerst leicht manipulierbaren Umfragen, bei denen jeder so oft abstimmen kann, wie er möchte (auch sehr beliebt bei diversen Online-Medien, zu Themen wie dem Lieblings-Tatort-Kommissar, aber auch zu politischen Themen, hier ausnahmsweise eine kleine Eigenwerbung) haben die Kollegen von Übermedien bereits am Mittwoch zusammengefasst: "Leuten, die mit so einer Umfrage ihr Weltbild stützen, ist natürlich egal, dass sie nicht annähernd repräsentativ ist." Leuten wie dem AfD-Politiker Frank Pasemann zum Beispiel.

+++ Beim Tagesspiegel seien der Chefredaktion in den vergangenen Tagen "Fälle von unangemessenem Verhalten und sexueller Belästigung bekannt geworden", heißt es bei Tagesspiegel.de. Bis zur Klärung sei der Mitarbeiter, gegen den die Vorwürfe erhoben werden, freigestellt. Zuvor hatte Buzzfeed über einen Reporter berichtet, der Kolleginnen sexuell belästigt, bedrängt und gestalkt haben soll.

+++ Wie die New York Times die Emotionen ihrer Leser vorhersagt und monetarisiert (mit für Werbekunden buchbaren "Gefühlslagen" wie "abenteuerlustig", "nostalgisch" und "hasserfüllt"), fasst Meedia zusammen.

+++ In Zürich ermitteln bald zwei Tatort-Kommissarinnen, gespielt von Anna Pieri Zuercher und Carol Schuler. Hans Jürg Zinsli stellt die beiden im Tagesanzeiger vor, nicht ohne verwunderten Kommentar zu der Entscheidung : "Es riecht natürlich nach Zeitgeist oder gar feministischem Konzept." Als bräuchte man einen Grund für zwei weibliche Hauptfiguren.

+++ Cornelius Pollmer hat für die SZ die Medientage in Leipzig besucht, wo es unter anderem um den Kontext ging, in dem der Begriff "Ostdeutschland" in der Berichterstattung benutzt wird. Spoiler: früher anders als heute.

+++ Ebenfalls in der SZ berichtet Carolin Gasteiger über eine Zusammenarbeit von Redakteursvertretern von ARD, ZDF und Deutschlandradio mit Kollegen des ORF, die gemeinsam populistische Angriffe auf Journalisten abwehren wollen.

+++ Fußballspaß schlägt Medienethik: In der FAZ () schreibt Christoph Becker über die Uefa, die für das Finale der Europa League in Baku die Unterdrückung der Pressefreiheit in Kauf nimmt.

Neues Altpapier gibt’s wieder am Montag. Bis dahin ein wunderbares Wochenende!