Episoden-Cover "Akte: Raubkunst? Kamerun" 39 min
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39 min

Ein verzierter Holzpfahl aus Kamerun – in der Zeit nach München gebracht, als Kamerun deutsche Kolonie war. Wurde er von deutschen Kolonialtruppen geraubt oder doch nur „gesammelt“? Wir gehen verschiedenen Spuren nach.

ARD Audio Do 25.08.2022 00:01Uhr 38:49 min

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 Akte: Raubkunst? | Episode 4

Blaue Reiter Pfosten im Museum Fünf Kontinente München

 

Intro:

Joseph B. Ebune: My people have been robbed of their history. That's a feeling I have as an individual. We have been robbed of our history.

O.V. Meine Leute wurden ihrer Geschichte beraubt. So empfinde ich das persönlich: wir wurden unserer Geschichte beraubt.

Karin Guggeis: Geleitet hat mich ein Sprichwort, das ich aus westafrikanischen Ländern kenne. Und das heißt until the lion tells the story, the hunter, always will be the hero. Also solange die Geschichte immer nur aus einer Perspektive, und zwar der Perspektive des vermeintlichen Gewinners erzählt wird, solange ist immer der Jäger, derjenige, der siegt. Aber die Geschichte vom Löwen, die mag ja eine ganz andere sein

Musikbett spannungsvoll durchlaufend

Museen in Deutschland stehen voll von Objekten, die nicht aus Europa kommen, sondern aus ehemaligen Kolonien. Viele davon aus afrikanischen Ländern. Nur ein kleiner Anteil außereuropäischer Kulturgüter ist wirklich ausgestellt. Der Großteil verstaubt in Europas Museumsdepots und fehlt anderswo schmerzlich. Dort, wo Kolonialmächte sie vor über hundert Jahren mitgenommen haben und ihre Spuren erloschen sind, fühlen sich Menschen bis heute ihrer Kultur beraubt. Wie kann eine gerechte Lösung aussehen? Wie kann eine Begegnung, ein Dialog auf Augenhöhe gelingen?

MUSIK BREAK INTRO

Mein Name ist Helen Fares und ihr hört  “Akte Raubkunst?”. Den Podcast, in dem wir die Geschichte von Objekten in deutschen Museen erzählen, die eigentlich nicht hier sein sollten. In den letzten Folgen haben wir schon mehrere Geschichten gehört, die zeigen, wie Objekte in der Kolonialzeit in Museen in Deutschland kamen. Es ging um zwei Länder, die unter britischem Einfluss waren, es ging um Frankreich: aber, was wir noch viel zu wenig auf dem Schirm haben: auch Deutschland hatte Kolonien, und um eine davon geht es in dieser Folge: Kamerun. 

MUSIK BREAK

Ein Inhaltshinweis an dieser Stelle - wir thematisieren in diesem Podcast Kolonialismus, Rassismus und Gewalt.

Man hört Straße, Verkehr

Luxusboutiquen und schicke Autos säumen die Straße. Menschen mit teuren Uhren sitzen im Außenbereich feiner Lokale, trinken das erste Glas Wein und lassen sich von der Sonne berieseln. Meine Reise beginnt hier - an einer der teuersten Straßen Deutschlands: Der Münchner Maximilianstraße. Dort befindet sich das älteste ethnologische Museum Deutschlands.

Man hört Vögel, Autos

Helen: Dieses Gebäude in dem das Museum Fünf Kontinente ist, ist riesengroß, so riesig [...] und ganz prunkvoll und wahnsinnig aufwendig verziert.

Damals bei seiner Gründung 1862 hieß das Museum noch “Königlich Ethnographische Sammlung”, heute “Museum Fünf Kontinente”. Die Namen wechselten, die Standorte auch. Seit den 1920ern befindet sich die Institution hier, in den Gemäuern des ehemaligen bayerischen Nationalmuseums. Das erklärt auch, warum auf dem Dach die Bavaria thront, die weibliche Symbolgestalt Bayerns. An alle die vielleicht schon mal das Oktoberfest besucht haben: Das ist die große bronzene Frauengestalt, die am Rande der Theresienwiese auf die Bierzelte hinunter blickt. Es wirkt fast ironisch, dass eine bayerische Patronin ein Gebäude hütet, in dem so gut wie nichts aus Bayern steht.

Rund 160 000 Objekte gehören zum Bestand des Museums Fünf Kontinente. Wie viele genau im Depot stehen, scheint das Museum selbst kaum zu überblicken. Zumindest erhalten wir auf unsere Mailanfrage an die Pressestelle folgende Antwort:

 (männliche Stimme): Von den circa 160.000 Objekten in unserem Haus ist mittlerweile rund die Hälfte mit Depotplatz in unserer Datenbank digital erfasst. Der Rest, von dem uns bisher lediglich eine Dokumentation in Papierform vorlag, wird dort sukzessive eingepflegt.

Wir schauen uns erst mal an, was in der Ausstellung steht. Das ist nur ein kleiner Teil der Bestände, in Räumen sortiert nach Großregionen wie Südamerika oder auch dem sogenannten “Orient”. Ich bin Syrerin. Dass der Begriff „Orient“ als Überbegriff für ein geographisch so großes und kulturell so diverses Gebiet benutzt wird, finde ich super ignorant. Der Begriff ist keine geographische Angabe sondern steht für einen eurozentristischen Blick auf die vermeintlich “anderen”. Das macht mich also direkt etwas skeptisch.

MUSIK BREAK

Man hört Schritte im Museum

Ich begebe mich in den zweiten Stock des Museums in die Dauerausstellung, die sich dem Titel nach Afrika widmet. Wirklich ausgestellt sind jedoch nur Objekte aus subsaharischen Ländern des Kontinents. Es ist Montag und das Museum ist zu - deshalb ist es so ruhig hier. An meiner Seite ist Dr. Karin Guggeis.  Wie sich rausstellt, gehört sie hier quasi zum Inventar.

Sie kennt die ausgestellten Sammlungen in und auswendig. Und doch werfen viele Objekte bei ihr noch Fragen auf. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin für Provenienzforschung recherchiert sie zu der Herkunft der Artefakte. Auch zu der des Pfostens, vor dem wir jetzt stehen.

Guggeis: Wir sehen einen Pfosten bzw. eine Stele, die beidseitig beschnitzt ist und zwar gleichberechtigt. Die eine ist dunkel gefärbt, die andere ist hell gefärbt.

Wir stehen vor dem fast zwei Meter hohen hölzernen Pfahl. Darein sind Tiere, menschliche Wesen und geometrische Formen geschnitzt. An der Wand dahinter ist ein Spiegel angebracht, damit man sehen kann, dass der Pfosten auch auf der anderen Seite verziert ist. Insgesamt ist der Pfosten braun, das Holz relativ naturbelassen, aber einige Stellen sind auch bemalt. Ganz oben blicken mir zwei ernste Gesichter entgegen, die auf mich ernst wirken. Darunter sieht man eine kniende Figur, die die Hände vor der Brust zusammenhält. Das unten sieht aus wie Eidechsen. Ich hab keine wirkliche Idee, was diese Figuren bedeuten sollen. Die sind aber mehr als nur Dekoration, sagt Frau Guggeis:

Guggeis: Hier ist das zentrale Motiv ein Gegenstand, der bisher noch nicht entschlüsselt werden konnte. Es ist nach Aussage von einigen ein hörnerartiges Gebilde, nach Aussage von anderen ein pflanzenförmiges Gebilde. Aber es ist ein zentrales Motiv, das heißt, das ist auch überaus wichtig.

Diese ins Holz geschnitzten Figuren und geometrischen Formen. Lässt sich an denen vielleicht ablesen, wo der Pfosten herkommt?

Guggeis: jetzt nicht im Waldland, wo dieser Pfosten, diese Stele mit großer Wahrscheinlichkeit angeeignet wurde, sondern im Grasland weiter nördlich, werden diese Eidechsen mit Fruchtbarkeit verknüpft.

Waldland, Grasland - geografische Begriffe, die im 19. Jahrhundert europäische Reisende und Kolonialoffiziere in Kamerun prägten. Sie sind nach wie vor in der Forschung geläufig. Sie beschreiben zwei unterschiedliche Regionen im heutigen anglophonen Teil Kameruns - im Südwesten und Nordwesten des Landes. Sie beziehen sich auf die unterschiedliche Vegetation der Gebiete - zum einen die Savannenregion, zum anderen den Regenwald. Dort etablierten deutsche Truppen ihre Kolonialherrschaft, nachdem Kamerun 1884 zur deutschen Kolonie erklärt wurde.

Der Archivar und Historiker Florian Hoffmann hat sich vor einigen Jahren mit der Geschichte Kameruns beschäftigt - in einer Dissertation zur deutschen kolonialen Okkupation und Militärverwaltung  in Kamerun zwischen 1891 und 1914:

Florian Hoffmann: Also die sogenannte Pazifizierung und Inwertsetzung des Schutzgebietes hat eigentlich erst Mitte der 1890er Jahre angefangen. Bis dahin hat die koloniale Gewaltausübung faktisch schon wenige Kilometer hinter Douala geendet.

Die Deutschen führen vom Stützpunkt in der Hafenstadt Douala die militärische Expeditionen in das noch unbekannte Hinterland durch. Dort wo sie auf starken Widerstand der Einheimischen stoßen, übt das Militär Gewalt aus: Sie zerstören Dörfer, töten Erwachsene und Kinder. Einmal gesiegt, fordern sie von der lokalen Bevölkerung Naturalien oder  zwingen sie zur Arbeit, um die eigenen Kolonialstrukturen zu etablieren. Nach und nach bauen die Deutschen gewaltsam ihre Macht aus und wissen sich dabei zu bereichern: Viele kulturelle und sakrale Objekte geraten in ihren Besitz:

Guggeis: Zum Zeitpunkt, als Gegenstände wie diese Stele angeeignet wurden, hat man siepauschal meist als Fetisch oder als Götzenbild abgewertet

Sogenannte Fetische, Götzenbilder… Missionare und Kolonialist*innen verwendeten diese diffamierenden Begriffe für eine Vielzahl an Alltagsgegenständen, die sie willkürlich den lokalen Religionen zuordneten. 

Helen: War das denn gang und gäbe, das Kolonialmächte, geraubte Objekte, geraubte sakrale Objekte abgewertet haben?

Karin Guggeis: Auf jeden Fall. Denn es entsprach nicht den christlichen Vorstellungen von einem richtigen Glauben in Anführungszeichen. Es galt als heidnischer Kram.

Ich finde das echt abstrus: Die Europäer*innen reduzieren ihnen unbekannte Religion und Spiritualität auf etwas Seltsames und halten sie für extrem minderwertig im Vergleich zum Christentum. Gleichzeitig wollten sie diese Religionen und ihre sakralen Objekte zur Schau stellen, als wären es Siegestrophäen, und damit ihre vermeintliche Überlegenheit demonstrieren.

Kein Wort davon ist auf der Informationstafel neben dem Pfosten zu lesen.

Man hört Schritte - Holzboden

Auch als ich mich noch weiter in den Ausstellungssälen der Afrika-Sammlung umschaue, finde ich kaum Hinweise zum ethnologischen und historischen Kontext der Dinge, die hier ausgestellt sind.

Guggeis: Diese Ausstellung ist bereits 1999 aufgebaut worden. Die Objekte wurden bereits damals ausgewählt und nur zeitgenössische Werke wurden ergänzt.

Da war Karin Guggeis noch ganz frisch am Museum. Seither hat sich aber nicht viel getan. Kein Wort findet man über die koloniale Geschichte - und welche Rolle Museen dabei gespielt haben.

Dr. Uta Werlich ist hingegen erst relativ neu am Museum. Seit 2018 ist sie die Direktorin. Sie heißt uns zwischen hunderten Büchern und Ordnern in ihrem Büro willkommen und blickt zurück auf die Anfänge des Museums im 19. Jahrhundert:

Uta Werlich: Also leitendes Interesse war zum damaligen Zeitpunkt vor allen Dingen ein naturwissenschaftliches. Man wollte fremde Länder, fremde Regionen erschließen, kennenlernen und hat auf diesen sehr langen, ausführlichen Reisen gesammelt. Und zwar nicht nur die sogenannten Ethnographiker, materielle Kultur, sondern eben auch sehr viel Botanik, botanisches Wissen und Pflanzen mit zurückgebracht, naturwissenschaftlich gearbeitet, gerade auch zoologisch.

So landeten die ersten Sammlungen bereits vor der Gründung des Museums in München. Die Reisenden nahmen aber nicht nur zoologische und botanische Funde, wie Schmetterlinge  oder japanische Blumen mit. Das zeigt das Beispiel zweier Forscher, die im frühen 19. Jahrhundert Brasilien bereisten:

Uta Werlich: Auch wissen wir, dass Spix-Martius junge Indigene mit nach Bayern, nach München zurückgebracht haben, die dann eben leider auch hier vor Ort verstorben sind.

Genau in dieser Zeit also, als die sogenannte “Völkerkunde” in der deutschen Wissenschaft verbreitet war. Da strebte der Naturforscher, Japanologe und Arzt Philipp von Siebold danach, die Disziplin mit ihren rassistischen Denkweisen in Deutschland voranzutreiben.

Wissenschaftler*innen sollten die damals als “fremd” und “fern” geltenden Gesellschaften nicht länger nur auf Reisen erforschen, sondern ihre Kultur direkt in Europa präsentieren. Maximilian II. setzt die Pläne um - der damalige bayerische König hofft, seine Heimat zum führenden Zentrum der Wissenschaft und Kunst im deutschsprachigen Raum zu machen. Dafür gründet er die “Königlich Ethnographische Sammlung”:

Uta Werlich: …die 1862 mit Moritz Wagner einen ersten Konservator erhielt und dann ab 1868 erstmals im Galeriegebäude im Hofgarten dann auch für die Öffentlichkeit hier in München in Bayern regelmäßig zugänglich war.

Seit Jahrzehnten gelagerte Sammlungen waren von nun an ausgestellt, neue Objekte kamen dazu. Je weiter die Kolonialmächte sich ausbreiteten, desto mehr füllten sich die Bestände europäischer Museen wie dem in München. Und so kam auch der Pfosten, vor dem wir jetzt stehen, hierher:

Helen: Weiß man denn, was die Vorder- und Rückseite ist?

Karin Guggeis: Ne, das weiß man nicht. Überhaupt weiß man bisher sehr, sehr wenig von dieser Stele, diesem Pfosten.

Was man dafür aber sehr genau weiß, und auch auf der Website nachlesen kann: Warum das Objekt für die Kulturgeschichte Europas wichtig ist, und warum er Blauer Reiter Pfosten genannt wird.

(männl Stimme): Januar 1911: “Ich blieb schließlich staunend und erschüttert an den Schnitzereien der Kameruner hängen, die vielleicht nur noch von den erhabenen Werken der Inkas überboten werden” 

.. schreibt der Maler Franz Marc an seinen Freund und Kollegen August Macke über seinen Besuch im Berliner Völkerkundemuseum, wo er kamerunische Artefakte bewundert. Der Mitbegründer der Münchner expressionistischen Künstler*innen-Gruppe der Blaue Reiter ist begeistert und sucht zurück in München die dortige afrikanische Sammlung auf. Im Museum für Völkerkunde, wie es damals noch hieß, muss er zum ersten Mal auf den Pfosten aus Kamerun gestoßen sein. Denn kurze Zeit später bildet die Künstlergruppe ihn in ihrem Buch “Almanach der Blaue Reiter” neben anderen Fotos von Kulturgütern ab. Dazu der Essay “Die Masken” von August Macke. Darin kritisiert der Maler den abwertenden Umgang des Kulturbetriebs mit den ethnographischen Sammlungen.

Die expressionistischen Künstler*innen erhoben das, was sie “primitive Kunst” nannten, zu Meisterwerken. Fasziniert vom Handwerk aus außereuropäischen Ländern, haben sie gehofft, damit die Kunstwelt in Europa ästhetisch zu erneuern. Und machten den Pfosten zum Teil der europäischen Kunstgeschichte.

Joseph B. Ebune: just the name of the object is problematic to me. Why call it the Blue Rider?

O.V. Der Name des Objekts ist problematisch. Warum Blauer Reiter?

Für den Geschichtsprofessor Joseph Ebune von der Universität Buea in Kamerun ist der Name problematisch. Wir treffen ihn mit zwei seiner kamerunischen Kollegen im Besprechungsraum des Münchner Museums.

Ebune:  And this afternoon we are just trying to, you know, brainstorm as to where the origin of the object might have been

O.V. Und heute nachmittag brainstormen wir, woher das Objekt stammen könnte.

Der über 60-Jährige Professor konnte auf dieser Reise das Objekt zum ersten Mal in echt betrachten. Er wirkt ernüchtert darüber, wie er den Pfosten hier vorfindet. Und das kann ich verstehen.  Allein schon die Bezeichnung “Pfosten” stört mich. Das ist eine platte funktionale Bezeichnung, dabei ist das Objekt kunstvoll verziert und hatte ja vielleicht eine ganz andere Funktion als nur ein “Pfosten” zu sein. Da merkt man auf jeden Fall, dass das Leute so genannt haben, die selbst nicht besonders viel über das Objekt und seine Bedeutung wussten.

Und Professor Ebune kritisiert besonders den Zusatz im Namen “Blauer Reiter”. Er sagt, das vernachlässigt die Herkunft des Objekts und was es ursprünglich mal Menschen bedeutet hat.

Ebune: This is a complete distortion of African history, which creates a problem for us to restructure, reconstruct our past historical setting.

O.V. Das ist eine Verzerrung der afrikanischen Geschichte und dadurch wird es schwerer unsere Vergangenheit zu rekonstruieren.

Und da kommen wir zur Formel vom Anfang - solange Täter:innen die Geschichte erzählen und nicht Betroffene… Ein altes Sprichwort, das in verschiedenen Abwandlungen und Sprachen existiert. Von Zimbabwe bis Ghana ist es in vielen afrikanischen Ländern bekannt. Trotz unterschiedlicher Herkunft, die zugrunde liegende Bedeutung bleibt dieselbe: Der Inhalt einer Geschichte und die Art und Weise, wie sie erzählt wird, hängt von der Perspektive und den Erfahrungen des Erzählenden ab.

Joseph Ebune will die Geschichte des Pfostens aus der kamerunischen Perspektive erzählen. Er stammt aus derselben Region wie der Pfosten. Doch auch er weiß nicht sicher, wie das Objekt ursprünglich hieß und genutzt wurde:

Ebune: How can we know? How can we know? The makers of this object had a precise reason. It was, from all indications, a spiritual object. [...] From the look of things and even seeing it the way it is now. Parts of it are falling off, so we cannot clearly even say that this is what this object was meant for. But [...] in my opinion, it was a spiritual object. It was. And the purpose for it is lost.

O.V. Wie sollen wir das wissen? Man hat es aus einem bestimmten Grund hergestellt. Es war, Von dem was wir wissen wohl ein spirituelles Objekt. Es ist beschädigt und wir können es nicht sicher sagen, aber ich denke es war ein spirituelles Objekt. Und sein Zweck ist verloren.

Der ursprüngliche Sinn des Pfostens sei also verloren, meint Professor Ebune. 

Ebune: That wouldn't have been an object produced by an individual. That was a community project owned by the community, intended for a particular purpose.

O.V. Das wurde nicht von einem Individuum hergestellt. Das war ein Gemeinschaftsprojekt mit einem bestimmten Zweck.

Doch welchen Zweck erfüllte dieser Pfosten? Indizien liefert uns ein alter Reisebericht aus dem Jahr 1902:

Der deutsche Offizier und Afrikaforscher Franz Hutter besucht in Kamerun ein Dorf der Bakundu-Gesellschaft und schreibt:

Ton einer Schreibmaschine       

männliche Stimme: “In der Mitte gleich am Eingang entweder eine Holzsäule oder ein Stein von etwa Manneshöhe. Er ist meist mit weißen und schwarzen Vierecken bemalt, bedeckt mit einer Mütze und behangen mit Schädeln, Fetischen und Amuletten.” [...]

Das klingt doch ziemlich ähnlich wie das, was wir vorhin beschrieben haben. Laut Franz Hutter fanden Menschen Schutz, wenn sie die Säule mit der Fingerspitze berührten. War das also die Funktion des Pfostens? Karin Guggeis meint: ja. Eine frei stehende Stele im Versammlungshaus einer Dorfgemeinschaft des sogenannten Waldlandes - das ist ihre These. Vielleicht diente sie dem Schutz eines Handelsbundes.

Guggeis: Entgegen der kolonialen Vorstellungen von Afrika als aus Stämmen bestehend, die alle isoliert vor sich hin gelebt haben, bestand es dort ausgedehnte Handelsnetze.

Handel verschaffte den Dorfgemeinschaften materiellen Reichtum.

Guggeis: Damit die Händler auch in Sicherheit beispielsweise reisen konnten. Und auch sich als Einheit erkennen konnten, gab es eben bestimmte Zeichen. Und eines dieser Zeichen ist meinen Forschungen zufolge möglicherweise auch dieser Pfosten.

Vermutungen, die das Rätsel um den Pfosten nicht mit Sicherheit lösen. Wie auch, wenn das Objekt zerlegt und aus seiner ursprünglichen Umgebung gerissen wurde? Wenn nur fremde, europäische Überlieferungen darüber Auskunft geben?

Es fehlen entscheidende Bausteine, um seine Geschichte zu rekonstruieren - das meint auch der Historiker Dr. Elvis Nkome Ngome der Universität Buea. Er begab sich in seiner kamerunischen Heimatregion auf Forschungsreise. Dort kommt der Pfosten nämlich vermutlich her. Eine schwere Aufgabe, denn im Nordwesten des Landes herrscht Krieg. In den Dörfern, die er sicher erreichen konnte, zeigte er Bewohner:innen auf seinem Smartphone Fotos des Pfostens oder er verschickt sie über soziale Medien. Er befragt  die Menschen, ob sie etwas wiedererkennen oder die Motive ihnen bekannt vorkommen

Ngome Elvis Nkome: Of course, the aspect of memory loss could not be, of course, ignored because the project is taking place after a very long historical span.

O.V. Man muss bedenken, dass der Verlust von Erinnerungen ein Thema ist. Die Geschichte liegt weit zurück.

Dadurch fehlt Wissen in den Gemeinschaften, sagt er.

Ngome Elvis Nkome: So that's a cultural disconnection because even the heritage has fast disappeared. Most of the communities where these things were produced, that technology is no longer there.

O.V. Das ist eine kulturelle Trennung, denn dieses Erbe ist verschwunden. In den Gemeinschaften, wo diese Dinge hergestellt wurden, gibt es die Technologie nicht mehr.

Doch manche Kulturelemente des Pfostens haben überlebt und finden sich auch noch heute in West-Kamerun.

Ngome Elvis Nkome: among the Orokos and the Bakundu of Cameroon. you still have traces of this culture among the people that I've just mentioned. 

O.V. Man findet in diesen Volksgruppen noch Spuren dieser Kultur.

Auch andere Spuren führen auf das sogenannte Waldland zurück, wie beispielsweise das Material des Pfostens - vermutlich Iroko-Holz:

Ngome Elvis Nkome: These are typical forest type species of wood that could only be found around the forest.

O.V. Das sind typische Holzarten, die nur im Wald zu finden sind.

Doch auch eine Verbindung zum Grasland besteht - in dortigen Palästen finden sich reichliche Verzierungen oder auch ähnliche Pfosten. Waldland und Grasland, das sind übrigens Begriffe, die die kamerunischen Forschenden auch selbst verwenden. Vermutlich kam es zwischen den Regionen zu einem Transfer der Arbeitstechniken und Motive, meint Dr. Albert Gouaffo. Er ist Professor für Germanistik und Kulturwissenschaften an der kamerunischen Universität Dschang.

Das kamerunische Forschungsteam diskutiert hitzig und ist sich nicht immer einig. Besonders wichtig für Albert Gouaffo ist die Verwandlung in ein rituelles Objekt. Ein Kultobjekt, mit dem sich eine Gruppe identifizierte, das ihre gesellschaftlichen Verhältnisse strukturierte. Professor Gouaffo nimmt an, dass solche Objekte den Kolonialkräften ein Dorn im Auge waren:

Albert Gouaffo: Quand vous êtes attaché à quelque chose et quand on constate qu’on arrive à vous vaincre parce que vous êtes attaché à cette chose là, pour vous humilier, pour vous anéantir, on vous prive de cette chose. [...]

V.O.: Wenn man an etwas gebunden ist und man feststellt, dass man dich damit besiegen kann, um dich zu demütigen, dich zu vernichten, dann nimmt man dir diese Sache weg. [...]

Ok das klingt nach einer bekannten und grausamen Taktik.

Auch wenn wir nicht genau sagen können, wem genau hier die Identifikationsfigur weggenommen wurde. Wir wissen wer es getan hat:

Max von Stetten. Deutscher Offizier. 1891 in der deutschen Kolonie Kamerun stationiert. Eine rasante Militärkarriere wartet dort auf ihn und die ist mit viel Gewalt verbunden: Leiter der Polizeitruppe, später Kommandeur der neuformierten sogenannten „Schutztruppe“ für Kamerun.

Historiker Florian Hoffmann hat sich mit ihm in seiner Dissertation beschäftigt: 

Florian Hoffman: Man kann wohl zusammenfassend sagen, dass er schon einen ganz wesentlichen Anteil am Aufbau militärischer paramilitärischer Strukturen in der Kolonie hatte. Und auch für die ersten Kontakte zwischen afrikanischen Gesellschaften und der Kolonialmacht in bestimmten Bereichen West-Kameruns, die in der Regel gewaltsam erfolgt sind, eine wichtige Rolle gespielt hat.

Von Stetten kehrt bereits 1895 endgültig nach Deutschland zurück - doch nicht mit leeren Händen. Er schenkt dem Münchner Museum Objekte, die er auch den Militärexpeditionen nun ja .. angeeignet hat - das ist ein Begriff, der erst mal noch offen lässt, ob es sich um Raub handelt - könnten also theoretisch auch Tauschgeschäfte oder Käufe sein. Zu den über 200 Artefakten aus Kamerun forschen Karin Guggeis, Joseph Ebune, Elvis Nkome Ngome, Albert Gouaffo und weitere kamerunische Wissenschaftlicher*innen seit 2019.

Karin Guggeis: Denn bei einem Kommandeur der Schutztruppe bestand doch dringender Forschungsverdacht, ob die Gegenstände, die er dem Museum übermittelt hat, ob die tatsächlich rechtmäßig oder nicht doch auch unrechtmäßig erbeutet worden waren.

Nach derzeitigem Stand sind viele Objekte bei gewaltvollen Militäraktionen in von Stettens Besitz geraten - auf sogenannten Strafexpeditionen. Beim Pfosten bleibt jedoch der Erwerbskontext unklar:

Karin Guggeis: Fest steht, dass Max von Stetten 1891 nach Kamerun kam, und im Januar 1893 wurde dieser Pfosten im Museum inventarisiert, das heißt, er muss spätestens im Dezember 1892 verschifft worden sein von Kamerun. Was hat Max von Stetten nun in dieser Zeit gemacht?

MUSIK BREAK

“In Kamerun ist wieder einmal Blut gelaufen” heißt der Einleitungssatz eines Artikels der Kölnischen Zeitung von 1891. Gemeint ist die sogenannte Strafexpedition gegen die Abo-Bevölkerung im Hinterland der Hafenstadt Douala. An ihr war auch von Stetten beteiligt. Strafexpedition - das hört man immer wieder wenn es um deutsche Kolonialgeschichte geht, aber was heißt das genau?

Florian Hoffman: Das ist sowieso ein Euphemismus - dieser Begriff, der eigentlich voraussetzt, dass es einen Grund gab, sich dort militärisch zu betätigen, den gab es in dem Sinne manchmal, dass vorher Händler, Kaufleute, andere Reisende zu Schaden kamen, teilweise auch getötet worden sind, aber nicht immer.

Albert Gouaffo: On appelle ça poliment expédition punitive. [...] Mais c'est la guerre. Ils ont fait quoi pour être punis? [...] Ils sont punis parce qu'ils n'ont pas respecté les règles? Quelles règles, quelles règles? Les règles du commerce intérieur donc. Ces populations [...] ont été extrêmement brutalisées pour ceux qui voulaient opposer une résistance,

V.O.: Wir nennen das höflich Strafexpedition. Aber wir sind im Krieg. Was haben sie getan, um bestraft zu werden? Sie wurden bestraft, weil sie sich nicht an die Handelsregeln gehalten haben. Man ging extrem brutal gegen Widerstand vor.

Florian Hoffman: Also Strafexpedition. Das wird eigentlich fast immer verwendet als Begriff in dieser Frühzeit, aber es waren im Grunde genommen paramilitärische, quasi militärische Expeditionen ins Hinterland.

Der Konflikt mit den Abo bahnt sich bereits zu Beginn der deutschen Herrschaft an: Zwei Anführer weigern sich mit der deutschen Besatzung sogenannte Schutzveträge zu schließen, also ihr Land zu überschreiben. Die Bevölkerung versucht selbst einen deutschen Admiral festzuhalten.

Als sich die Bevölkerung im Dorf Miang wehrt, brennen die Kolonialtruppen die Häuser nieder und lassen einen Anführer hinrichten. Auch das verlassene Dorf Bonakwese zerstören sie.

Der Expeditionsleiter Karl von Gravenreuth schreibt über den Sieg gegen die Abo:

männliche Stimme: Am nächsten Morgen übernahmen die drei Kompanien die völlige Zerstörung von Miang. [...] Am nächsten Tage konnte ich, ohne einen Schuß zu thun oder zu erhalten, die Zerstörung von Bonakwase vollziehen.

Man hört das Forschungsteam diskutieren

Joseph B. Ebune: And the tentative conclusion we draw. You see, the circle we have, produced here that it is most likely that the Blue Rider Might have been carried away. From any of these communities ...

O.V. Unsere vorläufige Erklärung ist, da wo der Kreis ist wurde das Objekt hergestellt, und dann weggebracht..

Professor Ebune sitzt an einem Tisch im Besprechungsraum des Museums und zeigt auf eine Karte Kameruns. Eine handgezeichnete Linie umkreist verschiedene Ortsnamen. Daneben steht in Großbuchstaben “Waldland”. Den Kreis durchquert eine rote Linie - der Mungo River - auf dem vermutlich von Stetten den Pfosten nach Douala transportierte. Von der Hafenstadt kam er dann nach Deutschland.

Joseph B. Ebune: This is the Mungo River. You would not have carried an object like that. That the possibility was that it came from here and was easy to transport it to the coast to Douala before brought to Germany.

Hat Max von Stetten bei seiner ersten kamerunischen Militäraktion  gegen die Abo den Pfosten geraubt? Professor Gouaffo vermutet das.

Albert Gouaffo: Donc, je me dis que ça a attendu un an à Douala pour pouvoir être transporté. L'hypothèse, c'est que soit l'objet était très grand ou la quantité n'était pas assez suffisante pour pouvoir faire une collection et envoyer.

V.O.: Vermutlich lagerte der Pfosten vor dem Transport ein Jahr in Douala. Entweder war er zu groß oder die Menge an Objekten reichte nicht aus, um sie als Sammlung zu verschiffen.

Frau Guggeis wirft eine andere Hypothese auf. Sommer 1892: Von Stetten kehrt nach einem kurzen Genesungsaufenthalt in Deutschland nach Kamerun zurück.

Karin Guggeis: Und kurz darauf startete er eine Expedition, eine Forschungsexpedition vom Waldland in das Grasland. Dort sind keine militärischen Überfälle   berichtet. Und Max von Stetten beschreibt einige der Dörfer, die er im Waldland durchquert hat, als verlassen, sodass die Wahrscheinlichkeit besteht, dass er, kurz bevor er den Posten dann dem Museum übermittelt hat, dass er ihn kurz vorher auf dieser Expedition sich angeeignet hat, in einem dieser verlassenen Dörfer, und zwar verlassen, das heißt auch ohne Einverständnis der Bewohner und Bewohnerinnen.

MUSIKTRENNER

Es gibt also verschiedene Hypothesen, wie der Pfosten entwendet wurde. Auf einen Raub kann sich das deutsch-kamerunische Team jedenfalls nicht einigen. Auf die Frage, ob es ein Verbrechen war - stellt Professor Ebune eine Gegenfrage:

Joseph B. Ebune: What other way would have been more appropriate? Other then the use of the word crime.

O.V. Wie soll man es denn sonst nennen, wenn nicht Verbrechen?

Er holt aus:

Joseph B. Ebune : Let me ask you a question. Who benefits? Up to this moment, we are talking. From all these works of art which are brought from Africa and that are in this museum. Who is benefiting? The museum. There's no doubt about it.

V.O. Wer profitiert von den ganzen Arbeiten aus Afrika, die hier im Museum lagern? Das Museum selbst.

Elvis Nkome Ngome lässt den Professor fast nicht ausreden. Aufgeregt mischt er sich ein und setzt noch eine Frage drauf:

Ngome Elvis Nkome: I have a question which I was to ask the museum administration. And the question is, why is the object very primordial? Why is it very important to the museum? More than other objects.

V.O.: Ich habe eine Frage an das Museum: Warum ist das Objekt so wichtig, warum wird so viel Wert darauf gelegt - mehr als auf andere?

Mit der Frage gehen wir zur Museumsleiterin Uta Werlich.

Uta Werlich: gerade über den Verbleib solch eines Objektes, das eben durch die Publikation im Almanach Der Blaue Reiter auch für die deutsche Kunstgeschichte und auch für die deutsche Historie Bedeutung erlangt hat, müsste man natürlich verhandeln. Welche Modalitäten gibt es?

Den Pfosten abzugeben würde dem Museum also besonders wehtun. Gibt es denn im Moment schon Pläne einer Rückgabe? Da hält sich Uta Werlich bedeckt.

Uta Werlich: wenn der Abschlussbericht vorliegt, dann wird der natürlich juristisch geprüft und dann als Entscheidungsgrundlage entsprechend an den Minister weitergegeben. Und davor kann man diesbezüglich kein Statement abgeben.

Fördergelder für Forschungsprojekte wie das zur Sammlung Max von Stetten vergibt das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste. Es ist das erste geförderte Projekt zu Sammlungsgut aus einem kolonialen Kontext. Denn die Aufgabe der Stiftung war zunächst die Aufarbeitung von NS-Kunstraub. Erst seit Januar 2019 gibt es auch einen eigenen Bereich für Kulturgut aus kolonialen Kontexten. Dr. Larissa Förster leitet diesen Bereich, in dem nun nach drei Jahren die ersten Forschungsberichte vorliegen.

Larissa Foerster: wir sind jetzt gerade im Prozess überhaupt die Ergebnisse erst auch zu lesen und durchzuarbeiten unsererseits. Aber was man tatsächlich sagen kann - bei einigen Projekten sind durch die Forschung wiederum andere kritische Bestände aufgetaucht, so dass wir jetzt Fragen kriegen: Könnten wir denn als nächstes als Museum diesen anderen Bestand bearbeiten?

Befristete Forschungsstellen sind dafür eigentlich zu wenig, sagt sie.

Larissa Foerster: Grundsätzlich ist bei Projektförderung immer das Problem, dass sie natürlich nicht ganz so nachhaltig ist, wie wenn man zum Beispiel feste Stellen an Institutionen schaffen würde.

. Denn es wird noch Jahre oder eher Jahrzehnte dauern, bis man die Herkunft vieler Objekte in deutschen Museen geklärt hat. Von allen die Herkunft zu klären halten Expert:innen sogar für ganz unmöglich.

Und damit ist immer noch nur eine Seite der Geschichte erzählt - was ist mit Forschenden aus den Herkunftsländern der Objekte?

Larissa Förster: Es muss aber da ganz viel Wissensaustausch erst stattfinden, weil natürlich die Kolleginnen in den Herkunftsländern ganz oft diese ziemlich komplexe deutsche Museumslandschaft nicht kennen. Die kennt ja kaum jemand, der nicht im Museum Sektor in Deutschland arbeitet wirklich.

Wir haben in Deutschland Kulturföderalismus, also jedes Bundesland macht ein bisschen sein eigenes Ding. Manchmal gehören die Museumsobjekte dem Land, manchmal Privatleuten oder Stiftungen.

Larissa Förster: Also momentan ist die Arbeit, dass wir versuchen wirklich so Informationen hin und her zu spielen, zu motivieren. Und dann könnten aber eben Antragsteller sozusagen aus den Ländern wie in Deutschland gemeinsam Projektanträge schreib en und es können dann auch Mittel in die Länder gehen, um da vor Ort zum Beispiel Oral History Forschung oder auch Recherche in lokalen Archiven zu finanzieren.

MUSIKBREAK

[[ Hierzu ein Update von Mitte August, denn da hat sich noch was getan, seit wir im Mai in München waren:

Karin Guggeis war im Rahmen des zweijährigen Förderprojekts für Provenienzforschung angestellt. Das ist inzwischen ausgelaufen und sie arbeitet wieder für die Fotografie und Schriften Sammlung des Museums. Der Abschlussbericht zur Sammlung Max von Stettens ist fertig und liegt bei der Direktion. Seit kurzem ist am Museum Fünf Kontinente eine Stelle für Provenienzforschung ausgeschrieben, Vollzeit und befristet für zwei Jahre. ]]

Trennerton

Wie viele außereuropäische Objekte in Europas Museen lagern, hat noch niemand genau gezählt. Unumstritten ist jedoch, dass sich die Mehrheit des materiellen Kulturerbes Afrikas heute auf europäischem Boden befindet. Davon lagern auch einige Kulturgüter im Museum Fünf Kontinente. Digitalisierte Eingangsbücher geben Auskunft darüber. 13 - das ist die Nummer des Pfostens unter insgesamt 964 inventarisierten Objekten für das Jahr 1893. Rechtmäßig erworben? Oder erbeutetes Gut? Woran lässt sich das bestimmen?

Albert Gouaffo: Ce sont des mangues qui étaient sur les arbres que vous avez ramassés? Vous avez pris le Ngonso en route, ou bien vous avez pris le Blue Rider dans la rigole? Non, vous les avez collectés. Collectés. Comment? Vous les avez vous Erworben? Comment? Vous venez avec le fusil à l'épaule. Vous venez avec une structure. Vous venez sans être invité. Vous commencez par vous imposer Déjà la violence symbolique dit tout sur l'attitude que doivent adopter les populations locales. Soit ils résistent et ils reçoivent la force du feu, soit ils collaborent. Entre 84 et 1920. Je crois que ce serait hardi de dire qu’il y a eu un échange consensuel.

V.O.: Sind das Mangos, die sie von den Bäumen gepflückt haben? Haben Sie die Ngonso auf dem Weg mitgenommen, lachend den Blauen Reiter eingepackt? Nein, sie haben sie gesammelt, sie erworben. Aber wie? Sie kamen mit dem Gewehr auf der Schulter. Mit einer Struktur. Ohne Einladung und setzten sich durch. Diese symbolische Gewalt sagt bereits alles über die Haltung aus, die die lokale Bevölkerung einnehmen musste. Entweder sie leisteten Widerstand und erfuhren als Antwort Gewalt oder sie kollaborierten. Ich denke es ist dreist zu behaupten, zwischen 1884 und 1920 hätte es einen einvernehmlichen Austausch gegeben.

Dass  man sich heute, über 100 Jahre später, auf Augenhöhe begegnet - das war Ziel des Forschungsprojektes in München. Deshalb holte man das kamerunische Forschungsteam ins Boot. Doch der erste gemeinsame Dialog scheitert im Januar 2022, als das kamerunische Forschungsteam nach München reisen will. Die deutsche Botschaft verweigert den Forschenden Joseph Ebune, Elvis Nkome Ngome und ihrer Kollegin Yrine Matchinda das Visum. Obwohl genau das, was sie machen, nämlich die Aufarbeitung der deutschen  Kolonialgeschichte, sogar im Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgeschrieben ist.

Aus einem schriftlichen Statement des Auswärtigen Amtes geht hervor:

Gelesen Statement: “Unsere Botschaft in Jaunde [hat] ihre Unterstützung für das Projekt unter anderem dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie mit dem Museum in stetem Austausch stand, zur Visumantragstellung beraten und den Antragstellenden einen Sondertermin gewährt hat, wodurch andere Antragsteller und Antragstellerinnen hintangestellt wurden.”

Ngome Elvis Nkome: It was an embarrassment. I mean, this is  a social embarrassment.

Die Forschergruppe ist enttäuscht

Joseph Ebune: The reception we had at the embassy was not cordial at all on the initial stage. It was not cordial. It looks us as if: When a black man wants to come to a European country, there's always that suspicion that or he's coming to stay or something like that.

V.O. Die Botschaft hat uns anfangs überhaupt nicht freundlich willkommen geheißen. Es wirkt so: wann immer ein Schwarzer Mann in ein europäisches Land kommen will, gibt es immer Misstrauen, dass er im Land bleiben will oder so.

Statement weiter: “Bedauerlicherweise hatten die Antragstellenden die aufgrund der Rechtslage erforderlichen Unterlagen im Januar nicht beigebracht, in der Folge konnten die Visa damals nicht erteilt werden.”

Fehlende Geburtsurkunden bei beiden Wissenschaftlern und laut Ablehnungsbescheid: Zweifel an der Rückkehrabsicht ihrer Kollegin Yrine Matchinda. Die Expertin in Sachen Raubkunst, Bénédicte Savoy, äußert sich in einem Online-Statement dazu:

Twitter-Statement: Die restriktive Visa-Politik Deutschlands und der EU, die Prof. Gouaffo zu Recht als strukturellen Rassismus bezeichnet, konterkariert einmal mehr die Forschung zu Objekten aus kolonialen Kontexten. Letztere ist nur möglich, wenn Wissenschaftler:innen und zivilgesellschaftliche Vertreter:innen aus den Herkunftsgesellschaften gleichberechtigt teilnehmen können.

Joseph Ebune: Even now that we are here, we had to go through a lot of stress. A lot of stress. And at one time I almost gave up the idea of coming as an individual.

OV Auch wenn wir jetzt hier sind - das war ein riesiger Stress. Und ich habe zwischenzeitlich schon nicht mehr dran geglaubt, dass ich kommen kann.

Nach all den Strapazen klappt es schließlich doch. Mai 2022: Das kamerunische Forschungsteam reist nach München. Alfred Gouaffo sieht den Pfosten nicht zum ersten mal, denn er war bereits 2020 für das Forschungsprojekt in München zu Besuch. Und doch löst er bei ihm immer noch eine verbitterte und gleichzeitig überraschte Reaktion aus:

Alfred Gouaffo: C'était une réaction de surprise et c'était une réaction d'amertume. /V.O..:Surprise parce que je ne pouvais pas comprendre que depuis plus de 100 ans, des gens conservent un patrimoine culturel auquel ils s'identifient pas nécessairement

V.O.: Überrascht, weil ich nicht verstehe, wie Menschen seit mehr als hundert Jahren ein kulturelles Erbe bewahren, mit dem sie sich nicht unbedingt identifizieren.

MUSIK BREAK

Die Debatte um Restitution - also Wiedergutmachung, zum Beispiel in Form von Rückgaben -  wird in Deutschland in den letzten Jahren erst lauter geführt. Doch in den Herkunftsländern der Objekte ist die Diskussion schon sehr viel älter. Albert Gouaffo kennt sie nur zu gut: Die Stimmen aus Yaoundé, Nairobi, Dakar, … Menschen, die auf dem ganzen afrikanischen Kontinent und innerhalb der Diaspora seit Jahrzehnten für eine gerechte Lösung kämpfen. Sie mussten viele Rückschläge erfahren. Und doch bleibt Prof. Gouaffo hoffnungsvoll: 

Albert Gouaffo: la question des réclamations ne date pas d'aujourd'hui. C'est depuis 1872, et plus amplement depuis les années 60-Chaque fois, on a ouvert la page, on a fermé. Je pense que cette page là, on la fermera plus.

V.O. Die Fragen rund um Rückgaben stammen nicht von heute. Seit 1872 stehen sie im Raum, seit den 1960ern stärker. Jedes Mal wenn ein Kapitel geöffnet wurde, wurde es wieder zugeschlagen. Doch dieses Mal lässt es sich nicht mehr schließen. 

MUSIK

Die Recherche zum sogenannten Blaue-Reiter-Pfosten hat mir gezeigt, dass wir darüber nachdenken müssen, wer Zugänge und Ressourcen hat, um die Geschichte solcher Objekte zu erforschen.

Wenn wir nochmal auf unser Sprichwort vom Anfang zurückkommen - für den sogenannten Blaue Reiter Pfosten ist die Geschichte des Löwen noch nicht auserzählt. Die Perspektive der Gesellschaft, aus der der Pfosten stammt, noch nicht vollständig wiederhergestellt. Ich wünsche mir jedenfalls, dass der Pfosten dorthin zurückkommt, von wo er wirklich stammt. Dass die Nachfahr:innen derer, die ihn ursprünglich erschaffen haben, ihm begegnen. Und vielleicht sogar darin etwas sehen, dass ihnen hilft, ihre Identität besser zu verstehen und ihre Geschichte neu zu schreiben.

MUSIK ABSPANN

Das war “Akte: Raubkunst?” über den sogenannten Blaue Reiter Pfosten. Ich bin Helen Fares und ich freu mich, wenn ihr auch in unsere nächste Folge reinhört, da geht es um ein Kulturgut, mit dem Menschen in Papua-Neuguinea früher mit ihren Ahnen in Verbindung blieben. Wenn euch dieser Podcast gefällt, klickt auf jeden Fall auf abonnieren und erzählt es weiter!

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Akte: Raubkunst? ist eine Produktion von Good Point Podcasts im Auftrag von ARD Kultur. Die Autorin dieser Folge ist Luna Ragheb. Executive Producer und Redaktion: Eva Morlang, Head of Content ARD Kultur: Kristian Costa-Zahn, Produktionsleitung ARD Kultur: Reimar Schmidtke, Schnitt: Tina Küchenmeister, Sounddesign: Josi Miller.

Rechte: ARD Kultur

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