Neue Studie Forscher sehen Cortisolmangel als mögliche Erklärung für Long Covid
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Nach Angaben des Deutschen Ärzteblatts kämpfen allein in Deutschland rund 350.000 Menschen mit den Langzeitfolgen einer Corona-Infektion. Eine neue Studie hat nun auffällige Werte im Blut und in den Immunzellen von solchen Long-Covid-Patienten entdeckt. Die Ergebnisse könnten für die Therapie von großer Bedeutung sein.

Genesen, aber trotzdem nicht gesund: Zahlreiche Patienten haben auch nach einer überstandenen Corona-Erkrankung mit Spätfolgen zu kämpfen. Typische Symptome sind Müdigkeit, Erschöpfung, Konzentrationsproblemen oder dauerhafte Schmerzen. Etwa zehn bis 20 Prozent der Menschen, die sich mit Corona infiziert haben, leiden nach der Erkrankung an Spätfolgen.
Long Covid
Von Long Covid spricht man,
wenn gesundheitliche Beschwerden auch noch mindestens vier Wochen nach der akuten Krankheitsphase auftreten.
Doch die Ursachen für Long Covid sind immer noch nicht eindeutig geklärt. Auch wirksame Therapiemöglichkeiten sind noch nicht gefunden. Es gibt lediglich verschiedene Vermutungen, was Long Covid auslösen könnte. Eine neue US-amerikanische Studie könnte die Forschung nun ein ganzes Stück weiterbringen.
US-Wissenschaftler finden mögliche Ursachen von Long Covid
Unter der Leitung von Immunologin Akiko Iwasaki verglichen Forscherinnen und Forscher der Yale University die Befunde von 99 Probanden, bei denen Long Covid diagnostiziert worden war, mit den Befunden von 116 Probanden aus Kontrollgruppen. Diese waren entweder
- gesunde Menschen, die noch nie an Corona erkrankt sind oder
- gesunde, geimpfte und ungeimpfte Menschen, die bereits eine Infektion durchgemacht haben und nicht unter Long Covid litten.
Die Wissenschaftler erkannten bei den immunologischen Untersuchungen auffällige Werte im Blut und den Immunzellen von Long Covid-Patienten.
Obwohl die Studie bisher noch nicht von Fachleuten begutachtet wurde, stößt sie international auf großes Interesse. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach meldete sich via Twitter zu Wort:
Endlich kommt Licht in den Long-Covid-Tunnel.
Die Mehrheit der Probanden mit Long Covid hatte sich 2020 während der ersten Infektionswelle mit dem Coronavirus infiziert. Keine der teilnehmenden Personen wurde im Krankenhaus behandelt, alle hatten einen leichten bis mittleren Krankheitsverlauf. Alle Betroffenen berichteten über Symptome wie Verwirrtheit, Fatigue (Gefühl von anhaltender Müdigkeit) oder Brain Fog. Von Brain Fog spricht man, wenn sich Patienten wie in "Watte gepackt" fühlen und mit Konzentrationsschwäche und Gedächtnisstörungen zu kämpfen haben.
Long Covid-Patienten hatten einen deutlich geringeren Cortisol-Spiegel
Dem US-amerikanischen Forschungsteam fiel bei den Long Covid-Patienten ein niedriger Cortisol-Spiegel im Blut auf. Zur Erklärung: Cortisol ist ein körpereigenes Hormon, das in der Nebennierenrinde gebildet und vermehrt bei Stress freigesetzt wird. Cortisol hat unter anderem Einfluss auf den Blutzucker und den Fettstoffwechsel, verzögert die Wasserausscheidung und wirkt entzündungshemmend.
Der Cortisolspiegel schwankt im Laufe des Tages. Die Konzentration ist zwischen sechs und acht Uhr morgens am höchsten und nimmt gegen Tagesende ab, sodass der Körper langsam zur Ruhe kommt. Bei anhaltendem Stress kann ein hoher Cortisolspiegel chronisch werden.
Das macht ein Cortisolmangel mit unserem Körper
Cortisol stellt aber auch Energie aus den Energiespeichern des Körpers bereit. Die niedrigen Cortisolwerte der Long Covid-Patienten könnten also Symptome wie Fatigue erklären.
Niedrige Cortisol-Konzentrationen als neuer Biomarker
Akiko Iwasaki, Leiterin der Studie, bezeichnet das niedrige Cortisollevel als ein "signifikantes Anzeichen", um Long Covid zu erkennen. Der Cortisolspiegel könnte zukünftig zusammen mit anderen Werten als Biomarker für ein Long Covid-Diagnoseverfahren dienen. Biomarker werden in der Medizin und Forschung genutzt, um zu schauen, ob Vorgänge im Körper normal ablaufen oder nicht.
Für Betroffene könnte das sichere Diagnoseverfahren von enormer Bedeutung sein, da Long Covid endlich als ernstzunehmendes medizinisches Problem wahrgenommen werden würde. Das liegt auch Studienleiterin Akiko Iwasaki am Herzen. Auf Twitter schrieb sie:
Wir hoffen, dass diese Daten den Skeptikern helfen zu verstehen, dass Long Covid echt ist und einen biologischen Ursprung hat.
Weitere Auffälligkeiten bei Long-Covid-Patienten
In den Proben der 99 Long-Covid-Patienten wurden noch weitere Auffälligkeiten gefunden. Unter anderem war bei den Probanden die Zahl der T-Zellen erhöht. T-Zellen sind enorm wichtig für das menschliche Immunsystem. Sie erkennen körperfremde Strukturen wie beispielsweise Viren und ermöglichen eine gezielte Abwehr. Das deute auf einen Entzündungsherd im Körper hin, so Akiko Iwasaki.
Außerdem entdeckten die Wissenschaftler, dass bei den untersuchten Long-Covid-Patienten die Antikörper, die das Epstein-Barr-Virus bekämpfen, erhöht waren. Das Epstein-Barr-Virus gehört zur Familie der Herpesviren und ist unter anderem Auslöser des Pfeifferschen Drüsenfiebers. Die erhöhten Antikörper weisen darauf hin, dass im Körper schlummernde Herpesviren durch die Corona-Infektion reaktiviert wurden.
Zusätzlich zum niedrigen Cortisol-Spiegel und zur Abweichung bei den Immunzellen, kommt eine Reaktivierung mit dem Epstein-Barr-Virus. Und all diese Dinge zusammen könnten Long Covid erklären.
Weitere Untersuchungen nötig
Die Autoren der Studie weisen ausdrücklich darauf hin, dass es weiterer Untersuchungen bedarf, um die Ergebnisse klar belegen zu können. Grund dafür ist unter anderem auch die relativ kleine Anzahl von Teilnehmern. Doch stimmen die Ergebnisse der Studie, dann könnte dies ein wahrer Durchbruch in der Long-Covid-Forschung sein. Auf Basis der US-amerikanischen Studie könnten neue Therapieansätze entwickelt werden.
Dieses Thema im Programm: Das Erste | BRISANT | 23. August 2022 | 17:15 Uhr