Hintergrund Was sind "Reichsbürger" und "Selbstverwalter"?

Wer sind "Reichsbürger" und "Selbstverwalter"? Wie handeln sie, wie funktionieren ihre Verschwörungsideologien und warum hält der Verfassungsschutz sie für gefährlich? Eine Einordnung.

Reichsbürger Reisepass vor Reichsfahne Schwarz Weiß Rot
"Reichsbürger" und "Selbstverwalter" erkennen die BRD nicht an und stellen sich Fantasie-Dokumente aus. Bildrechte: IMAGO / Christian Ohde

Was sind "Reichsbürger" und "Selbstverwalter"?

Der Begriff "Reichsbürger" wird häufig als Sammelbezeichnung verwendet, um eine Vielzahl unterschiedlicher Gruppen und Einzelpersonen zu beschreiben, die die Bundesrepublik Deutschland ablehnen - und daher auch alle Gesetze und Gerichtsurteile.

Neben den "Reichsbürgern" existieren die "Selbstverwalter" - beide Szenen lassen sich nur schwer in konkrete Kategorien einordnen, da es viele Mischformen gibt. Sie nutzen intensiv das Internet und soziale Netzwerke zur Kommunikation und Verbreitung ihrer Ideen. Der Verfassungsschutz rechnet dem gesamten Spektrum in Deutschland rund 21.000 Anhänger zu.

Viele von ihnen geben ihren Personalausweis ab. Stattdessen beschaffen sie sich Fantasie-Dokumente, Autokennzeichen oder Währungen.

Seit 2016 beobachtet der deutsche Verfassungsschutz die Szene. Daher verlinken wir in diesem Überblick überwiegend auf Internetseiten des Verfassungsschutzes. Daneben beschäftigen sich das Bundesinnenministerium, die Bundeszentrale für politische Bildung, die Amadeu Antonio Stiftung und die Konrad-Adenauer-Stiftung intensiv mit dem Thema.

Wollte man die beiden Gruppen unterscheiden, so bieten sich folgende kurze Definition des Bundesinnenministeriums an:

Einen umfassenden Artikel zu Ideologie, Herkunft und Gefahrenpotential gibt es beim Verfassungsschutz. Das Papier wurde 2018 publiziert.

Auch die Amadeu Antonio Stiftung hat sich 2018 bereits mit den Verschwörungsideologien der Szene auseinandergesetzt:

Mehr zu Untergruppierungen von "Reichsbürgern", die sich NICHT auf ein historisches Deutsches Reich beziehen, finden Sie bei der Bundeszentrale für politische Bildung aus dem Jahr 2022:

Ein Mann trägt bei einer Demonstration von Reichsbürgern einen Pullover mit dem Aufdruck "Division Sachsen-Anhalt - Treu der Fahne“".
Ein Anhänger der "Division Sachsen-Anhalt - Treu der Fahne". Bildrechte: dpa

Woher kommen "Reichsbürger"?

1985 wurde den Behörden eine "Kommissarische Reichsregierung" bekannt, die ideologisch einer von Rechtsextremisten betriebenen Kampagne nahestand, die das "Deutsche Reich" wiederherstellen wollte. Die "Reichsregierung" wurde von Wolfgang Ebel gegründet, der sich zum "Reichskanzler" ernannte.

Weitere Informationen zur "Reichsregierung" finden Sie zum Beispiel bei der Konrad-Adenauer-Stiftung:

Welche Gruppierungen gibt es?

Der Verfassungsschutz kennt mit Stand 2021 rund 30 aktive Gruppierungen, die bundesländerübergreifend arbeiten. Sie haben vielsagende Namen wie "Bismarcks Erben", "Staatenbund Deutsches Reich", "Verfassungsgebende Versammlung" oder "Exilregierung Deutsches Reich".

Allein vier verschiedene Gruppierungen der "Reichsbürger"-Szene repräsentieren ihrem Selbstverständnis nach einen "Freistaat Preußen". 

Mehr zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen finden Sie beim Verfassungsschutz. Das Papier stammt von 2022:

Beispiel: Die Gruppierung "Königreich Deutschland" besteht seit 2012. Peter Fitzek, gelernter Koch und Karatelehrer aus Sachsen-Anhalt, rief sein Reich mit entsprechender Verfassung aus, und krönte sich in einer absurden Zeremonie mit Hermelinmantel, Schwert und Krone selbst. 2022 erwarb die Gruppe zwei Anwesen in Sachsen, um dort autarke Strukturen zu errichten und ein eigenverwaltetes "Staatsgebiet" entstehen zu lassen.

Mehr zur Gruppe gibt es im Video der ARD-Sendung "FAKT" vom 16. August 2022:

Das ist Peter Fitzek, ein 56-jähriger gelernter Koch und Karatelehrer aus Sachsen-Anhalt. Vor zehn Jahren rief er sein neues Reich mit entsprechender Verfassung aus, und krönte sich in einer absurden Zeremonie mit Hermelinmantel, Schwert und Krone selbst. Fitzek ist ein Reichsbürger, der schon vor Jahren seinen offiziellen Ausweis abgab und sich eigene Dokumente ausstellte. 29 min
Das ist Peter Fitzek, ein 56-jähriger gelernter Koch und Karatelehrer aus Sachsen-Anhalt. Vor zehn Jahren rief er sein neues Reich mit entsprechender Verfassung aus, und krönte sich in einer absurden Zeremonie mit Hermelinmantel, Schwert und Krone selbst. Fitzek ist ein Reichsbürger, der schon vor Jahren seinen offiziellen Ausweis abgab und sich eigene Dokumente ausstellte. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Warum sind "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" gefährlich?

Da "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" die Bundesrepublik nicht anerkennen, erkennen sie auch deren Vertreter nicht an. Regelmäßig bedrohen sie Polizisten, Behördenmitarbeiter oder Gerichtsvollzieher. Körperliche Angriffe auf Staatsbedienstete sind nicht selten.

Von den 21.000 Personen, die laut Verfassungschutz zur Gesamtszene gehören, rechnet die Behörde 1.150 Personen der rechtsextremen Szene zu. 10%, nämlich 2.100 Personen, gelten als gewaltorientiert. Rund 500 Personen besitzen legal eine oder mehrere Waffen.

Mehr Zahlen und Daten zu Straftaten und Radikalisierung der Gruppierungen finden Sie im Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2021:

Reichsbürger-Pass, Nummernschild und Waffe
Viele "Reichsbürger" besitzen legal eine Waffe und neigen zu Gewalt. Bildrechte: imago/Christian Ohde

Was unternimmt der Staat gegen die Gruppierungen?

2020 wurde erstmals eine Reichsbürgervereinigung verboten und aufgelöst: der Verein "Geeinte deutsche Völker und Stämme" und ihre Teilorganisation "Osnabrücker Landmark".

Aktuell: Razzia gegen "Patriotische Union"

Bei einer bundesweiten Razzia am 7. Dezember 2022 hat die Polizei 25 mutmaßliche Mitglieder eines militanten Verschwörer-Netzwerks festgenommen. Sie sollen einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben. Dafür hätte die Gruppe auch Tote in Kauf genommen, wie es von der Generalstaatsanwaltschaft hieß.

Als ein Rädelsführer der Gruppe, die sich "Patriotische Union" nennt, gilt Heinrich XIII. Prinz Reuss. Der 71-Jährige steht im Verdacht, eine führende Rolle bei den Umsturzplänen der Gruppierung zu spielen. Nach MDR-Recherchen soll geplant gewesen sein, ihn an die Spitze einer neuen Regierung zu stellen. Verbindungen der Gruppe soll es auch zu Polizisten und Bundeswehrangehörigen geben. 

Der Artikel von MDR THÜRINGEN zum Lesen:

Die Tagesschau hat einen umfassenden Artikel zu Reaktionen auf die Razzia publiziert:

"Vereinte Patrioten" wollten Lauterbach entführen

Bereits im April 2022 wurden Angehörige einer anderen Verschwörergruppe festgenommen, der "Vereinten Patrioten". Sie sollen geplant haben, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen. Die "Vereinten Patrioten" sind so etwas wie der deutsche Ableger der Nationalen Befreiungsbewegung Russlands.

Die Investigativ-Abteilung der Tagesschau berichtete über den Fall:

Am 23. Januar 2023 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen fünf Verdächtige dieser mutmaßlichen Terrorgruppe.

Weitere gewalttätige Auseinandersetzungen mit "Reichsbürgern"

  • Im Oktober 2016 schoss ein "Reichsbürger" bei einer Razzia im bayerischen Georgensgmünd auf vier Polizeibeamte, tötete einen von ihnen. Die Polizisten wollten lediglich die Waffen des Mannes, der unter anderem Jäger ist, beschlagnahmen.

  • Ebenfalls 2016 kam es während einer Zwangsräumung in Sachsen-Anhalt zu einem Schusswechsel. Der Grundstücksbesitzer, ein ehemaliger "Mister Germany", schoss auf die SEK-Beamten.

  • Im April 2018 gab es Razzien in drei Bundesländern, darunter in Thüringen, gegen mutmaßliche "Reichsbürger". Sie standen im Verdacht, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben. So soll eine größere Gruppe von ihnen versucht haben, eine Partisanenarmee aufzubauen.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | BRISANT | 07. Dezember 2022 | 17:15 Uhr

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