Blick auf Kalibergwerk Bischofferode, 1993
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Bischofferode 1993 Hungerstreik im Kaliwerk

08. Juni 2011, 15:18 Uhr

Noch 1990 scheint es für das Kaliwerk Bischofferode eine Zukunft in der freien Marktwirtschaft zu geben. Doch schon 1993 droht dem Thüringer Kali-Abbau das Aus – die Kumpel protestieren ...

Es hupt und tutet ohrenbetäubend. "Wirtschaftstöter, Wirtschaftstöter!" ruft es dem Minister entgegen. Der ist aus Bonn gekommen, um die Kali-Kumpel von Bischofferode zu beruhigen. "Ihre Betroffenheit ist okay, Bergbau ist immer mehr als ein normaler Arbeitsplatz, Bergbau ist ein Mythos – aber Ihr Geschrei wird das nicht lösen ..." Seine Worte gehen in "Pfui"-Rufen unter. In diesem November 1993 ist Wirtschaftsminister Günter Rexrodt nur einer von vielen Politikern, die nach Thüringen kommen, um Sonntagspredigten zu halten. Das Kaliwerk "Thomas Münzer", dass seit 1970 zum "VEB Kombinat Kali" mit Stammsitz in Sondershausen gehört, soll geschlossen werden. Statt Kali-Abbau steht die Einlagerung von Müll an. Ein heißes Eisen, nicht nur wegen der Umweltdebatten - der Import von Westmüll war schon vor der Wende umstritten - sondern vor allem wegen der Arbeitsplätze.

Kalibergbau in Grenzregion

2.700 Seelen wohnen damals in Bischofferode im nordthüringischen Eichsfeld – der Kalibergbau ernährt viele der Familien. Kaliumoxid ist ein Salz, das vor allem für Düngemittel verwendet wird und als Grundstoff in der chemischen Industrie.

Zu DDR-Zeiten war der Kali-Export eine wichtige Devisenquelle. Der Rohstoff konnte unter dem Weltmarktpreis angeboten werden. Nun scheinen Entlassungen im Osten unvermeidbar. In Bischofferode sind es 1.900 Kumpel, die entlassen werden, die verbleibenden 700 erhalten die Produktionsmenge aufrecht.

Fusion nach Plan

Die Fusion der ost- und westdeutschen Kaliindustrie läuft nach einem mit der Treuhand vereinbarten Konzept ab: Von zehn Kali-Gruben bleiben im Osten nur zwei. Bischofferode, so wird im Dezember 1992 verkündet, soll nicht dazugehören. Von Anfang an gibt es Widerstand gegen den Plan, das Werk zum Jahresende '93 zu schließen. Als im Juli 1993 der Treuhandausschuss des Bundestages der Kalifusion zustimmt, beschließen zwölf Kumpel, in einen unbefristeten Hungerstreik zu treten.

Hungerstreik in der Betriebskabine

Die Kumpel lagern sich in der Kantine, zwischen Pappwänden auf provisorischen Liegen. Ihr Kampf wird bald zum Symbol. Dafür, wie schlecht es der ostdeutschen Wirtschaft nach der Vereinigung ergangen ist, dafür, dass demokratisch gewählte Politiker keineswegs den Interessen ihrer Wähler verpflichtet sind; und schließlich für das völlige Zusammenbrechen von Illusionen. Denn obwohl Schriftsteller wie Stefan Heym und Ulrich Plenzdorf zu Solidaritätsbekundungen nach Bischofferode kommen, obwohl die Puhdys ein Benefizkonzert für die Streikenden veranstalten, steht am Ende doch das Aus für den Schacht.

Das Kali-Kartell

Der 81 Tage währende Hungerstreik zwingt immerhin zu Zugeständnissen. Die Bundesregierung bietet den Kumpeln eine Arbeitsplatzgarantie für zwei Jahre an, die thüringische Landesregierung erweitert diese Garantie auf unbestimmte Zeit und verspricht, Ersatzarbeitsplätze in der Region zu schaffen. Die Kumpel aber hoffen auf den Erhalt ihrer Arbeitsplätze im Kalibergbau. Alles hängt von einer Entscheidung der EG-Kommission in Brüssel ab. Am 15. Dezember 1993 wird die Fusion trotz kartellrechtlicher Bedenken genehmigt – an den folgenden Protestaktionen beteiligen sich nur noch wenige Kumpel.

Am Ende steht dann ein "Interessenausgleich": Die Kumpel werden entweder mit einer Abfindung entlassen oder bekommen eine mindestens zweijährige Anstellung bei einer Stilllegungsgesellschaft. Der Betriebsrat kommentiert: "Der Belegschaft aber bleibt die Frage unbeantwortet, warum in ihrem Werk, bei hoher Produktivität, soliden Marktanteilen und tragfähigen betriebswirtschaftlichen Konzepten, die Kaliproduktion eingestellt werden soll."