Geschichte eines Festivals Dixiefieber in Dresden

Ein Hauch der weiten Welt im "Tal der Ahnungslosen"

17. Mai 2011, 08:41 Uhr

Beim Dixieland-Festival in Dresden waren zu DDR-Zeiten oftmals mehr Menschen freiwillig auf den Beinen als am 1. Mai. Die Elbmetropole galt seit den 70er-Jahren weltweit als die "Hauptstadt des Dixieland". Der Staatssicherheit waren die unorganisierten Massenansammlungen ein Dorn im Auge.

Als 1978 zum ersten Mal während des "Internationalen Dixieland Festivals" eine "Street Parade" aller beteiligten Musiker auf dem Programm stand, waren mehr Menschen auf den Beinen als bei der von der Staatspartei angeordneten Parade am 1. Mai. Jazz war zu einem Massenereignis geworden. Dabei waren viele Zuschauer nicht ausschließlich des Dixieland wegen gekommen, sondern schlicht, um "dabei" zu sein. Jazz galt immerhin als eine Form des Protestes. "Er war und ist es noch heute ein Ventil", sagt der Jazz-Musiker Bernd Heinrich von der "Tower Jazz Band", die 1971 das erste Dresdner Dixieland-Festival eröffnete.

Endlose Warteschlangen vor den Kassenhäuschen

Legendär sind die Schlangen, die sich alljährlich im Frühjahr vor den Kassen des Dresdner "Kulturpalasts" bildeten. Dort wurden die heiß begehrten Eintrittskarten für die Konzerte verkauft. Bereits einige Tage vor Öffnung der Vorverkaufsstellen kamen die Leute mit Schlafsäcken, Campingliegen und Stühlen und richteten sich vor dem "Kulturpalast" mehr oder weniger häuslich ein. Rekordverdächtig war das Jahr 1989, als die Ersten bereits vierzehn Tage vor Öffnung der Kassen anrückten. Manche hatten über die Jahre aber auch Wartegemeinschaften gebildet und konnten sich so alle zwölf Stunden abwechseln.

"Dixie-Fieber" und ein Hauch von Welt

Es war ein Phänomen, das mit dem Begriff "Dixie-Fieber" nur unzureichend zu fassen ist. Es gab tatsächlich mehrere, auch politische Gründe für die besondere Identifizierung der Dresdner mit "ihrem" Festival: "Die in Dresden besonders spürbaren wirtschaftlichen Engpässe, kein Westfernsehen im 'Tal der Ahnungslosen', der melodisch unkomplizierte und keineswegs 'Staatlichkeit', sondern 'Freiheit' assoziierende Dixieland. Und nicht zuletzt auch das internationale Flair während des Festivals mit dem Hauch der großen, weiten Welt", nennt Karlheinz Drechsel, Mitbegründer des Festivals, 2005 in der "Jazz Zeitung", einige.

Die Staatssicherheit im Ausnahmezustand

Für die Staatssicherheit waren die unorganisierten Menschenansammlungen natürlich das Grauen schlechthin. Sie befürchtete - wie sich später herausstellte grundlos - "staatsfeindliche Proteste". Und so galt während des Dixieland-Festivals auch "erhöhte Alarmbereitschaft". Doch bereits im Vorfeld hatte man sich sorgfältig mit sämtlichen Details des Festivals beschäftigt.

Ost- und westdeutsche Musiker – getrennt im Hotel und auf der Bühne

1975 trat mit der Old Merry Tale Band aus Hamburg erstmals eine Band aus der Bundesrepublik Deutschland auf – sie erntete frenetischen Beifall. Die Auflagen an die Organisatoren waren dabei - wie in der DDR gemeinhin üblich - ebenso kleinkariert wie pedantisch. Ost- und westdeutsche Musiker waren prinzipiell in unterschiedlichen und möglichst weit von einander entfernten Hotels untergebracht, um eventuelle mitternächtliche deutsch-deutsche Annäherung an der Hotelbar von vornherein zu unterbinden.

Die Reglementierungen gingen bei der Gestaltung des Spielplans weiter. Unter keinen Umständen durften west- und ostdeutsche Musiker gemeinsam auf der Bühne stehen oder überhaupt miteinander musizieren. Anfänglich hieß es gar noch, dass ost- und westdeutsche Bands nicht nacheinander auftreten dürfen. Dazwischen müsste stets eine Combo aus dem sozialistischen Ausland spielen, als Puffer gewissermaßen. Auf keinen Fall durfte eine bundesdeutsche Band am Schluss eines Konzertes auftreten, um sie nicht als "Krönung des Abends" erscheinen zu lassen.

Absurde Vorgaben in der Realität wirkungslos

Gehalten hat sich an diese absurden Vorgaben von SED-Kulturbürokraten und Staatssicherheit freilich kaum einer aus der internationalen Gemeinde der Dixieländer. Die Sessions liefen ab, wie es bei Jazz-Musikern üblich ist – spontan und stimmungs-abhängig. Bernd Heinrich: "Wir sind alle Musiker. Und wenn da eine Session war, wussten wir gar nicht, wer da gerade neben uns spielt. Wenn da ein dufter Trompeter war - ob der nun aus dem Westen oder aus der Schweiz oder aus Polen kommt, das war uns doch völlig egal."

Gage in Mark der DDR

Bezahlt wurden die Jazz-Musiker aus dem Westen übrigens in Mark der DDR. Dazu bekamen sie, gewissermaßen als Wertausgleich, noch ein Instrument aus DDR-Produktion – eine Gitarre aus Markneukirchen etwa oder ein Service aus der Meißner Porzellanmanufaktur. Gekommen sind sie trotzdem alle gern. Schließlich wollte jeder in Dresden dabei sein. Hunderte Bewerbungen um Auftritte gingen bei den Organisatoren ein. "Wenn’s danach gegangen wäre, hätten wir drei Wochen hintereinander Dixieland- Festival machen können", erinnert sich Festival-Begründer Karlheinz Drechsel. Das Festival war schließlich etwas Besonderes - galt die Elbmetropole doch seit Mitte der 70er-Jahre weltweit als die "Hauptstadt des Dixieland".

Staat hilft über Durststrecke nach 1989

Nach dem gesellschaftlichen Umbruch in der DDR ab Herbst '89 stand die Frage: Was wird aus dem Dixieland-Festival? Deutsche Jazzfreunde waren überzeugt: 'Es ist einmalig und muss erhalten werden.' Mit staatlicher Hilfe konnte das Festival über eine gewisse Durststrecke geführt werden – bis große Getränke- und Zigarettenfirmen den Marktwert des Festivals erkannten. Heute hat das Festival einen Volksfestcharakter und ist zusammen mit dem Stadtfest im August das größte regelmäßige Kultur-Event in Dresden.

(Die Zitate von Bernd Heinrich stammen aus einem Interview mit dem MDR-Boulevard-Magazin "Brisant", gesendet am 11. Mai 1995.)