Prag: Die "Goldene Stadt"

09. März 2011, 09:06 Uhr

Nach Prag kamen Besucher aus aller Herren Länder. Die meisten aber ganz unbestritten aus der DDR. Angelockt wurden sie vom berühmten Flair der Moldaumetropole und ihrer Internationalität.

Damals, in den 80er-Jahren, gab es einen Zug, der um Mitternacht von Leipzig über Dresden nach Prag fuhr. Morgens, gegen fünf Uhr, war man auf dem modernen Prager Hauptbahnhof, nahe dem Wenzelsplatz, angekommen. Es war Dämmerung, die Stunde zwischen Hund und Wolf und die schönste Zeit für eine erste Begegnung mit der Stadt, denn man hatte sie noch für sich allein: Keine Touristengruppen drängten sich auf der Karlsbrücke und dem Altstädter Ring, die Läden waren noch geschlossen und die Straßen leer.

"Cafe Europa" und tschechischer Barock

Man ging den Wenzelsplatz entlang, vorbei am mondänen "Cafe Europa", über den Altstädter Ring, und durchs ehemalige jüdische Viertel mit dem jüdischen Friedhof, auf dem der sagenhafte Rabbi Löw begraben liegt. Auf der Karlsbrücke schlenderte man über die Moldau mit ihren kleinen Inseln zur Kleinseite. Die Nerudagasse – 3.000 Meter gesäumt von weltberühmtem tschechischen Barock - ging es steil hinauf zur Burg mit Hradschin und dem putzigen Goldenen Gässchen. Dort hatte Franz Kafka kurz vor seinem Tod gewohnt. Und im Frühlicht schließlich, auf die Dächer und Kuppeln Prags hinunter schauend, ahnte man, warum die tschechische Hauptstadt auch die "goldene Stadt" genannt wird. Um diese Zeit herum erwachte die Millionenmetropole dann aber auch langsam: Händler stellten ihre Waren heraus, Straßenbahnen quietschten um die Ecken, ein Kleinkünstler baute schon mal seinen Stand auf der Karlsbrücke auf und die ersten Touristenbusse bogen in die Parkplätze am Moldauufer ein.

Die meisten Touristen kamen aus der DDR

Prag hatte ein internationales Flair. Touristen kamen aus aller Herren Länder: Unter anderem aus Amerika, Japan, Westeuropa. Die meisten aber kamen ganz unbestritten aus dem "sozialistischen Bruderland" nebenan, der DDR. Man brauchte kein Visum für die Einreise in die ČSSR zudem gab es keine Umtauschbeschränkung und kaum Sprachbarrieren, denn viele Prager sprachen ausgezeichnet Deutsch. Der Weg – vor allem für die Leute aus Sachsen - war kurz: eine nächtliche Bahnfahrt oder ein paar Stunden mit dem Auto. Außerdem gab es in Prag preiswerte Privatquartiere, Ferienwohnungen in prachtvollen Jugendstilhäusern, Campingplätze oder Zimmer in Studentenwohnheimen. Man konnte allerdings auch ohne Umstände auf einer der Moldauinseln schlafen. Alles kein Problem.

Böhmisches Glas als Mitbringsel

Die Beweggründe nach Prag zu reisen, waren natürlich auch damals vielfältig. Die einen besorgten sich in Prag Konsumgüter, die in der DDR rar waren, und deckten sich etwa mit böhmischen Gläsern und Vasen ein. Andere ließen sich durch die vom "Holocaust der modernen Städteplanung" (Milan Kundera) noch verschont gebliebene Stadt treiben und wandelten auf den Spuren Franz Kafkas, Vitezslav Nezvals oder Jaroslaw Seiferts, schwiegen auf dem jüdischen Friedhof, besuchten Galerien oder saßen in den berühmten Literatencafes und Schwarzbierkneipen rund um den Altstädter Ring. Die Stunde zwischen Hund und Wolf aber hatte man stets für sich allein.