Historische Bausubstanz Halberstadt – Rettung in letzter Minute

14. April 2011, 09:30 Uhr

Bis zum Zweiten Weltkrieg galt Halberstadt als das "Rothenburg des Nordens". In der DDR verfiel die Fachwerkstadt immer mehr. Mit der Wende kam die Rettung.

Dem verheerenden Bombenangriff am 8. April 1945 fiel fast das gesamte Zentrum Halberstadts zum Opfer. Rolf Heydecke, gebürtiger Halberstädter, hat sich intensiv mit der Geschichte der Zerstörung und des folgenden Verfalls seiner Heimatstadt beschäftigt: "Neben der Kriegszerstörung von 600 Fachwerkhäusern sind bis 1988/89 nochmals 600 Fachwerkhäuser abgerissen worden. Von ehemals über 1.600 Fachwerkbauten im niedersächsischen Stil sind jetzt noch 447 Häuser übrig geblieben. Die Bakenstraße, der Seidenbeutel, die Voigtei und Klein Blankenburg, um nur eklatante Beispiele zu nennen, sind großflächig abgerissen worden. Der Abriss des Düsterngraben zog sich sogar bis in das Frühjahr 1990 hin."

Plattenbau statt Fachwerkhäuser

Die Baulücken wurden mit modernen Häusern gefüllt. Die mittelalterlichen Häuser wurden seit den 1970er-Jahren als Hindernis für die Schaffung modernen Wohnraums gesehen. Zumindest im Sinne der staatlichen Wohnungspolitik, in der vor allem auf Plattenbauten gesetzt wurde. Fachwerkhäuser, die im Privatbesitz waren, konnten wegen der staatlich reglementierten geringen Mieten nicht instand gehalten werden. Aber auch die Stadt kümmerte sich nicht mehr um Fachwerkhäuser, die ihr gehörten. Gezielte "Entmietung" wurde betrieben. Rolf Heydecke, heute als Stadtführer in Halberstadt tätig, erinnert sich: "Die Fachwerkhäuser wurden im DDR-Terminus 'leergezogen', die Dächer wurden geöffnet und somit war das Fachwerk Nässe und Fäulnis ausgesetzt. Es wurden ganze Stadtgebiete mit Plattenbauten errichtet, die in der Bevölkerung wegen der guten sanitären Gegebenheiten begehrt waren." Die "Wochenpost" zitierte Anfang 1991 einen Bauarbeiter, der über die Arbeit des Baugewerbes in der Harzstadt berichtete: "Im Winter wurden alte Häuser abgerissen, im Sommer Plattenbauten errichtet. Das war unser Rhythmus. Das Plansoll musste geschafft werden. Zu jeder Jahreszeit."

Rettung für einsturzgefährdete Fachwerkhäuser

Im Herbst 1989 besetzten zwei Dutzend junge Leute ein akut einsturzgefährdetes Fachwerkhaus. Ihr Motto, das auch ihrer Bürgerinitiative den Namen gab: "Reko statt Abriss". Die Rettung der Altstadt von Halberstadt wurde auf einmal zu einem brisanten politischen Thema der Friedlichen Revolution. Das "Neue Forum" organisierte eine große Demonstration mit Tausenden Teilnehmern, die durch die halbzerfallenen Reste der Altstadt zogen.

Kurz nach dem Mauerfall gab es erste Kontakte ehemaliger Halberstädter zu ihrer Heimatstadt. Aber auch Freunde des mittelalterlichen Kleinods aus Niedersachsen meldeten sich und bemühten sich um eine Art "Nothilfe" für die meist stark einsturzgefährdeten Fachwerkbauten. Am 8. März 1990 gründeten engagierte Bürger und Vertreter der heimischen Wirtschaft aus Halberstadt einen Verein, das "Kuratorium Sanierungsfonds". Dieser organisierte zusammen mit der Bürgerinitiative "Reko statt Abriss" finanzielle und materielle Hilfe aus Niedersachsen bis hin zur Lieferung kostenloser Baumaterialien für die Notsicherung der Häuser. Den jungen Leuten der Bürgerinitiative wurden dann von der Stadt 15 von insgesamt 100 noch erhaltenswerten Häuser zu günstigen Konditionen verkauft. Mit wenig Geld, aber einem hohen Teil an Eigeninitiative wurden daraus wieder kleine Schmuckstücke. Sie zeigten den Halberstädtern, dass man nicht nur in Plattenbauten bequem wohnen konnte. Der gewaltige Sicherungs- und Sanierungsbedarf konnte allerdings aus kommunalen Mitteln nicht geleistet werden.

Die Rettung für das historische Erbe kam kurz vor der Währungsunion im Frühsommer 1990, als Halberstadt in das sogenannte "Modellstadtprogramm" der Bundesregierung aufgenommen wurde, als einzige Stadt in Sachsen-Anhalt. Neben der Stadt im Harz wurden Weimar, Meißen, Brandenburg an der Havel und Stralsund für dieses Sonderprogramm DDR ausgesucht.