Manege frei: Zirkusland DDR

17. Juni 2011, 12:10 Uhr

Busch, Aeros und Barlay, die drei großen Zirkusse im Osten, wurden 1953 verstaatlicht. Die Tourneen durchs In- und Ausland waren fast immer ausverkauft. Ein Rückblick auf die Zirkusgeschichte der DDR.

Im Unterschied zur Bundesrepublik galt Zirkus in der DDR als Kunst. Folgerichtig waren die Zirkusse der Aufsicht durch das Kulturministerium unterstellt. Zirkus galt als volksnahe Kunst. Diese Anerkennung als Teil des Kulturbetriebes hatte weitreichende Folgen bis in die tägliche Arbeit und das Wirtschaften. Zirkusse mussten nicht profitabel arbeiten, die Eintrittspreise blieben auf dem Stand von 1950 festgeschrieben (zwischen zwei und sieben Mark pro Platz). Artisten und Dompteure wurden seit 1972 sogar fest angestellt – soweit sie für den Staatszirkus arbeiteten. Sie waren also auch in der Winterpause zwischen November und Ende März finanziell abgesichert. Davon konnten ihre Kollegen im Westen nur träumen. Vielleicht ist auch die Einordnung des Zirkus als Kulturveranstaltung dafür verantwortlich, dass bis zum Ende der DDR ein Nebeneinander von staatlichem und privatem Zirkusbetrieb erhalten blieb.

VEB Zentral-Zirkus

Busch, Aeros und Barlay (der spätere Berolina), die drei großen Zirkusse im Osten wurden 1953 zum Volkseigentum erklärt, also verstaatlicht. Die früheren Zirkuseigentümer waren verstorben bzw. als angebliche "Steuersünder" enteignet worden. Zirkus Aeros wurde der Stadt Leipzig zugesprochen, Zirkus Busch der Stadt Magdeburg und Zirkus Barlay Berlin, weil die Zirkusse in diesen Städten schon ihre Winterquartiere hatten. Teilweise wurden dafür später – wie etwa 1956 in Leipzig an der Wintergartenstrasse – "halbfeste" Winterbauten errichtet.

Erst 1960 fasste man die drei großen Zirkusse wirklich unter einem gemeinsamen Dach mit Generaldirektion in Berlin zusammen. Der Name des neuen Staatsbetriebes lautete "VEB Zentral-Zirkus". 1963 errichtete die Generaldirektion schließlich ein gemeinsames Winterquartier in Berlin, in Dahlwitz-Hoppegarten gleich neben der Pferderennbahn mit einer Manege für die Probenarbeit, Stallungen für die Tiere und Unterkünfte fürs Personal. "VEB Zentral-Zirkus", dieser sperrige Name wurde besonders auf Auslandstourneen zur Last, weil er sich nicht vernünftig übersetzen ließ. Deshalb benannte man ihn 1980 um in "Staatszirkus der DDR".

60 Millionen Besucher in 30 Jahren

Die Tourneen durch die DDR, aber auch ins Ausland waren fast immer ausverkauft. Es gab einen festen Tourneeplan, der aus drei Elementen bestand: Der sogenannten Nordtour in der DDR, der Südtour und dem Auslandsengagement. Die drei Zirkusse wechselten sich bei diesen Tourneen untereinander ab. Im Jahresdurchschnitt besuchten seit 1960 mehr als zwei Millionen DDR-Bürger die Vorstellungen von Busch, Aeros und Berolina (bis 1968: "Barlay"). In 30 Jahren zählte der Staatszirkus insgesamt 60 Millionen Besucher. Damit war er der publikumswirksamste Teil des Kulturbetriebs der DDR.

Privatzirkusse fürs "flache Land"

Neben dem Staatszirkus existierten bis zum Ende der DDR auch mehrere Privatzirkusse. Sie ergänzten das Angebot "auf dem flachen Lande". Die großen Städte waren ihnen jedoch vorenthalten. Ihre Tourneen mussten die Privatzirkusse vom Kulturministerium bzw. ab 1960 von der Generaldirektion des Staatszirkus genehmigt werden. Rüdiger Probst, dessen Vater Rudolf trotz vieler Widrigkeiten den Privatzirkus Probst führte, erinnert sich: "Man hing immer am seidenen Faden. Wenn die dann doch nicht wollten, dann haben sie die Lizenz nicht vergeben Und damit durften sie nicht reisen."

Privatzirkusse deckten einen erheblichen Teil des Bedarfs in der DDR ab. So besuchten im Jahre 1988 rund 85.000 Menschen die Vorstellungen der drei Privatzirkusse Probst, Hein, Olympia und des privaten Reisevarietés Rolando. Die Arbeit, die dort geleistet wurde, hatte ein hervorragendes Niveau, wie auch Bernd Maxheimer, von 1976 bis 1985 Direktor des Zirkus Busch, bestätigt: "Was die privaten Zirkusse wie etwa Probst geleistet haben, das war schon großartig. Die hatten hervorragende Artisten und Dompteure."

Was die privaten Zirkusse wie etwa Probst geleistet haben, das war schon großartig. Die hatten hervorragende Artisten und Dompteure.

Bernd Maxheimer, von 1976 bis 1985 Direktor des Zirkus Busch, über Privatzirkusse in der DDR

Artisten, Dompteure, Zirkustiere

1956 eröffnete in Berlin im heutigen Gebäude des Kulturzentrums "Tacheles" die "Staatliche Artistenschule der DDR". Es sollte die zentrale Einrichtung zur Ausbildung von Akrobaten in der DDR werden. Die Ausbildung dauerte insgesamt vier Jahre. Der Lehrplan umfasste neben Artistik auch Fächer wie Ästhetik, aber auch Marxismus-Leninismus. Der erfolgreiche Abschluss an der Artistenschule garantierte eine Übernahme durch den Staatszirkus. Das dortige Engagement bot eine Sicherheit, wie man sie im westlichen Zirkusbetrieb nicht kannte. Clown Tommy alias Thomas Helbig erzählt: "Der Staatszirkus hat uns eine soziale Geborgenheit gegeben. Wir hatten ja unsere Engagements. Der Zirkus hat sich darum gekümmert. Und dadurch entstand überhaupt keine Konkurrenz unter den Artisten."

Die Dompteure mussten zuerst eine zweijährige Ausbildung am Tierpark in Berlin oder am Gestüt in Zöthen durchlaufen, dann folgte die Dressurausbildung durch erfahrene Dompteure in den Zirkussen. Die Tiere besorgte sich der Staatszirkus aus unterschiedlichen Einrichtungen - zum einen aus dem Tierpark Berlin, zum anderen aus den Zoos in Leipzig (z.B. Lamas) oder Rostock (Kodiakbären). Pferde wurden überwiegend aus dem Gestüt Zöthen in Thüringen übernommen. Raubtiere, die man nicht über die heimischen Zoos erhielt, mussten mithilfe kostbarer Devisen über einen Zoohandel in Hannover importiert werden.

Der Erfolg gerade auch der Dompteure fand internationale Beachtung, so dass sie zu Engagements ins Ausland eingeladen wurden. Seit 1972 hatte der Staatszirkus das "Agenturrecht", vermittelte also Artisten und Dompteure in solche Auslandsengagements rund um den Globus. Und kassierte den größten Teil der so erwirtschafteten Devisen. Für den Dompteur oder Artisten blieb ein täglicher Spesensatz zwischen ca. 30 und 50 DM neben seinem normalen Gehalt.

Der Abstieg

1990 begann für den Staatszirkus der Abstieg. Der VEB wurde der Treuhand unterstellt, also als ein Wirtschaftsbetrieb eingeordnet. Doch als Kulturbetrieb gehörte er dort - genauso wie die Theater - eigentlich nicht hin. Im Sommer 1990 begann man erste Artisten und Dompteure zu entlassen. Zusätzlich verlor der Staatszirkus einen großen Teil des heimischen Publikums, das eher Interesse an Westreisen oder Westautos zeigte als am gewohnten Zirkusbesuch. Versuche, im Westen auf Tournee zu gehen, scheiterten. Ein zirkusbegeisterter Besucher in Nürnberg sagte später: "Ich habe selten so große Zelte so leer gesehen." Versuche der Treuhand, Teile des Staatszirkus zu privatisieren, blieben ohne Erfolg. So wurde 1992 das Liquidationsverfahren eingeleitet, das bis Ende 1999 dauerte. Zuletzt wurden sogar die berühmten Tiergruppen, wie etwa die Eisbären von Ursula Böttcher, verkauft. Mehr dazu lesen Sie unter:

Künstlerischer Bestand des DDR-Staatszirkus 1984: 35 artistische Darbietungen
25 Tierdressuren
4 Clowngruppen
2 Orchester

Fuhrpark des DDR-Staatszirkus 1989: 188 Wohnwagen
7 Bürowagen
5 Garderobenwagen
10 Raubtierwagen
2 Kindergartenwagen
3 Schulwagen

Tiereinkauf: Ein Elefant kostete zwischen 11.000 und 20.000 DDR-Mark, ein Eisbär im Jahr 1987 46.900 DDR-Mark.

Buchtipps: Dietmar Winkler: ZIRKUS IN DER DDR. Im Spagat zwischen Nische und Weltgeltung. Ausführliche Geschichte des DDR-Zirkus von 1945 bis 1990. Edition Schwarzdruck. Berlin 2009, 640 Seiten,ISBN 978-3-935194-30-3

Dietmar Winkler: Wie beerdigt man einen Zirkus? Das langsame Sterben des Staatszirkus der DDR. Norderstedt 2001; ISBN: 3-8311-1855-8