Hans-Dietrich Genscher
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Hans-Dietrich Genscher über Halle: "Diese Stadt hat mich geprägt"

14. Dezember 2021, 17:09 Uhr

18 Jahre lang prägte Hans-Dietrich Genscher die bundesdeutsche Außenpolitik. Der weltoffene Diplomat verbarg nie seine hallesche Herkunft. Genscher kam 1927 in Reideburg, einem Ortsteil von Halle, zur Welt.

"Ich muss sagen, dass ich mich in jeder Beziehung von dieser Stadt geprägt gefühlt habe", bekannte Hans-Dietrich Genscher 2006, "ich bin ja im Alter von 25 Jahren aus Halle weggegangen. Aber ich habe meine Kindheit in Halle-Reideburg verlebt, jedenfalls die ersten sechs Jahre gänzlich und die Jahre danach mindestens zum Teil, weil, nachdem wir nach Halle gezogen waren, ich dann in der Woche ein-, zwei-, drei-, manchmal viermal in Reideburg war, weil ich dort meine alten Kumpels hatte, mit denen ich spielen konnte."

Alle wollen in Genschers Klasse gegangen sein

Der im Vorort Reideburg geborene Hallenser verließ zwar seine Vaterstadt als junger Jurist in den 1950er-Jahren, aber er blieb ihr stets verbunden. Seine Rede vom Balkon der Prager Botschaft - einer der unvergessenen Schlüsselmomente des 1989er-Umbruchs - richtete er zuallererst an die Hallenser unter den Botschaftsflüchtlingen. Nach seiner Amtszeit als Außenminister ging Genscher in den "Unruhestand" - der ihn immer wieder auch in seine alte Heimat führte.

Heidi Eckert, hallesche FDP-Politikerin, hat einiges davon dokumentiert. Sie sagt: "Er war ja nun mit Leib und Seele Reideburger. Ich habe hier eine ganze Menge Bilder, da sind wir in Reideburg gewesen, zu einer Veranstaltung, und da gab's eben das, was Genscher gerne aß. Er aß gerne Eisbein und mochte dazu Bier, das kann man hier auf den Bildern ganz gut sehen, und das war so ein angenehmer Abend. Was ich da sehr lustig fand: Es waren unheimlich viele Leute da, alle kamen und alle sagten zu ihm: 'Hans-Dietrich, ich bin doch der Sowieso, die Sowieso, wir sind doch in eine Klasse gegangen.' Zum Schluss sagte Genscher dann: 'Also, ich weiß nicht, so groß war die Klasse nie, ich kann's auch so genau nicht mehr sagen'. Also, alle wollten unbedingt mit Hans-Dietrich Genscher in eine Klasse gegangen sein, das fand ich immer sehr lustig."

Hans-Dietrich Genscher, Foto 1960
Hans-Dietrich Genscher im Jahr 1960 Bildrechte: imago/ZUMA/Keystone

Verborgenes Wirken für seine Heimatstadt

Manchmal wirkte der Außenminister a. D. mit den großen Ohren auch im Verborgenen zum Wohle der Saalestadt. So sorgte er Anfang der 1990er-Jahre dafür, dass der Waggonbau Ammendorf mit einer Bürgschaft über 500 Millionen Mark gerettet wurde.

Der damalige Oberbürgermeister Klaus Rauen war extra nach Bonn gefahren, um eine schnelle Entscheidung zu erreichen. Und tatsächlich: Genscher schaffte es, innerhalb weniger Stunden das gewünschte Ergebnis herbeizuführen, erinnert sich Rauen, und betont vor allem den Stil des Diplomaten Genscher: "Das wissen wir alle: Manchmal kann man Dinge viel besser im privaten Rahmen mit einer freundlichen Begleitmusik erledigen, als wenn man sich mit grimmiger Miene am Verhandlungstisch gegenüber sitzt und versucht, seine Agenda abzuarbeiten. Und auf diesem Klavier hat er auch sehr gut spielen können."

Hilfe für die Franckeschen Stiftungen

Auch wenn die augenzwinkernde Karikatur des "Genschman" den Politiker in die Nähe eines Superman rückt – die spätere Schließung des Waggonbaus konnte auch Hans-Dietrich Genscher nicht verhindern. An anderer Stelle hingegen, so Rauen, sei das Wirken Genschers zum Wohle der Stadt bis heute unübersehbar: "Wenn ich daran denke, was in den Franckeschen Stiftungen geschehen ist, dass sie wieder Stiftungen wurden und dass sie wieder wirtschaftlich über die Runden kommen, das hat natürlich auch etwas mit Hans-Dietrich Genscher zu tun. Das ist eines der leuchtenden Beispiele, dass wir heute zu den kulturellen Leuchttürmen mit den Franckeschen Stiftungen gehören, dass wir über 100 Millionen, über 150 Millionen sind es wahrscheinlich jetzt schon, investieren konnten. Das ist natürlich auch mit seiner Hilfe geschehen."

Tränen in den Augen

Die Stadt Halle bedankte sich bereits im Juni 1991, ein halbes Jahr bevor Genscher aus der aktiven Politik ausschied. Heidi Eckert: "Ich konnte damals gemeinsam mit Dr. Rauen auf Beschluss des Stadtrates Hans-Dietrich Genscher die Ehrenbürgerschaft überreichen. Das war schon ein bewegender Moment." Und Klaus Peter Rauen erinnert sich: "Dann stand er da mit Tränen in den Augen, als ich ihm den Ehrenbürgerbrief überreichte, und auch da merkte man wieder, und auch die Zuschauer merkten: Das ist nicht nur eine oberflächliche Ehrung, sondern das geht ihm ganz nah. Da war dieser hart gesottene Polit-Taktiker, der war auf einmal ein ganz weicher Mensch."