Blick aus einem Auto auf eine schlammige Straßen zwischen einer Häuserreihe
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Ein Sachse im Kosovo

04. Januar 2016, 18:05 Uhr

Am 12. Juni 1999 begann der Einsatz der Bundeswehr im Kosovo. Etwa die Hälfte der deutschen Soldaten, die in diesem Teil des ehemaligen Jugoslawien Dienst taten, kam aus den neuen Bundesländern. Alexander Fischer* war einer von ihnen.

"Wenn ich an die Zeit im Kosovo zurückdenke, erinnere ich mich häufig daran, wie ärmlich die Landbevölkerung dort gelebt hat. Da fühlte man sich gelegentlich in ein anderes Jahrhundert zurückversetzt." Dreizehn Jahre liegt der Einsatz inzwischen zurück und doch waren einige Erfahrungen und Eindrücke für den jungen Mann so prägend, dass sie sein Denken und Handeln bis heute beeinflussen: "Mir ist bewusst geworden, wie gut es mir geht." Alexander Fischer ist in einem Dorf in der Nähe von Dresden aufgewachsen, lebt und arbeitet mittlerweile jedoch in Berlin. Wie viele junge Ostdeutsche seiner Generation sah er den Militärdienst in erster Linie als Chance: "Ich wollte nach der Schule etwas erleben und natürlich auch ein Stück weit weg von zu Hause - also ging ich zur Bundeswehr."

Einsatz in Prizren: Abenteuerlust und das lockende Geld

Der frischgebackene Abiturient wurde den "Marienberger Jägern" vom Panzergrenadierbataillon 371 zugeteilt. Als große Teile der Truppe im November 1999 für sechs Monate nach Prizren in den Süden des Kosovo verlegt wurden, um einen Beitrag zur Beendigung der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Serben und Albanern zu leisten, war auch der damals 19-jährige Hauptgefreite Fischer mit dabei. Den Auslandseinsatz begriff der junge Mann anfangs weniger als Risiko, sondern vielmehr als Abenteuer: Fernab der Heimat gab es eine andere Kultur, die es kennenzulernen galt und aufregende Situationen, in denen er sich beweisen wollte. Aber auch finanzielle Erwägungen spielten bei der Entscheidung eine Rolle: 180 DM gab es damals für jeden Tag im Auslandseinsatz - zusätzlich zum regulären Sold.

Armee der Einheit?

Die Bundeswehr hatte neun Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung den Anspruch eine "Armee der Einheit" zu sein. Bei den "Marienberger Jägern" dienten jedoch fast ausschließlich Ostdeutsche; aus den alten Bundesländern kamen lediglich einige Offiziere. Dementsprechend war das Verhältnis von Soldaten aus Ost und West schon allein aufgrund der geringen Durchmischung kein Thema in der Truppe. Im Jahr 2002 versuchte die Bundeswehr im Rahmen einer Streitkräftebefragung zu erfassen, inwieweit die innere Einigung der Truppe als abgeschlossen betrachtet werden könne. Dabei stellte sich heraus, dass knapp ein Drittel der Soldaten aus Ostdeutschland und immerhin gut ein Fünftel der Soldaten aus dem Westen die Erfahrung gemacht hatten, dass die jeweilige Herkunft in ihrem beruflichen Umfeld nach wie vor eine Rolle spielte. In der Bewertung der Auslandseinsätze waren sich ost- und westdeutsche Soldaten jedoch weitestgehend einig: 83 Prozent der Soldaten aus dem Osten und 87 Prozent der Soldaten aus Westdeutschland befürworteten den Entschluss, Truppenteile der Bundeswehr an militärischen Einsätzen im Ausland zu beteiligen.

Kritik daheim, Tee-Einladungen im Kosovo

In der ostdeutschen Bevölkerung wurde dagegen insbesondere der Einsatz im Kosovo vergleichsweise kritisch gesehen und Soldaten aus den neuen Bundesländern sahen sich vielfach mit einem enormen Legitimationsdruck konfrontiert. Alexander Fischer brauchte sich jedoch nie vor Familienangehörigen oder Freunden für seinen Entschluss rechtfertigen. Für jeden war klar: Er war im Kosovo, um zu helfen. Wenn es gerade einmal nicht galt, wechselseitige Attacken der verfeindeten Volksgruppen zu unterbinden - beispielsweise eine serbische Kirche vor möglichen Übergriffen durch aufgebrachte Albaner zu schützen - halfen die Soldaten der bitterarmen Bevölkerung, wo sie nur konnten: Als der örtliche Kindergarten um Unterstützung für den Bau eines neuen Zaunes bat, waren Alexander Fischer und seine Kameraden zur Stelle. Gerade bei der Landbevölkerung waren die Soldaten aus dem sächsischen Marienberg beliebt und wurden von den Einheimischen oft zum Tee eingeladen.

Gefährlicher Einsatz zwischen den Volksgruppen

Daneben gab es jedoch auch wirklich brenzlige Situationen: "Einmal waren wir in Mitrovica, genau zwischen Albanern und Serben, und mussten verhindern, dass sie aufeinandertreffen." Mehrere hundert Anhänger der verfeindeten Lager standen sich hier gegenüber. Die KFOR-Truppen, die eigentlich die räumliche Trennung von Angehörigen der jeweiligen Volksgruppen gewährleisten sollten, gerieten nun zunehmend selbst in Bedrängnis. Die Lage drohte endgültig zu eskalieren: "Wir mussten letztlich Warnschüsse abgeben, sonst hätten sie uns überrannt." Schüsse ohne Ziel, die ihre Wirkung allerdings nicht verfehlen sollten. "Das war eigentlich die einzige Situation, in der ich das Gefühl hatte, dass es gefährlich werden könnte." Nach seinem Einsatz im Kosovo zog Alexander Fischer nach Berlin, um dort Elektrotechnik zu studieren. Heute arbeitet er als Diplom-Ingenieur für ein Unternehmen, das auf Solartechnik spezialisiert ist.

* Name von der Redaktion geändert