VERO Olbernhau
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Tradition im Osten VERO: Die legendären Spielzeugmacher aus dem Erzgebirge

11. Oktober 2022, 15:32 Uhr

Im Erzgebirge blickt man auf eine lange Tradition in der Herstellung von Holzspielzeug zurück. Das Kombinat Holzspielwaren VERO Olbernhau- entstanden aus der Zwangskollektivierung vieler kleiner Familienbetriebe und Zentrum der Spielzeugfabrikation der DDR übersteht die politische Wende nicht. Doch Mut und Glaube an das eigene Können ermöglichen den Handwerkern rund um Olbernhau einen Neuanfang.

Dieses Spielzeug hat vielen Generationen von Kindern leuchtende Augen beschert – der Baukasten "VERO construc", die Programme "VERO elementar" und "VERO scola" die kleinen Werkbänke für Kinder, die Holzfahrzeuge, die Puppenhäuser und Mini-Tankstellen sowie das gewaltige Sortiment für den Eisenbahn-Modellbau. Hergestellt wurde alles im Erzgebirge, im VEB Vereinigte Spielwarenwerke VERO Olbernhau, dem größten Spielwarenhersteller der DDR.

Das Erzgebirge kann wie kaum eine andere Region in Deutschland auf eine einzigartige Tradition in der Herstellung von Holzspielzeug verweisen. Aus der Not der Bergleute von einst geboren, entwickelte sich die Holzkunst zu einem bedeutenden Kapitel ostdeutscher Industriegeschichte.

Aufgegangen im Kombinat, aufgelöst nach der Wende

VERO entsteht ab 1966 durch die Zwangskollektivierung unzähliger kleiner Familienbetriebe. Zwanzig Jahre später sind es 99 Produktionsstätten, in denen rund 3.300 Mitarbeiter mehr als 1.000 Artikel herstellen. Bis 1990 gibt es kaum ein Kinderzimmer ohne VERO – in beiden Teilen Deutschlands. Aber nur ein Jahr später ist das einst so erfolgreiche Kombinat vollständig liquidiert.

Unser Schreibtisch wurde verkauft, unsere Stühle, auf denen wir noch saßen, waren bereits verkauft, da klebten schon Zettel dran, wer die dann abholt. Das möchte ich eigentlich nicht noch mal erleben

Birgit Uhlig, Ehemalige VERO-Mitarbeiterin

Einige Betriebe können reprivatisiert werden – und nur deshalb lebt die lange Tradition der Spielzeugproduktion in Sachsen bis heute weiter. Mut und Glaube an das eigene Können haben den Handwerkern aus dem Erzgebirge das Überleben ermöglicht.

Neuanfang nach Mauerfall

So erzählen die zahlreichen Miniaturen, die in Kerstin Drechsels Manufaktur entstehen, von einem bedeutenden Erbe. Ihr Vater, Dr. Helmut Flade war einer der Mitbegründer von VERO Olbernhau und leitete mehr als 20 Jahre die Entwicklungsabteilung der legendären Spielzeugfabrikation. Viele Ideen der DDR-Kreativ-Schmiede gehen auf ihn zurück. 1987 sieht Helmut Flade zunehmend sein Lebenswerk demontiert und verlässt VERO – in eine ungewisse Zukunft.

Ich weiß das noch ganz genau, wie er nach Hause kam – ich habe da noch zuhause gewohnt. Er sagte, er würde am nächsten Tag kündigen, er macht das nicht mehr mit. Er ist mit dieser Entscheidung ins kalte Wasser gesprungen, und im Nachhinein muss ich da immer wieder den Hut ziehen, wie man so standhaft sein kann, seine Prinzipien nicht zu verraten.

Kerstin Drechsel

Nach dem Mauerfall nutzten Vater und Tochter ihre Chance und bauen gemeinsam ein eigenes Unternehmen auf. Heute beschäftigt die kleine Olbernhauer Manufaktur 12 Mitarbeiter.

Bestellt vom japanischen Kaiserhaus

Mit dem Ende von VERO beginnt in Neuhausen - östlich von Olbernhau - die Geschichte von Sina Spielzeug. Barbara Seidler ist 16 Jahre lang als Sekretärin in den Olbernhauer Spielwarenwerken tätig. Dann wagt sie den Schritt in die Selbstständigkeit: Als Autodidaktin entwirft sie Lernspielzeuge – ihre klingenden Bausteine begeistern sogar die Kinder im japanischen Kaiserhaus.

Seit es die klingenden Bausteine bei Sina gibt, waren die japanischen Kunden sehr angetan von diesem Spielzeug. Wenn im japanischen Kaiserhaus Dinge geliebt werden, dann möchten die Japaner auch alle das Produkt haben und da begann ein regelrechter Run auf diese Bausteine.

Barbara Seidler

"Die Tradition aufrecht zu erhalten, ist was Schönes"

Der Werkzeugbauer und erfolgreiche VERO-Konstrukteur Günter Reichel steht heute mit 67 Jahren immer noch selbst an der Drehbank, wenn es darum geht, für seine Schutzengel das nötige Rüstzeug zu drechseln. Sein Know-how hat er noch in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung (F&E) beim VEB VERO erworben.

Die Zeit, die ich bei F&E gearbeitet habe, und dort dabei sein durfte: Ohne diese Zeit wäre das hier vielleicht nicht möglich gewesen. Und die Holzkunst ist nun mal aus dem Bergbau hier bei uns im Gebirge entstanden und zum großen Erwerbszweig vieler geworden. Und sich daran zu beteiligen und die Tradition hier in so einem Landstrich aufrecht zu erhalten - denk ich, ist etwas Schönes.

Günter Reichel

Auch Ute Hofmann-Auhagen blickt auf eine lange Tradition zurück. Ihre Familie nimmt bereits 1885 eine Holzstoff- und Pappenfabrikation in Betrieb. Sie ist gerade 15 Jahre alt, als sie miterleben muss, wie das Lebenswerk ihres Vaters 1972 enteignet und in das Kombinat VERO eingegliedert wird. Gemeinsam mit ihrem Vater setzt sie ab 1990 die Reprivatisierung des einstigen Familienunternehmens durch. Heute gehört die Firma Auhagen zu den erfolgreichsten Modellbau-Herstellern Europas.

Ich bin ja hier aufgewachsen, die Firma war ja im Grunde mein Spielplatz. Also irgendwie steckte da was drin, da war ein Virus gesetzt. Und da bin ich schon stolz drauf, dass alles kontinuierlich gelaufen ist und wir am Markt doch wieder den Namen haben. Obwohl wir 18 Jahre in der Anonymität waren.

Ute Hofmann-Auhagen

Holzfiguren, Baukästen, Lernspielzeug, Lichthäuser – was im Erzgebirge gefertigt wird, ist nach wie vor ein Markenzeichen und wird weit über Europas Grenzen hinweg geschätzt.

Dieser Artikel wurde im Januar 2019 erstmals veröffentlicht.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der Osten - entdecke, wo Du lebst | 18. Oktober 2022 | 21:00 Uhr