Ikone der Moderne und Erinnerungsort Schocken – Das legendäre Kaufhaus in Chemnitz
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"Ach, das Schocken"?! Wie der Nischel, also der Karl-Marx-Kopf, gehört auch das moderne Gebäude mit den langen Fensterbändern in der Brückenstraße bis heute ganz selbstverständlich zu Chemnitz. 1930 eröffnet, war es bald ein Publikumsmagnet. Ein Kaufhaus für die einfachen Leute. Der Bau des Star-Architekten Erich Mendelsohn fiel in die Blütezeit des jüdischen Gemeindelebens. Lange währte sie nicht. Die Nazis enteigneten die jüdische Familie 1938. Ein Blick in die wechselvolle Geschichte des "Schocken", in dem nun das Staatliche Museum für Archäologie residiert.
Schnörkellos, klar, funktional und bei Nacht spektakulär leuchtend: Das Kaufhaus Schocken verlieh Chemnitz einen Hauch von Weltstadt. Die Brüder Simon und Salman Schocken beauftragten 1927 den Star-Architekten Erich Mendelsohn (1887-1953) mit dem Entwurf für eine weitere Filiale ihrer Warenhauskette. Es sollte die größte werden. Im Mai 1930 öffnete "das Schocken" in der Brückenstraße. Ein modernes Kaufhaus mit Waren, die sich jeder leisten können sollte ...
Ein modernes Warenhaus für alle
Die Erfolgsgeschichte der Familie Schocken startet 1907, in der wachsenden Industriestadt Zwickau öffnet ihr erstes Warenhaus. In den nächsten Jahren bauen die Brüder Schocken ein Warenhausimperium auf. 1929 besitzen sie 17 Filialen, vor allem in Ost- und Süddeutschland. Sie entwickeln ein ganz neues Warenhaussystem: helle Verkaufsräume, sachliche Typografie auf Preisschildern und Werbeanzeigen. Für alle ihre Häuser zentralisieren die Schockens den Einkauf, die Werbung und den Service. Sie locken, ganz in amerikanischer Manier mit Preisen und Aktionen. Weg vom elitären Verkaufstempel hin zu einer Art Volkskaufhaus lautet das Motto, dem die Architektur von Mendelsohn in Chemnitz Rechnung trägt. Die Stadt zählt damals über 350.000 Einwohner und gilt als das sächische Manchester, liegt sie doch mitten in einer Region, in der etwa die Textilindustrie boomt, was auch Kunden verheißt ...
Mendelsohn gilt als Pionier des "Neuen Bauens". In nur neun Monaten entsteht sein neungeschossiger Stalbeton-Skelettbau, der alle anderen Gebäude der Innenstadt überragt. 3,5 Millionen Reichsmark kostet das Projekt.
In die verschiedenen Etagen gelangt man über Rolltreppen - die ersten in ganz Chemnitz! So grenzt sich das Haus auch von einem vornehmen Traditionsunternehmen wie dem jüdischen Kaufhaus Tietz ab, das seit 1913 in der Innenstadt residiert. Der Schocken-Konzern wirbt um Kunden aus der Arbeiterklasse, die bisher kaum berücksichtigt wurden. Der Gewinn kommt über die Masse, trotzdem legt man Wert auf Qualität, etwa bei den Eigenmarken ADINA für fotografische Artikel und AUDIPHON für Schallplatten. Im Obergeschoss des Kaufhauses gibt es dafür sogar einen Vorspielraum. So wird "das Schocken" für Kinder sogar zum Spielplatz, wie sich Zeitzeuge Justin Sonder erinnert.
Das Haus war meine zweite Heimat, möchte ich sagen, sowohl im Sommer wie im Winter.
"In Chemnitz ist der Teufel los"
Im Sommer 1933 hat der Konzern fast 5.000 Mitarbeiter, davon mehr als 700 in Chemnitz. Sie profitieren von guter Ausbildung und sozialen Leistungen, die es so andernorts nicht gibt. Der Bau fällt in die Blütezeit des jüdischen Lebens in Chemnitz mit rund 3.000 Gemeindemitgliedern. Es gibt eine Synagoge und eine jüdische Schule in der Stadt. Doch mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten beginnt auch in Chemnitz die staatlich veordnete Gewalt, die einher geht mit Entrechtung und Enteignung. Bereits am 1. April 1933 wird auch in Chemnitz der reichsweit angeordnete Boykott jüdischer Geschäfte wirksam. Kunden, die weiterhin dorthin einkaufen, werden öffentlich angeprangert. Am 9. November 1938 wütet der Nazi-Mob auch in der sächsischen Stadt, die Synagoge auf dem Kaßberg brennt, das Kaufhaus wird geplündert. Justin Sonder, der bald darauf mit nur 17 Jahren nach Auschwitz deportiert wird, erinnert sich genau:
Ich erinnere mich genau an den 9. November 1938: Es war ein höllischer Lärm. Ich machte das Fenster weit auf und da sah ich Männer mit Fackeln rumlaufen und schreien. Ich bin ins Schlafzimmer meiner Eltern, habe sie geweckt. Mein Vater ging auf die Straße, er kam schnell wieder und sagte: 'In Chemnitz ist der Teufel los, auf dem Kaßberg soll die Synagoge brennen, die jüdischen Geschäfte sind zerstört.'
Im gleichen Jahr wird die Schocken-KG enteignet, die Familie ist bereits nach Israel und in die USA emigiert. Die Schocken KG wird Ende 1938 von den Nationalsozialisten enteignet. Die ist die Familie bereits nach Palästina bzw. in die USA emigriert. Aus dem Exil versucht Salman Schocken auch, so vielen jüdischen Mitarbeitern wie möglich zur Flucht aus Deutschland zu verhelfen.
Bis zum Kriegsende versinkt die Altstadt zu großen Teilen in Schutt und Asche, das Kaufhaus übersteht die alliierten Luftangriffe fast schadlos.
Man kann das fast als Wunder bezeichnen, die es ja in der jüdischen Geschichte sehr oft gibt: Dass in dieser zerstörten Innenstadt zwei große Häuser noch standen: das Schocken und das Tietz.
Bis 1945 firmiert das Chemnitzer Kaufhaus als Merkur-Verkaufsstätte, zu DDR-Zeiten übernimmt zunächst die staatliche Handelsorganisation, bis 1965 werden aus Schocken und dem Tietz die ersten beiden Centrum Warenhäuser der DDR. Im ehemaligen Schocken gab es vor allem Keramik, Porzellan, Haushaltsgeräte und Möbel, bei ehemals Tietz kleidete man sich ein. So gut es in der Mangelwirtschaft eben ging. Nach der Wende übernimmt Kaufhof 1991 das legendäre Haus. Zehn Jahre später wird es geschlossen und steht fortan leer.
Heute Museum für Archäologie
Was tun mit dieser Ikone des modernen Bauens? Nach langwierigem Findungsprozesse fasst die Staatsregierung den Beschluss, dass das Staatliche Museum für Archäologie (smac) dort einziehen soll. Nicht mehr Waren, sondern Schätze aus der sächsischen Vor- und Frühgeschichte werden seit der Eröffnung des smac 2014 dort ausgestellt. Nach umfangreicher Sanierung und Entkernung entstand ein neuer Lichthof im Gebäudeinneren, der die Ausstellungsgeschosse optisch verbindet. 32 Millionen Euro wurden investiert, auf dass sie wieder strahlt Mendelsohns Ikone der Moderne.
Na schaut mal an, es ist doch noch etwas erhalten aus der früheren Zeit, bevor die Nationalsozialisten so viel Unheil angerichtet haben.
Schocken-Dynastie Im März 1901 gründeten die Gebrüder Moritz und Julius Ury ein modernes Warenhaus in Zwickau. Dessen Leiter wurde Simon Schocken, Schwager der Ury-Familie. Im gleichen Jahr trat auch Salman Schocken dem Geschäft bei. 1904 gründeten die Brüder Schocken ihr erstes eigenes Kaufhaus im vogtländischen Oelsnitz. Das Zwickauer Warenhaus ging 1906 in den Besitz der Schocken-Brüder über. Nach dem Tod Simon Schockens 1929 leitete Salman Schocken das Unternehmen alleine. Neue Häuser entstanden unter anderem in Aue, Meißen, Zerbst oder Cottbus. Mit 20 Filialen waren die Schocken-Kaufhäuser 1930 die viertgrößte Warenhauskette Deutschlands. Zwickau blieb die Zentrale.
"Das Schocken" als Archäologie-Museum und Erinnerungsort
Staatliches Museum für Archäologie (smac)
Stefan-Heym-Platz 1
09111 Chemnitz
Öffnungszeiten
Di - So und an Feiertagen 10-18 Uhr
Do 10-20 Uhr
Mo geschlossen (außer an Feiertagen)
Über die Geschichte des Kaufhauses, das Lebenswerk des Architetkten Mendelsohn sowie Salman Schocken als Warenhauskönig und auch Verleger informiert eine Dauerausstellung in den flurartigen Erkern des Gebäudes.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der Osten - Entdecke wo du lebst | 06. Oktober 2020 | 21:00 Uhr