Der Osten - Entdecke wo du lebst | MDR-Fernsehen | 18.08.2020 | 21:00 Uhr Tharandt – Das Tal der Waldretter
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In Zeiten des Klimawandels sind sie höchst gefragt, die Baumversteher aus dem sächsischen Tharandt. Seit rund 200 Jahren wird dort geforscht und experimentiert, wie sich Ökonomie und Ökologie in Einklang bringen lassen. Wie der Wald der Zukunft aussieht oder welche Baumarten künftig Hitze und Dürre in unseren Städten trotzen, wird dort im Labor untersucht und im ältesten Forstbotanischen Garten der Welt getestet. In die Zukunft zu denken, gehört an der Forsthochschule Tharandt zur Tradition.

Jetzt sind sie mehr denn je gefragt, die Waldretter aus dem sächsischen Tharandt. Beispielsweise Professor Andreas Roloff.
Er gilt als einer der besten Baumkenner des Landes. Seit Jahren beschäftigt er sich intensiv damit, wie Hitze, Trockenheit und Dürre unsere Stadtbäume stressen.
Für Kommunen wie Erfurt oder Jena erstellte er Kataloge mit bis zu 200 Baumarten, von denen er glaubt, dass sie die nächsten Jahrzehnte auch unter den Bedingungen des Klimawandels überleben können. Viele davon gelten als nicht-heimisch.
Welche Baumarten überleben?
Andreas Roloff und Britt Kniesel (geb. Grundmann) vom Institut für Forstbotanik und Forstzoologie in Tharandt haben 47 Baumarten im Hinblick auf Trockenresistenz und Frosthärte bewertet. Demnach sind besonders Spitz- und Feldahorn, die Traubeneiche, die Winterlinde, die Hängebirke oder ein ganz normaler Kirschbaum für trockene bis sehr trockene Böden geeignet. (Roloff, Andreas & Kniesel, Britt. (2008). Waldbaumarten und ihre Verwendung im Klimawandel. Archiv für Forstwirtschaft und Landschaftsökologie)
Von Buchen und Eichen
Warum die große Frühjahrstrockenheit in diesem Jahr besonders jungen Buchen den Garaus machte, untersucht seine Kollegin Katja Skibbe mit ihren Studierenden, erste Antworten fanden sie im Verhalten des unterirdischen Wurzelsystems. Da Eichen weitaus besser sowohl mit trockenen als auch feuchten Standorten klarkommen, aber mittlerweile das Saatgut knapp ist, erforschte Skibbe außerdem Wege der effizienteren Vermehrung und fand eine scheinbar einfache Lösung. Sie halbierte Eicheln und probierte, statt einem zwei Setzlinge daraus zu gewinnen. Nun kommt es möglicherweise zu einer Kooperation mit der Industrie.
Grüner Hörsaal und Testgebiet
Professor Michael Müller wiederum ist Experte für jede Sorte von Baumfeinden: das Wild, das Feuer und vor allem Schädlinge wie den Borkenkäfer. Auch im Tharandter Forst mit seinem wertvollen Arboretum, dem ältesten Forstbotanischen Garten der Welt, tobt der Kampf. Eigentlich könnte der Ameisenbuntkäfer als Fressfeind helfen, wie Müller erklärt. Doch vor der schieren Schädlingschwemme kapituliere der natürliche Prädator.
Die Borkenkäfer scheinen überall zu sein, gleichwohl ist es Müller zufolge höchst aufwändig, die befallenen Bäume zu finden: "Sie sitzen unter der Borke von Fichten, die auf den ersten Blick gesund wirken, aber bereits zum Absterben verdammt sind." Müller und sein Team entwickeln derzeit ein Gerät, das befallene Bäume aufspürt, indem es auf die Lockstoffe der Borkenkäfer reagiert: "In den Forstwissenschaften steckt auch viel Chemie, zum Schrecken mancher Studenten", sagt Müller lachend. Ebenso unpopulär, aber notwendig sei die Jagd, vor allem um den so genannten Wildverbiss an jungen Trieben und Bäumen einzudämmen. Und er betont, nie habe es in den Wäldern so viel Hoch- und Niederwild gegeben wie heute, da natürliche Feinde weitgehend fehlen. Wie Tiere zu erlegen sind, auch das lernen Studierende im Tharandter Wald, der grüner Hörsaal und Forstpraxis-Testgebiet in einem ist.
Eine Stunde Waldbau: Ökonomen vs. Ökologen
Wie aber sollte der Wald der Zukunft, der auch dem Klimwandel trotzen kann, aussehen? Welche Baumart wird überleben, welche nicht – und warum? Um Antworten zu finden, lädt Professor Sven Wagner zur praktischen Übung in Waldbau, sein Spezialgebiet. Dabei erfahren seine Studierenden als erstes, dass es keine einfache Lösung gibt. Denn Wagner hat sie eingeteilt in drei Gruppen mit widerstreitenden Interessen: Die erste soll den Holzertrag steigern – und also Geld mit dem Wald verdienen. Die zweite Gruppe muss sich hingegen vor allem für Naturschutz und Artenvielfalt stark machen. Die dritte soll einen schönen Wald bauen, für Touristen ...
Die unterschiedlichen Perspektiven führen zu Konflikten; während die Ökonomen etwa die amerikanische Roteiche favorisieren, sind die Ökologen strikt dagegen, weil sie zwar gutes Holz bringe, aber schlecht für viele einheimischen Arten sei. Andererseits erwiesen sich gerade nicht-einheimische Arten oft als besonders stressresistent ... Alles, was nach Kolumbus Aufbruch in die Neue Welt 1492 nach Europa kam, wird dazu gezählt.
Carlowitz & Cotta: Von der Nachhaltigkeit zur Monokultur
Wenn Waldkrise ist, haben die Forstwissenschaften Konjunktur. Sie sind sogar daraus entstanden. In Tharandt Anfang des 19. Jahrhunderts, als Mitteldeutschland seine Wälder zu verlieren droht, ganz besonders Sachsen. Der Berghauptmann Hans Carl von Carlowitz (1645–1714) warnt als erster, die Wälder weiter derart für den Bergbau, den Betrieb von Eisen- und vor allem Glashütten zu plündern. Wer nur den schnellen Profit suche, anstatt das Holz "nachhaltend" zu nutzen, gefährde den Bestand des Landes, warnt er in seiner "Sylvicultura oeconomica – Anweisung zur Wilden Baum-Zucht", die 1713, ein Jahr vor seinem Tod erscheint.
So dringt er auf ein Prinzip, das heute in aller Munde ist: die Nachhaltigkeit – also nicht mehr zu verbrauchen als nachwächst. Doch von Carlowitz wird – noch – nicht gehört ... 1811 holt der sächsische König aus lauter Verzweiflung den Thüringer Forstexperten Heinrich Cotta nach Sachsen. Cotta beruft sich auf Carlowitz' Idee. Er wählt Tharandt 1816 als Sitz der Lehranstalt, die 1816 als Königlich-Sächsische Forstakademie firmiert. Er lässt den Forstbotanischen Garten anlegen und proklamiert: "Ihr müsst den Wald bauen, sonst verliert ihr alles." Zunächst will er genau kalkulieren, was man einem Forst entnehmen kann. Der Tharandter Wald wird Vermessungs- und Testgebiet. Angebaut werden dann vor allem schnell und schön gerade wachsende Kiefern und Fichten. Effizient, aber auf lange Sicht nicht widerstandsfähig; das ahnt Cotta bereits. 200 Jahre später vertiefen die Monokulturen die aktuelle Waldkrise.
"Nordamerika" mitten in Sachsen
Mit neuem Gründergeist begegnet ihr Andreas Roloff, der in den 1990er-Jahren nach Tharandt kommt. Damit sich seine Studierenden die vielen Baumarten besser einprägen können, beginnt er, ausgewählte als "Baum des Jahres" zu besingen! Als erstes verjazzt er 1997 einen Erzgebirgsklassiker, die Eberesche, genannt auch Vogelbeerbaum .... Außerdem geht er daran, den Forstbotanischen Garten im Sinne der Artenvielfalt zu erweitern. Bereits in den 1950er-Jahren wurden dort erste Bäume, die in den USA oder Kanada heimisch sind, angepflanzt. Roloff kümmert sich um Spenden und Sponsoren, damit seine Leute in ganz Nordamerika Samen sammeln können, daraus ziehen sie Setzlinge. Inzwischen stehen große Mammutbäume, Douglasien oder Colorado-Tannen vor den nachgebildeten Rocky Moutains. Roloff kann selber kaum glauben, was in den letzten 20 Jahren so alles in Tharandt gewachsen ist. Langsam, ganz langsam.
Forstwirtschaftlerinnen und -wirtschaftler müssen vor allem eins können: in die Zukunft denken. Wie Carlowitz und Cotta damals, als hier alles begann in Tharandt, im Tal der Waldretter. Wälder auf der ganzen Welt profitieren heute davon; in Vietnam, in Russland, in den Tropenwäldern ... überall arbeiten Absolventen aus Tharandt.
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Carlowitz & Cotta: Von der Nachhaltigkeit zur Monokultur
Der große Raubbau beginnt bereits im 17. und 18. Jahrhundert mit der raschen Entwicklung des Erz-Bergbaus. Holz wird gebraucht für den Ausbau der Gruben oder die mit Holzkohle betriebenen Öfen der Schmelzhütten. Nicht nur rund um die Bergstädte werden Wälder abgeholzt, geflößt werden können die Baumstämme auch aus entlegenen Kammlagen. Auf die gravierenden Folgen des Holzmangels für den Bestand des Landes weist damals der sächsische Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz (1645–1714) hin. Er stammt aus einer adligen Familie, die schon seit Generationen für das Jagd-, Forst- oder Floßwesen in Kursachsen zuständig ist. Als Bilanz seiner Studien, die ihn als jungen Mann durch ganz Europa führten, und seiner Praxis veröffentlicht er 1713, ein Jahr vor seinem Tod, ein Mammutwerk, die "Sylvicultura oeconomica – Anweisung zur Wilden Baum-Zucht". Darin mahnt er, nicht den schnellen Profit zu suchen, sondern "pfleglich" mit dem Holz umzugehen, das so wichtig sei wie das täglich Brot.
Um dem Holzmangel zu begegnen, proklamiert Heinrich Cotta rund 100 Jahre später die Idee vom Waldbau. Verzweifelte Dresdner Hofbeamte werben ihn aus Thüringen ab, um eine geregelte Forstwirtschaft in Sachsen zu etablieren. 1809 war die Direktorenstelle der sächsischen Forst-Vermessungsanstalt frei geworden. Cotta sagte unter der Bedingung zu, dass er seine forstwirtschaftliche Lehranstalt in Sachsen weiterführen könne. Den Sitz Tharandt wählte er mit der Begründung aus: "Ohne Wald und dessen Benutzung kann eine Forstlehranstalt ebenso wenig gedeihen als eine Bergwerkakademie ohne Bergwerk." 1811 siedelte Cotta mit seiner privaten Lehranstalt um, 1816 wurde sie nach langen Verhandlungen Königlich-Sächsische Forstakademie. 1929 wurde sie der Technischen Hochschule Dresden angegliedert.
Mit der Idee, den Wald ähnlich einer Feldwirtschaft anzubauen und zu beernten, beförderte er das Prinzip der Monokultur. Heute wissen die Forschenden in Tharandt um die Nachteile: Hohe Gefährdung bei Bränden, Borkenkäfer-Befall, geringe Klimaresistenz. Sie entwickeln neue Konzepte, wie unser Wald gerettet werden kann. Dazu züchten sie in ihrem akademieeigenen Forst neue Sorten, forschen an resistenteren Pflanzen.
Heimisch oder Nicht-Heimisch
Alles, was nach Kolumbus Aufbruch in die Neue Welt 1492 nach Europa kam, zählt als nicht-heimisch. Den größeren Artenreichtum in Nordamerika begründet Professor Andreas Roloff so:
"In Nordamerika gibt es viel mehr Baumarten, weil während der Eiszeit dort nur wenige auf der Strecke geblieben sind. Sie konnten nach Süden wandern, als die Kälte aus dem Norden kam. Als es wärmer wurde, wanderten sie wieder zurück. Das liegt daran, dass die Gebirge grob beschrieben in Nord-Süd-Ausrichtung verlaufen. In Europa stehen hingegen die Alpen in West-Ost-Richtung quer. Und als die Kälte aus dem Norden kam, sind viele Arten anders als in Amerika mit der Eiszeit verschwunden, weil sie wegen dieser Barriere nicht ausweichen oder sie überwinden konnten, um zu überdauern."