23. Dezember: Das Haus ist voll - der Wirt und die Weihnachtsgeschichte

Wenn sich in diesen Tagen wieder Schlangen vor den Kirchen bilden und der Altarraum zur Bühne für das Krippenspiel wird, dann reichen in diesem Jahr ein paar Andeutungen, um das Flüchtlingsproblem vom Maria und Joseph gegenwärtig zu machen, denn dieser Aspekt der Weihnachtsgeschichte bestimmt seit Monaten nahezu alle öffentlichen Diskussionen. Und deshalb lohnt sich der Blick auf eine Person, die in der Bibel eigentlich gar nicht vorkommt und trotzdem eine wichtige Rolle spielt.

Die Krippenspiele meiner Kindheit waren ganz klar gegendert, die Hauptrollen standen nämlich ausschließlich Mädchen zu. Sowohl die Maria wie auch der Verkündigungsengel, welche in der Rothenseer Dorfkirche die wichtigsten Rollen waren, wurden mit klugen Bauerntöchtern besetzt, da sie in der Aufführung nicht nur fehlerfrei zu sprechen hatten sondern auch anrührend zu singen. Den Jungen waren dafür die vergleichsweise maulfaulen Auftritte als Joseph oder als Hirten vorbehalten, deren vordringliche Aufgabe es war, sich vor dem Verkündigungsengel zu fürchten und später das Kind in der Krippe anzubeten.

Und dann gab es da noch eine etwas indifferente Schar von Einwohnern Bethlehems, die eigentlich nichts zu tun brauchten, außer die Flüchtlinge Maria und Joseph weiterzuschicken, da ja das eigene Haus leider voll sei. In der Rothenseer Dorfkirche ersetzte der Altar die Gassen Bethlehems und meist musste das Flüchtlingspaar drei oder viermal den Altar umrunden und vergeblich an die Treppe der Predigtkanzel gepocht haben, um abgewiesen zu werden, bis schließlich der Wirt die Szenerie betrat. Eine beliebte Rolle war das nicht, denn um eine gewisse Feistigkeit zu verdeutlichen, wurde dem Wirt meist ein Kissen unter die Kutte gestopft und zudem hatte er möglichst unfreundlich auf die Bitte um Einlass zu reagieren. Erst nach mehrmaligem Flehen und mit Verweis auf die hochschwangere Maria ließ der Wirt sich schließlich doch erweichen und verwies die beiden in den Stall zu Ochs und Esel, aus heutiger Sicht das, was man wohl eine Notunterkunft nennt.

Die Weihnachtsgeschichte findet sich in der Bibel beim Evangelisten Lukas und wenn man im zweiten Kapitel die Verse sechs und sieben liest, dann wird man dort vergeblich nach dem Wirt suchen. Er ist tatsächlich eine spätere Erfindung, ganz im Gegensatz zu Ochs und Esel, die in der Bibel tatsächlich Erwähnung finden und folglich auf kaum einer weihnachtlichen Darstellung fehlen. Der Wirt jedoch, dem nach späterer Deutung der Stall mit samt den Tieren gehört, findet mit keiner Silbe Erwähnung. Die Autoren der Weihnachtsstory wollen eine Heilsgeschichte erzählen, da interessieren die Eigentumsverhältnisse eher weniger. Dabei wäre es an der Zeit, die Figur des Wirtes näher zu betrachten, denn hätte er seinen Verschlag nicht für die Flüchtlingsfamilie geöffnet, dann wäre der Heiland nicht im Stall, sondern in der Gosse zu Welt gekommen. Leider scheint der Wirt seit jeher im öffentlichen Ansehen nicht sonderlich wohl gelitten zu sein. Das zeigt sich bis in die Sprache, denn das einzige Adjektiv, das sich aus der Berufsbezeichnung ableiten lässt, heißt "unwirtlich" und auch der Umstand "bewirtet zu werden" klingt eher nach einer Verrichtung als nach einer Herzensangelegenheit.

Aber möglicherweise ist uns der Wirt in seiner Grundhaltung genau deshalb ziemlich nahe, wenn er feststellt, dass in seinem Haus kein Platz sei. Wer möchte schon Fremde bei sich aufnehmen. Aber ins Dunkel schicken möchte er sie auch nicht. Insofern kann der Verweis auf den Stall als eine frühe Form der Willkommenskultur gedeutet werden. Völlig herzlos ist der Wirt also nicht, aber ist er deshalb schon ein "Gutmensch"? Das müsste man wohl diejenigen Fragen, die diesen Begriff wie ein Messer zwischen den Lippen mit sich herumtragen und glauben, mit dem öffentlichen Absingen von Weihnachtsliedern, irgendeiner Form von Nächstenliebe genüge getan zu haben, denn das wäre ja wohl der Kerngedanke des christlichen Abendlandes, das sie vorgeben, retten zu wollen. Das Weihnachtswunder in diesem Jahr ist jedoch ein anderes: Der Wirt wird Mensch. Das war in den letzten Monaten an sehr vielen Stellen zu erleben, auch in Sachsen-Anhalt.