23. November: Salafismus scheint wie Crystal Meth zu wirken

Ich bin kein Terrorexperte, weiß weder, welche Institution solche Terrorexperten beruft, noch über welche Qualifikation man verfügen sollte, um als ein solcher Fachmann um Rat gefragt zu werden. Fest steht allerdings, dass diese Terrorexperten derzeit gut zu tun haben.  An diesen Mutmaßungen möchte ich mich mangels Berufung nicht beteiligen. Dies ist der Versuch eines anderen Blicks.

Als ich jung war und diese Jugendlichkeit meiner Umwelt mit einer kleinen Rebellion deutlich machen wollte, da war das eine vergleichsweise leichte Übung. Man musste einfach nicht mehr zum Frisör gehen, eine alte Jeans überstreifen und schon hatte man in der ostdeutschen Provinz die Aufmerksamkeit, die man brauchte, um sich irgendwie anders zu fühlen.

Ab einer bestimmten Haarlänge kontrollierten die Volkspolizisten regelmäßig und mit strengem Blick den Personalausweis, die Nachbarn blickten kritisch auf den "Gammler" von nebenan und die Jüngeren wurden ermahnt, sich "so einen" nicht zum Vorbild zu nehmen. Doch anders als in den sechziger Jahren, wo junge Männer in der DDR gelegentlich unter Polizeiaufsicht zum Frisör eskortiert wurden, musste zehn Jahre später eigentlich niemand mehr dramatische Repressalien befürchten, und ein paar weitere Jahre später hatten lange Haare, als offen getragene Form einer irgendwie kritischen Haltung, komplett ausgedient.

Nun waren es die Punks, die von den Volkspolizisten kontrolliert wurden, und ihr Schlachtruf "no future" war natürlich unserem alten Hippie-Spruch "make love not war" deutlich überlegen, denn die generelle Verneinung einer Zukunft war wohl die radikalste Antithese zur SED-Ideologie. Die Punks waren härter drauf, sowohl musikalisch wie auch in ihrer Abgrenzung, denn Irokesenschnitt und FDJ-Hemd, das war unvorstellbar. Als die Mauer gefallen war, suchte eine neue Generation von ostdeutschen jungen Männern die Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und brach mit dem letzten ideologischen Tabu des Ostens, dem offiziell verordneten Antifaschismus. Als Skinheads mit Bomberjacke und Springerstiefel zogen sie eine Blutspur der Gewalt durch die neuen Bundesländer.

Früher gab es Diskofuzzis und den Rest - Heute gibt es eine Vielzahl von Szenen und Stilen

Fünfundzwanzig Jahre danach gibt es noch immer Heranwachsende, die sich abgrenzen wollen, von ihren Eltern, von ihrer Umwelt, die Tabus brechen wollen und die Verhältnisse in Frage stellen. Doch das ist in einer Gesellschaft, die sich als pluralistisch und offen darstellt, ungleich schwerer geworden. Denn auch die Jugendkultur ist um einiges differenzierter, als noch vor zwanzig oder dreißig Jahren.

In meiner Jugend gab es nur eine scharfe Trennung, nämlich die zwischen den Diskofuzzis und dem Rest, und mit diesem Rest verstand man sich blendend, auch wenn der eine Deep Purple hörte und der andere Led Zeppelin. Das hat sich inzwischen geändert. Eine Vielzahl von Szenen und Stilen stehen zur Auswahl und schon als Heranwachsender steht man unter dem ständigen Zwang, sich entscheiden zu müssen.

Zugleich ist die Popkultur eine mächtige Industrie geworden und in der Lage, jeden Trend in kürzester Zeit zu kopieren und in ein marktfähiges Produkt zu verwandeln. Wie verlockend muss es da erscheinen, einen Ausweg angeboten zu bekommen, eine Ideologie, die sowohl als Welterklärung wie auch als Lebenshilfe verstanden werden kann.

Salafismus als radikale Gegenposition zum westeuropäischen Wertekanon

Ein äußerst wirksamer Satz, um den Familienfrieden nachhaltig auf die Probe zu stellen, ist die Ansage: "Ich bin jetzt übrigens Salafist". Eine radikalere Gegenposition zum gegenwärtigen westeuropäischen Wertekanon lässt sich nicht formulieren. Beim Thema Salafismus endet die allgemeine Toleranz, die ja häufig nur ein verstecktes Desinteresse am Nächsten ist.

Wer sich zum Salafismus bekennt, der kann sicher sein, dass er die Aufmerksamkeit findet, die ihm möglicherweise bislang verwehrt war. Ein solches Leben nach einem strengen Regel- und Wertekanon scheint für junge Menschen, die nach einem Halt und Sinn in ihrem Leben suchen, durchaus verlockend zu sein, vor allem dann, wenn ihnen die Umwelt überwiegend ein Leben in Misserfolgen bescheinigt.

Immerhin gibt es derzeit in Deutschland mehrere tausend Salafisten, so die Sicherheitsbehörden und rund vierhundert von ihnen gelten nach aktuellen Aussagen des Bundeskriminalamtes als sogenannte Gefährder. Erschreckend dabei ist, dass sich die jungen Menschen innerhalb kürzester Zeit radikalisieren und als Konvertiten mit einer besonders extremen Auslegung des Korans glauben, den rechten Weg zum Heil gefunden zu haben.

Zwar ist es nur eine  Minderheit der Salafisten, die dann tatsächlich in den sogenannten Heiligen Krieg zieht, aber man muss schon die Frage stellen, wieviel Frustration und Perspektivlosigkeit sich angestaut haben müssen, bis jemand beschließt, sich mit einem Sprengstoffgürtel  aus dieser Welt zu bomben. Und vor allem müssen wir die Frage stellen, wieso diese Frustration ein Problem unserer europäischen Wohlstandgesellschaft ist, denn Europa hat mehr Kämpfer an die Front nach Syrien exportiert, als das größte islamische Land der Welt, nämlich Indonesien.

"Religion ist Opium für das Volk" dieser Spruch wird Karl Marx zugeschrieben. Doch bezogen auf den Salafismus scheint Religion wie Crystal Meth zu wirken, enthemmend und selbstzerstörerisch. Und wie bei der Drogenpolitik wird es auch in der Auseinandersetzung mit dem religiös aufgeladenen Terror keine einfachen politischen Lösungen geben. Alle weiteren Fragen dazu diskutieren Sie bitte mit Stammtischlern, Psychologen oder Terrorexperten.