7. Oktober 2015 | "In den Zeiten der Krise sind die Kirchen voll"

An diesen Satz musste ich unwillkürlich denken, als ich mit viel anderen Magdeburgern vor der Petri Kirche wartete. Anlass war die Bürgerversammlung mit Innenminister Stahlknecht zur geplanten Asylunterkunft im Magdeburger Herrenkrug.

Diesen Spruch mit der Krise und den Kirchen hörte ich zum ersten Mal im Herbst 1989 von einem älteren Pfarrer. Und weil es allmählich vor der Petri-Kirche dunkel wurde, erinnerte die Situation schon ein wenig an den Wendeherbst. Doch der Vergleich hinkt, denn 1989 gab es bei den Diskussionen in den Kirchen eine große Einigkeit im Publikum, nämlich: So könne es nicht weitergehen im Land. Auslöser waren auch schon damals Flüchtlingsströme, allerdings jene in Richtung Westen.

Ein Vierteljahrhundert später sind es wieder Flüchtlingsströme, diesmal allerdings jene, die zu uns kommen. Und die Diskussion in der Magdeburger Petri-Kirche machte zudem deutlich, dass das Publikum, anders als im Herbst '89, gespalten war. Denn nicht nur die Anwohner der geplanten Flüchtlingsunterkunft waren der Einladung gefolgt, sondern auch so mancher Scharfmacher, der sein abgestandenes politisches Süppchen aufwärmen wollte, in der Hoffnung auf Beifall der verunsicherten Bürger.

Ich war an diesem Abend in meiner Rolle als unbeteiligter Beobachter gekommen, merkte allerdings recht bald, dass ich innerlich alles andere als unbeteiligt blieb. Es ist eben ein Unterschied, ob man Diskussionen bei Facebook liest oder live miterlebt. Ein Umstand erinnerte jedoch schon an den Wendeherbst, die ständige Anwesenheit von Gerüchten. Fast scheint es so zu sein, als ob solche Gerüchte absichtlich produziert werden, eine gefährliche Mischung aus Viertelwahrheiten und Vorurteilen, die eine unangenehme Eigenschaft haben, sich zu verbreiten wie ein Computervirus.

So manche Behauptung könnte durch einen ganz einfachen Virenfilter, nämlich den gesunden Menschenverstand, ausgebremst werden. Doch in der Aufregung, so scheint es, siegt das Gefühl über den Geist und es sind wirklich aufregende Zeiten.  Angeblich ist die Generationen der Nachwendezeit ein wenig neidisch auf ihre Eltern, die den Fall der Mauer miterlebten. Wie also werden diese Generationen in fünfundzwanzig Jahren zurückblicken auf jenen Herbst 2015, als die Kirchen wieder voll waren?