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Vertreibung - kein BühnenthemaDie Affäre "Umsiedlerin"

29. Oktober 2010, 17:10 Uhr

Im Sommer 1961 inszeniert der junge Regisseur B. K. Tragelehn mit Studenten an der "Hochschule für Ökonomie" in Berlin-Karlshorst Heiner Müllers satirische Komödie "Die Umsiedlerin". Es ist eine Versuchsaufführung im Rahmen einer von der FDJ initiierten "Internationalen Studenten-Theater-Woche".

Müllers Stück handelt von der Kollektivierung der Landwirtschaft. Die Hauptfigur ist Niet, eine resolute Umsiedlerin. Das Stück strotzt vor satirischen Versen, die der Staatsmacht sauer aufstoßen müssen: "'Sind wir im Himmel oder in der Hölle?' – 'Fürs Erste sind wir in der LPG.'" Oder: "'Die Agitatoren kommen!' – 'Mach den Hund los!'"

Umsiedler - auf Theaterbühnen unerwünscht

In die Zeit der Probearbeiten fällt der Mauerbau am 13. August 1961. Die FDJ ist jetzt besonders wachsam. Zudem ist ihr zu Ohren gekommen, dass "Die Umsiedlerin" ein höchst brisantes Stück sei. Zur Generalprobe rücken dann sowohl Vertreter der FDJ als auch der SED an. Und ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigen sich: Das Stück gehört eigentlich sofort verboten, so die einhellige Meinung.

Doch wegen der internationalen Gäste will die FDJ das Stück nicht einfach vom Spielplan nehmen. Und so findet die Uraufführung am 11. September 1961 statt. Der Zentralrat der FDJ hat die Zuschauer vor der Beginn des Stücks aufgefordert, während der Aufführung lautstark zu protestieren. Aber der Plan geht nicht auf. In der ersten Reihe sitzt Manfred Krug und lacht schallend über jeden Witz, der auf der Bühne gerissen wird. Einige der linientreuen Zuschauer müssen dann auch lachen, was die Sache noch verschlimmert.

Harsche Reaktion: "Reaktionäres Machwerk"

Heiner Müller und B. K. Tragelehn werden sofort ins Kulturministerium zitiert. Das Drama wird als "konterrevolutionär, antihumanistisch und antikommunistisch" eingestuft. Ein Abteilungsleiter sagt: "Das reaktionäre Machwerk 'Die Umsiedlerin' ist kein Gegenstand der Literaturwissenschaft, sondern der Staatssicherheit." "Die Umsiedlerin" kommt auf den Index. Den Regisseur B. K. Tragelehn treffen die Repressionen der SED am härtesten: Er wird 1961 aus der Partei ausgeschlossen und sein Vertrag mit dem Theater Senftenberg annulliert. Er muss sich stattdessen in der Produktion bewähren – drei Jahre als Gleisbauarbeiter im Braunkohletagebau Klettwitz.

Müller schreibt "Selbstkritik"

Heiner Müller dagegen hat vergleichsweise Glück - er muss im Auftrag der SED eine "Selbstkritik" verfassen. Er schreibt sie im Brecht-Haus in Berlin, beraten und bekocht von Helene Weigel. Im "Club der Kulturschaffenden" trägt er seinen Text später vor SED-Granden und Akademiemitgliedern vor. Der Komponist Hanns Eisler sagt anschließend zu ihm: "Müller, Sie sollten froh sein, in einem Land zu leben, in dem Literatur so ernst genommen wird."

Erst 14 Jahre später die nächste Aufführung

Anfang der siebziger Jahre gibt es in einem Theater in Mecklenburg einen Versuch, "Die Umsiedlerin" auf die Bühne zu bringen. Doch die Bezirksleitung der SED verbietet die Aufführung mit dem Argument, "man wolle keine alten Wunden aufreißen". Erst vierzehn Jahre später, 1975, darf Müllers "Umsiedlerin" in der DDR wieder aufgeführt werden.

Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 30. Dezember 2020 | 06:40 Uhr