Thüringen und der Rechtsterrorismus Wie Bodo Ramelow vom NSU beobachtet wurde

17. Januar 2020, 17:44 Uhr

"Ich habe mich noch nie so geängstigt, wie in diesem Prozess", sagt Bodo Ramelow – heute amtierender Ministerpräsident in Thüringen, damals Zeuge der Anklage. Verhandlungssache: Die Beschädigung der Wanderausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944". Angeklagter: Der bereits vorbestrafte NS-Befürworter Manfred Roeder. Doch noch während der Verhandlungstage passiert etwas, das Ramelow jahrelang nicht los lässt.

Erfurt ist die erste Station in Mitteldeutschland, wo die seit 1995 tourende Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" gezeigt wird. Noch haben sich Angriffe gegen die Schau bis dahin "nur" im Rahmen verbaler Gewaltakte bewegt. Denn die Bilder, auf denen Soldaten der Wehrmacht lächelnd und winkend an frischen Gräbern oder vor erhängten Zivilisten zu sehen sind, erscheinen in rechten Kreisen unerträglich. Massive Drohungen von rechts, Verbalattacken ("Lügenpropaganda") und Boykottaufrufe begleiten die Schau des Hamburger Instituts für Sozialforschung.

"Lügenpropaganda aus perversem, jüdischem Gehirn"

Doch die Anzeichen, dass es dabei nicht bleiben wird, verdichten sich. Vor der Tür des Erfurter Gewerkschaftshauses, in dem die Schau gezeigt wird, ist die Polizei dauerhaft präsent. Denn dem Veranstalter hageln Drohbriefe ins Haus, in denen es heißt: "Diese abscheuliche Lügenpropaganda kann nur aus perversen, ausgedörrten, jüdischen, bolschewistischen Gehirnen entsprungen sein."

Am 9. Juni 1996, dem letzten Tag der Ausstellung, lässt eine Gruppe ihren Worten Taten folgen. Über 25 Meter Länge sprühen sie in gelber und schwarzer Farbe immer wieder das Wort "Lüge" auf die Ausstellungstafeln. Nur die zwei ältesten der Angreifer werden noch vor Ort gestellt. Einen von ihnen hindert Gewerkschaftschef Bodo Ramelow persönlich an einer weiteren Zerstörung der Schau:

Ich saß noch am Schreibtisch, als die Meldung kam, da unten wird gerade die Ausstellung zerstört. Und ich rase los, rase runter, benachrichtige gleichzeitig die Polizei, und sehe, da steht ein alter Mann mit der Spraydose. Ich gehe auf ihn zu, halte ihn am Arm fest, was mir dann später eine Anzeige von ihm wegen Gewalttätigkeit einbrachte. Ich ahnte, dieser alte Mann, das muss der Rechtsterrorist Manfred Roeder sein.

Bodo Ramelow Amtierender Ministerpräsident Thüringen

Ein Prozess unter merkwürdigen Umständen

Die Vita des Angreifers, Manfred Roeder, ist zu diesem Zeitpunkt bereits gespickt mit einschlägigen Vorstrafen und Verurteilungen wegen Volksverhetzung, Verunglimpfung des Staates und des Andenkens Verstorbener. Doch noch etwas anderes macht diesen Mann zum Idol der Rechtsradikalen. Roeder geht als einer der ersten in der Bundesrepublik in den rechtsterroristischen Untergrund.

1980 gründet er die so genannten "Deutschen Aktionsgruppen", die in der Folge wiederholt Brand- und Sprengstoffanschläge verüben. In einem Hamburger Asylbewerberheim sterben dabei zwei vietnamesische Flüchtlinge. 1982 wird Manfred Roeder dafür zu 13 Jahren Haft verurteilt. Doch er kommt nach verbüßten zwei Dritteln der Strafe und aufgrund guter Führung und Sozialprognose 1990 wieder frei.

Worauf sich diese Prognose stützt, bleibt schleierhaft. Denn bereits sechs Jahre später, beim Prozess in Thüringen, tritt Manfred Roeder wieder unverkennbar als zu neuen Taten drängender Anführer einer radikalen Rechten auf. Bei seinen Plädoyers wird er unterstützt von zahlreichen kahlgeschorenen Anhängern, die die Zuschauerreihen bei der Verhandlung füllen. Die Richterin schweigt während des fast einstündigen Monologs Roeders.

Herr Roeder ist dort aufgetreten, als ob er der große Ankläger des NS-Regimes ist. Und in einer Tonart, in einer Zackigkeit, schrie der immer durch den Gerichtssaal. Die Richterin war sichtlich überfordert mit der Situation. Und es gab da einen Punkt, wo ich das Gericht bat, mich zu schützen, weil ich mich seiner Attacken nicht mehr erwehren konnte. Ich solle sagen, was mein Vater gewesen sei. Und ob ich das Ansehen meines Vaters mit Füßen treten wolle.

Bodo Ramelow

Rechtsterrorismus Ostdeutschland: Die neue Garde

Für die Sachbeschädigung an der Ausstellung wird Manfred Roeder im September 1996 zu einer glimpflichen Geldstrafe verurteilt – während im und außerhalb des Gerichtssaals Roeders Fans, darunter viele Mitglieder der "Kameradschaft Jena", zu neuen Taten rüsten. Techniken der Einschüchterung und Bedrohung testen sie bereits im Verfahren beim Zeugen der Anklage: Bodo Ramelow.

Innerhalb dieses Prozesses merke ich, dass ich permanent von zwei Menschen verfolgt werde, die sehr nah an mir dran sind. Auch wenn ich aus dem Gerichtssaal rausgehe. Da hab ich gespürt, das macht mir Angst. Das Signal war für mich eindeutig, das Signal war: Wir sehen dich, wir hören dich. Wir wissen, wer du bist. Wir wissen, wo du wohnst. Das war das Signal, unausgesprochen. Die haben kein Wort mit mir geredet.

Bodo Ramelow

Wer die beiden sind, die ihm in der Zeit des Prozesses bis nach Hause folgen, erfährt Ramelow erst Jahre später. Als 2011 die Bilder einer rechtsterroristischen Gruppe, des "Nationalsozialistischen Untergrunds" um die Welt gehen. Es waren die späteren Serienmörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Diese Augen haben sich tief in meine Seele eingebrannt. Da hab ich gespürt, das macht mir Angst. Ich hab es weggesteckt und auch tief verpackt. Ich habs gar nicht mehr an mich rangelassen. Erst als die beiden tot waren und ich die ersten Bilder gesehen hab, war sofort das Bild wieder da. Sofort der Gerichtssaal in Erfurt. Sofort die Wehrmachtsausstellung.

Bodo Ramelow

"Mit Bombenstimmung in das Kampfjahr '97"

Dass es ihnen gelang, über Jahre im Untergrund zu leben und in einem seit 1945 nie gekannten Ausmaß zu morden und rechtsextremistischen Terror zu verüben, hat Bodo Ramelow wie so viele geschockt. Die Dimension. Nicht der Fakt der rechtsterroristischen Bedrohung an sich. Denn wer hinsehen wollte, konnte lange vorher, seit Mitte der 1990er-Jahre, sehen und erkennen, wohin sich dieser Teil der neuen rechtsradikalen Szene unbeirrt hinbewegt.

Keine drei Monate nach Ende des Prozesses in Erfurt verschickt Beate Zschäpe, die Dritte im engeren Kreise des NSU, eine Briefbombenattrappe an die Stadtverwaltung Jena. Im Begleitschreiben heißt es: "Mit Bombenstimmung in das Kampfjahr '97, Auge um Auge, Zahn um Zahn, dieses Jahr ist Dewes dran!!!" Gemeint war der damalige thüringische Innenminister Richard Dewes (SPD).

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: MDR Zeitreise | Wem gehört Geschichte? - Der Kampf ums Erinnern und Vergessen | 24.11.2019 | 22:20 Uhr