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Urlaub im OstenPrerow – das "Mallorca der Ostsee"

17. Juni 2021, 14:19 Uhr

Ein kilometerlanger Sandstrand und ein Zeltplatz, der das Campen am Strand und in den Dünen erlaubte: Das gab es nur in Prerow, an der Spitze des Darß. Und noch eine weitere Besonderheit zog jedes Jahr Tausende Camper an: die Freikörperkultur – kurz FKK.

1953 wurde der Platz eröffnet und es kamen die Ersten mit ihren Zelten in die Dünen. Dann wurden es von Jahr zu Jahr immer mehr. Vor allem angezogen durch eine Besonderheit: die Freikörperkultur - kurz FKK. Aus Hunderten Campern wurden schließlich Tausende. Sie drängten sich in sechs Reihen mit ihren Zelten am Strand. Im Sommer bevölkerten 20 Mal so viele Urlauber wie Einwohner das kleine Prerow. Allein auf dem Zeltplatz fanden sich bis zu 10.000 Besucher ein. Die Diskotheken "Dünenhaus", "Helgoland", "Seestern" waren in der ganzen DDR bekannt. Für Verabredungen in Prerow lautete der Treffpunkt: Block K, Holunderbusch, den fand jeder. Hier trafen sich Liebespärchen, Stasi und Studenten. Es wurden Geschäfte abgewickelt, aber auch wichtige Fragen geklärt: "Wie bekomme ich nächstes Jahr meinen Zeltschein, wo kann man sich Getränke organisieren?"

FKK - Lebensgefühl Ost pur

FKK war keine Erfindung der DDR, der Nudismus existierte bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts. 1906 entstand eine erste FKK-Vereinigung in Berlin, in den 20ern bekam die Bewegung sogar eine gewisse proletarische Note. Aber gerade zu Beginn der DDR hatte die Staatsführung ein Problem mit der Freikörperkultur. Schon als die ersten Nackten am Strand von Prerow Ende der 40er-, Anfang der 50er-Jahre auftauchten, wurden sie von der damals noch Kasernierten Volkspolizei zusammen mit russischen Soldaten auf Pferden auseinandergetrieben. 1954 gab es ein offizielles Nacktbadeverbot der Volkspolizei, man fürchtete die Verwilderung der Sitten. Aber es war eines der wenigen Verbote, das die DDR nicht durchsetzen konnte. Nacktbaden wurde immer populärer, besonders in den 70ern. Die Devise in Prerow lautete: Die Nackten sind immer nackt, am Strand, in den Zelten und selbst beim Einkauf. Schließlich gab die Partei- und Staatsführung nach. FKK war im Bewusstsein der meisten Nacktbader kein Zeichen von Opposition gegen das SED-Regime, es wurde einfach gepflegt und als normal empfunden.

Campen in Prerow – eine besondere Erfahrung

Wenn sich Tausende in den Sommermonaten auf den Weg nach Prerow machten, war alles schon vorab geregelt. Für die Leitung des Campingplatzes gab es keine Überraschungen: Die Zeltscheine waren lange vorher vergeben, man wusste genau, wer kam. Alle Gäste wurden auf die verschiedenen Blöcke verteilt. Genau wie in Markgrafenheide wurde darauf geachtet, dass sich bei aller internationaler Solidarität die Nationen doch nicht zu sehr vermischten. So bekamen die Tschechen, für die die Ostsee eine Art "heimisches Meer" war, einen eigenen Platz zugewiesen. Bis zu 1.200 Personen schlugen hier am Tag ihre Zelte auf. Wer auf dem Zeltplatz nicht selber kochen wollte oder konnte, ging zum "Fuchsbau", einer Selbstbedienungsgaststätte mit Massenabfertigung.

Prerow und die Sehnsucht nach der Welt

Die Brüder Paczek kamen seit den 60er-Jahren nach Prerow. Für sie wie für viele andere war das Leben am Strand ein Ort der Sehnsucht. Sie erzählen Reporter Axel Kaspar im Film "Nackte Ferien": "Bis '89 schauten wir auf das Meer hinaus und wussten: Irgendwo geht die Welt da weiter. Und für mich hatte sich die Sehnsucht verklärt, da hinten liegt Schweden, da liegt Dänemark, ganz nah, aber genauso weit entfernt wie der Mond. Es war eine Sehnsucht, ein Traum." Solange dieser Traum unerfüllbar war, blieb Prerow attraktiv.

Herr Mühlbrecht, Camper in Prerow schon seit 1951, beschrieb 1995 im Rückblick das besondere Prerow-Erlebnis so: "Das letzte Jahr 1989, da war noch mal das volle Prerow-Gefühl. Jeder konnte mit jedem. Sie konnten nachts ihren Fotoapparat aus dem Zelt hängen, der war morgens noch da. Oder wenn mal irgendetwas fehlte: Jeder borgte jedem etwas. Es war ein Leben mit Gitarre und mit Prerow-Song." Denn der Zeltplatz hatte seine eigene Hymne. Heute, nach der Umbenennung in "Regenbogencamp", gibt es auch wieder eine Hymne, den "Regenbogencamp-Song", der morgendlich den Platz beschallt und die Camper weckt.

Mit der Friedlichen Revolution von 1989 kam auch für das Campingparadies der große Einbruch. Die meisten bis dahin treuen Besucher erkundeten, was es im Westen zu sehen gab zwischen den Alpen, Italien und Mallorca. Aber nach einigen Jahren kamen sie dann doch wieder zurück. Der Campingplatz ist heute kleiner, begrenzt durch den Nationalpark "Vorpommersche Boddenlandschaft". Aber noch immer darf man in den Dünen zelten. Das ist in Deutschland einmalig.

(zuerst veröffentlicht am 01.07.2009)

Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV:MDR Zeitreise - Sofa frei im Erzgebirge | 22.03.2020 | 22:00 Uhr