Windrad Wustrow, 2014
Windkraft in der DDR: Das Windrad in Wustrow, Mecklenburg-Vorpommern. Das Foto wurde 2014 aufgenommen. Bildrechte: imago images / Westend61

"Energiewende" in der DDR Das erste und einzige Windrad der Republik

12. April 2022, 05:00 Uhr

Klimawandel, Kohleausstieg und Energiewende sind schon länger in aller Munde. Jetzt will Deutschland auch auf russisches Gas verzichten. Doch wie gelingt das? Erneuerbare Energien gelten als Lösung. Bis 2050 sollen 80 Prozent des Stroms in Deutschland aus Wind, Sonne und Biomasse stammen. Durch Putins Krieg in der Ukraine könnte im wahrsten Sinne des Wortes neuer Wind in die Sache kommen. Was viele gar nicht wissen: Schon in der DDR gab es ein industriell genutztes Windrad!

Zugegeben, der DDR kann man nur schwer eine Vorreiterrolle beim Thema Umweltschutz bescheinigen. Im Gegenteil: Seit der zweiten Ölkrise 1979/1980, nach der die Sowjetunion ihre Öllieferungen verringert, ist sie mehr denn je auf die schmutzige, aber im Inland reichlich verfügbare Braunkohle als Energieträger angewiesen. Ihr erstes (und auch einziges) industriell genutztes Windrad verdankt die DDR also nicht dem System, sondern zwei engagierten Bürgern.

"Seit heute liefert die Windkraftanlage bei Wustrow auf dem Fischland als erste industriemäßig gefertigte Anlage Elektroenergie ans Netz", verkündete die Aktuelle Kamera, die Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens, am 11. Oktober 1989 stolz. Der Weg dorthin war ein abenteuerlicher.

Idee aus dem West-Fernsehen

Dr. Klaus Jürgen Beel, einer der "Macher" der Anlage, leitete Ende der 1980er-Jahre den VEB Holzhandel Rostock. Eines Tages bekam er den Auftrag, Holzbohlen für Spundwände herzustellen, die in den Westen exportiert werden sollten. Dafür musste er die Holzbohlen jedoch mit viel Energie trocknen. Doch woher nehmen? Am gängigsten war es, Braunkohle zu verwenden. Wegen der großen Kohle- und Ascheberge, die dabei entstehen, kam das für Beel aber nicht in Frage. Er suchte nach Alternativen. Als er einen Bericht des NDR über Windräder in Dänemark sah, kam ihm die zündende Idee: Ein Windrad musste her.

Genehmigung beim Minister erschlichen

Und so begann Beel damit, sich bei den Behörden zu informieren. Beim Energiekombinat Rostock fand er einen Gleichgesinnten: Otto Jörn, der damit beauftragt war, an alternativen Energiequellen zu forschen. Während Jörn in Dänemark nach der passenden Anlage suchte und schließlich eine für 440.000 D-Mark in Auftrag gab, überzeugte Beel die DDR-Führung von dem Projekt.

Das war jedoch schwieriger als gedacht. Weil er von seinem Generaldirektor keine Genehmigung bekam, holte er sie sich am Rande der Leipziger Messe in einer Raucherecke vom zuständigen Minister. Um ans Ziel zu kommen, bedurfte es einer Trickserei: Ein Hamburger Holzhändler wurde damit beauftragt, das Windrad zu kaufen. Im Gegenzug bekam er Holz aus Rostock für die Hälfte des Preises. So konnten Beel und Jörn die strengen Auflagen der DDR-Außenwirtschaft umgehen.

Ist eine "Energiewende" in der DDR machbar?

Bereits im Juni hatte Otto Jörn eine erste Testanlage in Rostock-Dierkow in Betrieb genommen. Drei Jahre lang hatten Hobbybastler sie in ihrer Freizeit errichtet. Die Windflügel stammten von einem Hubschrauber. Die 25 Meter hohe Anlage speiste ganze 55 Kilowatt ins Netz ein.

Mithilfe der Tests sollte ermittelt werden, ob die Windenergie für die Energieversorgung der DDR von Nutzen sein könnte. Als Standorte hatte man nicht nur die Küste im Blick. Laut Rostocker Energiekombinat hatte man festgestellt, dass die Nutzung des Windes als zusätzliche alternative Energiequelle nicht nur im Küstenbereich, sondern auch im Mittelgebirge ökonomisch vertretbar sein könnte.

Wiege der Windenergie in Deutschland

In der Bundesrepublik wurde bereits zwei Jahre zuvor, am 24. August 1987, in Kaiser-Wilhelm-Koog der erste Windenergiepark eröffnet. Der Ort an der Nordsee gilt als Wiege der deutschen Windindustrie. Dort hatten einige Landwirte bereits nach dem Ersten Weltkrieg damit begonnen, mit Windrädern Strom zu produzieren. Dafür stellten sie einfach eine ausrangierte Treckerachse senkrecht auf, setzten ein Windrad darauf und stellten einen Generator darunter. In den frühen 1980er-Jahren wurde dann auch die hoch subventionierte Probeanlage "Growian" in Betrieb genommen.

Bundesregierung fördert alternative Energien

Nach der Wiedervereinigung wurden die Bestrebungen zur Windenergie – in Ost und West – in ein Gesetz gegossen: Am 1. Januar 1991 trat unter der Regierung von Helmut Kohl das Stromeinspeisungsgesetz in Kraft. Dadurch wurden Energieunternehmen erstmals dazu verpflichtet, aus alternativen Energien gewonnenen Strom in ihre Netze einzuspeisen.

Knapp zehn Jahre später befeuerte die Bundesregierung den Ökostrom erneut – mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, das am 1. April 2000 in Kraft trat. Aus der Windenergie ist mittlerweile eine bedeutende Branche geworden, auch wenn der Ausbau derzeit stoppt. Durch Putins Krieg in der Ukraine könnte im wahrsten Sinne des Wortes neuer Wind in die Sache kommen. Auch mit Hilfe von Windenergie könnte Deutschland unabhängiger von fossilen (russischen) Rohstoffen werden.

Putin beschleunigt Energiewende in Deutschland

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck hat Anfang April 2022 das sogenannte Osterpaket vorgestellt. Es soll die Energiewende beschleuigen, so dass Deutschland bis 2035 seinen Strombedarf fast vollständig aus erneuerbaren Energiequellen deckt. Erneuerbarer Strom müsse so schnell wie möglich Energieimporte aus Russland ersetzen, so Habeck.

Gemeinsam schaffen wir es, gemeinsam stoppen wir den Krieg, gemeinsam schaden wir Putin und gemeinsam werden wir unabhängig von fossilen Energien – das ist dann ökologischer Patriotismus.

Robert Habeck, Wirtschafts- und Klimaschutzminister

Laut Branchenverband stehen bundesweit inzwischen fast 30.000 Windenergieanlagen in der Landschaft. 2021 wurden durch Windenergie an Land und auf See 20,1 Prozent des gesamten Bruttostroms in Deutschland erzeugt.

DDR-Windrad erzeugt immer noch Strom

Das erste Windrad der DDR dreht sich heute immer noch. Fast alle Originalteile sind noch erhalten. Obwohl es mit seinen über 30 Jahren nun zu den Oldies unter den Windrädern zählt, will Klaus-Jürgen Beel, der es nach der Wiedervereinigung gekauft hatte, nicht abreißen lassen.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 06. April 2022 | 19:30 Uhr

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Braunkohle in der DDR