Grüne Woche Berlin So schmeckt die DDR

15. Oktober 2020, 11:33 Uhr

Essen und Trinken in der DDR - das lässt sich nicht reduzieren auf: "Bückware", Selbstversorgung, Schlangestehen, "Ham' wa nich'". Hinter 40 Jahren DDR steht weit mehr als das Arrangement mit der Mangelwirtschaft.

Schon die ersten Jahre der DDR sind geprägt von Selbstversorgung aus Garten und Landwirtschaft. Die Angebote in den Regalen stellen die verordnete "Grundversorgung" dar, bieten aber wenig Abwechslung und schon gar keine Exotik. Obst und Südfrüchte sind Mangelware. Also werden Äpfel, Erdbeeren und Pfirsiche einfach selbst gezogen. Das Kleingärtnern wird zu einer regelrechten Massenbewegung.

Jede Woche zweimal Fisch

Die Konsumgenossenschaft Halle eröffnet 1956 den ersten Selbstbedienungsladen des Landes, zwei Jahre später wird endlich die Lebensmittelrationierung auf Karten aufgehoben. Passend dazu startet im gleichen Jahr Kurt Drummers beliebte Sendung "Der Fernsehkoch empfiehlt", kurz danach bereichert auch der "Tip des Fischkochs" Rudolf Kroboth die Bildschirme. Hervorragende Fangquoten der Fischereiflotte machen’s möglich. Das Motto: "Jede Woche zweimal Fisch - hält gesund, macht schlank und frisch." Diesem Motto bleibt auch das erste Restaurant der Kette "Gastmahl des Meeres" treu, das 1966 in Weimar eröffnet wird. Es folgen weitere in Berlin, Leipzig, Rostock, Magdeburg, Jena und Erfurt.

Broiler - ein Klassiker wird geboren

Brathähnchen am Spieß
Brathähnchen am Spieß Bildrechte: Colourbox.de

Die 1960er-Jahre bescheren der DDR auch einen kulinarischen Klassiker: den Broiler. Angeblich will die Regierung mit den gebratenen Hühnchen ein Pendant zum westdeutschen "Wienerwald-Hendl" schaffen. Tatsache ist, dass das Brathuhn im Osten schnell zum Dauerbrenner wird. Für die Geflügelproduktion werden Maschinen und Anlagen aus Jugoslawien und England importiert. In Königs Wusterhausen entstehen die ersten Gebäude des Kombinats Industrielle Mast, kurz KIM genannt. "Wir haben aus der ganzen DDR Jungfacharbeiter nach Königs Wusterhausen geholt", erinnert sich Agate Pegau, die in der Frischeierproduktion arbeitete. "Denn KIM Königs Wusterhausen war der Beispielbetrieb." Im ganzen Land entstehen weitere KIM-Anlagen. Das Motto für die Zuchttiere wird von offizieller Stelle ausgegeben: "Saufen, fressen, faulenzen - und trotzdem den Plan erfüllen". Ein Zuchtzyklus dauert 56 Tage.

Um die Brathühnchen an die Kunden zu bringen, sollen "Broilerbars" eröffnet werden. Zuvor haben sich die Zuständigen ein bisschen im Westen abgeschaut, wie Ernst Neubert, damals Aufbauleiter für industrielle Tierproduktion, heute erzählt: "Wir haben uns das bei ‚Wienerwald’ angesehen und danach mit dem Ministerium für Handel und Versorgung abgestimmt, wie die Einrichtungen sein müssen." Die ersten Goldbroilerbars werden im November 1967 in Berlin eröffnet. 1970 folgt in Erfurt mit der "HO-Gaststätte Goldbroiler" das erste Restaurant seiner Art.

Westfeeling im Delikat-Laden

Wenig später erfahren die Speisekammern der DDR-Bürger eine kulinarische Bereicherung - zumindest bei denen, die das nötige Klein- bzw. Westgeld haben: Jetzt darf auch der Ottonormalverbraucher in den Intershops einkaufen. Vorher war es verboten, Valuta zu besitzen - ein Erlass des Ministerrats hebt dieses Verbot schließlich auf. 1976 setzt der Staat noch eins drauf und richtet die "Delikat"-Läden ein. Sie bieten Lebensmittel aus Importen und aus der so genannten Gestattungsproduktion an. Die Preise sind wesentlich höher als in den Kaufhallen: Schokopulver acht Mark, Westschokolade sieben Mark, eine Dose Ananas zwölf Mark: "Delikat"-Lebensmittel auf dem Tisch zu haben, wird zu etwas ganz Besonderem.

Krise um das "braune Gold"

Das Angebot in den Kaufhallen und Konsum-Verkaufsstellen verbessert sich hingegen nur wenig. Neben den alltäglichen Engpässen bahnt sich Ende der 1970er-Jahre eine regelrechte Krise an: Der Kaffee wird knapp. Die Regierung hatte wegen Devisenmangels den Import drastisch gekürzt. Das braune Gold ist plötzlich rar in der DDR. Aber deren Bewohner trinken gern und viel Kaffee - also improvisiert der Staat und bringt einen Ersatz auf den Markt: Der "Kaffeemix" soll die erhitzten Gemüter beruhigen. "Es kam die Idee auf, den Kaffee mit Mischkaffee zu strecken", erzählt Politbüromitglied Gerhard Schürer, Chef der Zentralen Plankommission, "zu einem Verhältnis von 51 Prozent Bohnenkaffee und 49 Prozent Surrogaten."

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Kaffeemix - "das war zuviel des Guten", da waren sich nicht nur die Kaffee-Sachsen einig: Landesweit verzogen Kaffeeliebhaber beim Genuss von "Erichs Krönung" das Gesicht.

Di 16.09.2003 22:00Uhr 01:04 min

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Doch landesweit verziehen Kaffeeliebhaber beim Genuss von "Erichs Krönung" das Gesicht. Die Zusätze Zuckerrübe und Zichorie schmecken nicht in der Kaffeetasse. Das Gebräu taugt nur für schlechte Witze und führt zu Protesten. Selbst der robuste DDR-Brühautomat "Kaffeeboy" kapituliert vor der brösligen Masse.

Kaffee-Röster Joachim Schacht erinnert sich: "Unsere wenigen Dienstwagen, die wir zur Verfügung hatten, waren natürlich entsprechend gekennzeichnet. Und es ist schon vorgekommen, dass wir auf der Straße angesprochen wurden nach dem Motto ‚Mein Gott, was bietet ihr uns denn da für einen Mist an?’". Eingaben türmen sich, von abführender Wirkung und anderen Nebeneffekten des "Kaffees" ist die Rede. Nach rund einem Jahr hat sich die Lage auf dem Weltmarkt glücklicherweise wieder entspannt: Vietnam steigert für die DDR die Kaffeeproduktion, die Preise für Rohkaffee sinken. In den DDR-Kaffeetassen landet wieder echter Kaffee.

Letscho gegen Trabi-Ersatzteil

Der anhaltende Devisenmangel sorgt auch in den Folgejahren für Engpässe - vor allem bei Südfrüchten, Gewürzen, Kakao und immer wieder beim Kaffee. Manches gibt es jetzt nur noch als Bückware - auch der Tauschhandel floriert. Da werden selbstgeerntete Erdbeeren aus dem Garten gegen Bananen getauscht, heißbegehrtes Letscho in Gläsern wird für ein Trabi-Ersatzteil herübergereicht.

Über tägliche Improvisation und Beschaffungskampf kann auch eine leichte Angleichung an Weststandards an anderer Stelle nicht hinwegtrösten: In der DDR gibt es jetzt "Fast Food" - entwickelt vom "Rationalisierungs- und Forschungszentrum Gaststätten". Die Grilletta wird als Gegenstück zum "kapitalistischen" Hamburger angeboten, die Ketwurst ist die ostdeutsche Antwort auf den Hot Dog. Gemeinsam mit dem guten alten Broiler schaffen sie schließlich nach der Wende sogar den Sprung in die Marktwirtschaft und werden fortan als Alternative zu etabliertem Fast Food angeboten.


Über dieses Thema berichtete der MDR auch im Radio: MDR AKTUELL RADIO | 17. Januar 2020 | 07:30 Uhr

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