Letzte Jugendweihe in Anklam, DDR 1990
Jugendweihe in Anklam im Frühjahr 1990 Bildrechte: imago/Detlev Konnerth

Start ins Erwachsenenleben Die Geschichte der Jugendweihe: "Ja, das geloben wir!"

12. April 2023, 12:00 Uhr

Für viele Heranwachsende ist die Jugendweihe ein wichtiger Tag. Obwohl es die Jugendweihe schon mehr als 150 Jahre gibt, hat sie in der DDR ihre Blütezeit und wird mit dem Bekenntnis zum sozialistischen Staat sogar zu einer Art Pflichtveranstaltung. Die ersten Jugendweihen finden in der DDR im Jahr 1955 statt. Ab den 1970er-Jahren nehmen fast 90 Prozent aller Achtklässler teil.

Der "Zentrale Ausschuss für Jugendweihe" wird 1954 eingerichtet

Anfang November 1954 erhalten die SED-Bezirks- und Kreisleitungen Post vom Zentralkomitee. In einer "Vertraulichen Verschlusssache" wird die Einrichtung eines Zentralen Ausschusses für Jugendweihe und die Veröffentlichung eines Aufrufes zur republikweiten Durchführung der Weihen angekündigt. Schon Ende November 1954 fordert der neugegründete Ausschuss dazu auf, "entsprechend einem allgemeinen Bedürfnis von Eltern und Schülern alljährlich in der DDR die in ganz Deutschland beliebten Jugendweihen durchzuführen." Gleichzeitig wird in den Schulen massiv für die Teilnahme geworben.

Ab 1955 erste Jugendweihen in der DDR

Schon im Frühjahr 1955 finden die ersten Jugendweihen unter staatlicher Obhut statt. Mit Walter Ulbrichts sogenannter "Sonneberger Rede" vom 29. September 1957 verliert die Jugendweihe ihren bis dahin von der SED beteuerten freiwilligen Charakter. Ulbricht, der mächtigste Mann der SED und des Staates, fordert, dass die Jugendlichen an der Jugendweihe teilnehmen müssen, "weil ihnen sonst wichtige Kenntnisse verloren gehen würden, die sie in ihrem späteren Leben brauchen". Die Jugendweihe wird zum Bildungsauftrag, dem sich niemand entziehen soll. Laut Ulbricht sollen alle Jugendlichen an der Weihe teilnehmen, unabhängig davon, "in welcher Weltanschauung sie bisher erzogen wurden."

"Freiwilliges" Bekenntnis zum Sozialismus

Und obwohl die Jugendweihe in der DDR offiziell weiterhin freiwillig ist, gilt sie als ein verpflichtendes Bekenntnis zu den Zielen des Staates. In den 1970er- und 1980er-Jahren machen schließlich etwa 90 Prozent aller Kinder der DDR die Jugendweihe mit. Die hohen Teilnehmerzahlen bedeuten aber nicht, dass die Schüler das Gelöbnis auf den sozialistischen Staat tatsächlich verinnerlichen. Die meisten Eltern lassen ihre Kinder an den Jugendweihefeiern teilnehmen, damit ihre Kinder in der Ausbildung keine Nachteile in Kauf nehmen müssen. Bis zum Ende der DDR sind es vor allem kirchlich gebundene Familien, die ihre Kinder nicht an der Jugendweihe teilnehmen lassen.

"Das geloben wir"

Zwischen 1955 und 1989 schwören regelmäßig Jugendliche in zehn Geboten auf den sozialistischen Staat. Dabei spricht man nicht den gesamten Schwur, sondern sagt immer: "Das geloben wir". Die meisten schauten dabei nach unten und "vernuschelten" den Spruch immer ein bisschen, wie sich Zeitzeugin Claudia Rusch aus Sachsen-Anhalt erinnert. Sie feierte 1986 ihre Jugendweihe in der DDR. Sie erinnert sich, dass richtig geübt werden musste, damit den Jugendlichen ein klares und deutlich gesprochenes "Ja, das geloben wir" über die Lippen kam.

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"Schau, da sitzt unsere Peggy"

Der Saal ist hell erleuchtet. Und das, was kommen soll, wurde mehrfach geübt. In den ersten fünf Reihen sitzen kichernd bis nachdenklich, gespannt bis gelangweilt rund 50 Jugendliche. In schicken Kleidern aus dem Exquisit, frisch frisiert und auftoupiert. Die Mädchen tragen nicht selten zum ersten Mal Absatzschuhe und Feinstrumpfhose. Vorn spricht der Direktor, der Klassenleiter, die Pionierleiterin. Hinten drängen sich Eltern, Geschwister, Omas und Tanten. "Schau, da sitzt unsere Peggy, der Jens, die Simone. Mensch, sehen die erwachsen aus."

Vorbereitung der Jugendweihe

In den Wochen vor der Jugendweihefeier haben Lehrer und Pioniergruppenleiter die Achtklässler auf den neuen Lebensabschnitt vorbereitet. In den Jugendstunden haben sie auf Honeckers Platz in der Volkskammer gesessen, Betriebe besichtigt, das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald besucht oder Vorträgen über Politik und Gerechtigkeit gelauscht. Jetzt bei der Festveranstaltung stehen sie schließlich alle auf der Bühne und werden gefragt:

"Seid ihr bereit, als junge Bürger unserer Deutschen Demokratischen Republik mit uns gemeinsam, getreu der Verfassung, für die große und edle Sache des Sozialismus zu arbeiten und zu kämpfen und das revolutionäre Erbe des Volkes in Ehren zu halten, so antwortet: 'Ja, das geloben wir'", dröhnt es aus den ersten Reihen. Die politisch korrekte Antwort folgt wie zuvor einstudiert und ja nicht genuschelt. Feierlich aufgenommen sind sie nun in die "große Gemeinschaft des werktätigen Volkes". Nun überfliegt doch ein wenig Stolz die Gesichter, spürt so mancher die bewundernden Blicke der kleinen Geschwister.

Das Jugendweihe-Gelöbnis

"Seid ihr bereit, als junge Bürger unserer Deutschen Demokratischen Republik mit uns gemeinsam, getreu der Verfassung, für die große und edle Sache des Sozialismus zu arbeiten und zu kämpfen und das revolutionäre Erbe des Volkes in Ehren zu halten, so antwortet: Ja, das geloben wir!

Seid ihr bereit, als treue Söhne und Töchter unseres Arbeiter- und Bauernstaates nach hoher Bildung und Kultur zu streben, Meister eures Faches zu werden, unentwegt zu lernen und all euer Wissen und Können für die Verwirklichung unserer großen humanistischen Ideale einzusetzen, so antwortet: Ja, das geloben wir!

Seid ihr bereit, als würdige Mitglieder der sozialistischen Gemeinschaft stets in kameradschaftlicher Zusammenarbeit, gegenseitiger Achtung und Hilfe zu handeln und euren Weg zum persönlichen Glück immer mit dem Kampf für das Glück des Volkes zu vereinen, so antwortet: Ja, das geloben wir!

Seid ihr bereit, als wahre Patrioten die feste Freundschaft mit der Sowjetunion weiter zu vertiefen, den Bruderbund mit den sozialistischen Ländern zu stärken, im Geiste proletarischen Internationalismus zu kämpfen, den Frieden zu schützen und den Sozialismus gegen jeden imperialistischen Angriff zu verteidigen, so antwortet: Ja, das geloben wir!

Wir haben euer Gelöbnis vernommen. Ihr habt euch ein hohes und edles Ziel gesetzt. Feierlich nehmen wir euch auf in die große Gemeinschaft des werktätigen Volkes, das unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Partei, einig im Willen und im Handeln, die entwickelte sozialistische Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik errichtet. Wir übertragen euch eine hohe Verantwortung. Jederzeit werden wir auch mit Rat und Tat helfen, die sozialistische Zukunft schöpferisch zu gestalten."

Jugendweihe in Sonneberg 4 min
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Bis Mitte der 1970er-Jahre gibt es zur Jugendweihe das Buchpräsent "Weltall - Erde - Mensch", danach die propagandistisch geprägten Bücher "Der Sozialismus, Deine Welt" oder "Vom Sinn unseres Lebens". Auch das Jugendweihe-Gelöbnis wird ab 1955 mehrfach überarbeitet und später weggelassen.

Über die Urkunde und das Buch "Weltall Erde Mensch" freuen sich diese drei jungen Damen.
Drei junge Frauen mit dem Buch "Weltall Erde Mensch" im März 1958 in Ost-Berlin. Bildrechte: picture-alliance / dpa | ADN Zühlsdorf

Die Jugendweihe überlebt die DDR

Nach dem Ende der DDR besteht die Jugendweihe weiter. Insbesondere in Ostdeutschland wird die Jugendweihe jährlich zwischen März und Juni gefeiert. Die Feierlichkeiten sind jedoch nicht politisch organisiert.

Dieser Artikel erschien erstmals 2013 und wurde 2023 ergänzt.

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 18. März 2020 | 19:00 Uhr