Jugendwerkhof in der DDR Spezialheim für "Schwererziehbare"

"Jugendknast", "Kindergefängnis" oder "rote Burg" - in der DDR kursieren hinter vorgehaltener Hand zahlreiche Bezeichnungen für Jugendwerkhöfe. Doch obwohl die Gerüchte über die Einrichtungen blühen, ist in der Öffentlichkeit kaum etwas Konkretes bekannt. Erst im Herbst 1989 beginnt langsam die Aufarbeitung dieses Kapitels der Vergangenheit.

Jugendwerkhof Wolfersdorf
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Die Geschichte der Jugendwerkhöfe beginnt kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. In Erziehungsheimen sollen kriminelle Jugendliche durch Disziplin und Arbeit auf die Rückkehr ins normale Leben vorbereitet werden. Schon bald entwickeln sich aus diesen Heimen die Jugendwerkhöfe der DDR - ein pädagogisches Projekt der besonderen Art. Um die Jugendlichen in die sozialistische Gesellschaft zu integrieren, sollen sie hier umerzogen, zu besseren Menschen gemacht werden.

Kollektiverziehung nach sowjetischem Vorbild

Sport im Jugendwerkhof Wolfersdorf, 1987
Jugendwerkhof Wolfersdorf: Sportlicher Drill ist an der Tagesordnung. Bildrechte: Thomas Sandberg

Das Konzept dafür stammt von dem sowjetischen Pädagogen Anton Semjonowitsch Makarenko. Zentrales Element ist dabei die "Kollektiverziehung". Die Jugendlichen sollen demnach nur noch in der Gruppe erzogen werden. Rückzugsmöglichkeiten und private Freiräume sind nicht vorgesehen. Dazu kommen Zwang und Repression: Um Anpassung zu erzwingen gibt es in allen Heimen ein rigides System von Belobigungen und Strafen. Die Instrumente reichen von Strafsport über Urlaubsentzug bis zu Einzelarrest. Auch politisches Abweichen wird nicht geduldet. Gemeinsame Zeitungsschauen und FDJ-Abende sind in allen Einrichtungen Pflicht.

Eingewiesen werden sogenannte schwererziehbare Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, die sich nicht regelkonform verhalten. Viele haben die Schule geschwänzt oder kleine Diebstähle begangen. Bei den Mädchen reicht oft auch die Diagnose "sexuell verwahrlost", um in ein Spezialheim zu kommen. Durchschnittlich bleiben die Jugendlichen etwa 18 Monate in der Einrichtung.

Essensentzug, Dunkelzellen und exzessiver Sport

Blick auf eine Originalinschrift auf einer Liege des ehemaligen Jugendwerkhofes in Torgau 2 min
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2 min

Wer zu DDR-Zeiten in den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau kam, blieb dort nur für ein paar Monate. Doch an den Folgen des Aufhalts litten die meisten Insassen ein Leben lang.

MDR JUMP Mo 02.07.2012 14:14Uhr 02:14 min

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Knapp 30 Jugendwerkhöfe mit insgesamt etwa 3.000 Plätzen gibt es in der DDR. Der härteste von ihnen ist der "Geschlossene Jugendwerkhof Torgau". Hinter hohen Mauern und unbemerkt von der Öffentlichkeit herrscht dort gnadenloser Drill. Mithilfe von Essensentzug, Dunkelzellen und exzessivem Sport soll der Wille der Minderjährigen gebrochen werden. Wer über seine Erlebnisse in dem Heim spricht, wird den Jugendlichen bei der Entlassung angedroht, kommt zurück nach Torgau. Ein Tabu, das lange fortwirkt.

Nach 1989 kommt ans Licht, was in Torgau jahrzehntelang an der Tagesordnung stand: brutale körperliche Übergriffe, Dunkelarrest und nicht zuletzt sexuelle Misshandlungen der minderjährigen Insassen durch die Erzieher. Erst in den vergangenen Jahren haben ehemalige Insassen begonnen, das Tabu von Torgau zu brechen.

Erfahrungsberichte:

Der Artikel erschien erstmals 2016.

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Jugendwerkhof Wolfersdorf, 1987
Der Artikel mit den Fotos von Thomas Sandberg erscheint noch im gleichen Jahr unter der Überschrift "Hilfe für draußen" in der "Neuen Berliner Illustrierten (NBI)" . Obwohl die Bilder kein Idealbild des Jugendwerkhofs zeigen, werden sie nicht zensiert. Der Artikel soll im Volksbildungsministerium auf Kritik gestoßen sein. Bildrechte: Thomas Sandberg