Jugendliche im Physikunterricht, Berlin 1987
Jugendliche im Physikunterricht, Berlin 1987 Bildrechte: imago images / Frank Sorge

Bildung im Sozialismus Polytechnische Oberschule (POS) in der DDR

05. Mai 2023, 11:47 Uhr

Das Kernstück des Bildungswesens der DDR war die sogenannte Polytechnische Oberschule (POS) als "staatliche, unentgeltliche, einheitliche Pflichtschule", die der kommunistischen Erziehung dienen und "allen Kindern eine hohe Allgemeinbildung" vermitteln sollte.

Die zehnjährige allgemeinbildende polytechnische Oberschule (POS) wurde ab 1959 schrittweise für alle Kinder eingeführt, ab 1980 besuchten etwa 94 Prozent aller Absolventen der 8. Klasse auch die 9. und 10. Die anderen, leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler, deren Zahl beständig sank, begannen nach dem 8. Schuljahr eine zwei- bis dreijährige Berufsausbildung. Das neue Schuljahr startete jeweils zum 1. September und hatte 210 Unterrichtstage, die auch den Sonnabend einschlossen.

Überwiegend weibliche Lehrkräfte

Die POS war in Unter-, Mittel- und Oberstufe gegliedert. In den Klassen 1 bis 4 unterrichteten Unterstufenlehrerinnen und Unterstufenlehrer, die ihre Unterrichtsbefähigung an einem der zahlreichen "Institute für Lehrerbildung" erworben hatten. Daneben lehrten Pionierleiterinnen und Pionierleiter, die ebenso ausgebildete Pädagogen mit einer Lehrbefähigung für die Unterstufe waren.
In den Schuljahren 5 bis 7 und 8 bis 10 übernahmen Oberstufenlehrerinnen und Oberstufenlehrer den Unterricht. Sie hatten an den Pädagogischen Hochschulen (PH) oder Universitäten des Landes studiert, verfügten über ein Diplom sowie die staatlich anerkannte Lehrbefähigung für zwei Fächer der unterschiedlichsten Kombinationen. Der Lehrerberuf war vor allem eine Domäne der Frauen. Auch wenn in der DDR im Gegensatz zur Bundesrepublik keine amtliche statistische Erhebung der Geschlechterverteilung von Lehrkräften durchgeführt wurde, lassen die Zahlen an den Instituten für Lehrerbildung und Pädagogische Hochschulen darauf schließen, dass das DDR-Lehrpersonal überwiegend weiblich war.

Die Polytechnischen Oberschule (POS) 6 min
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6 min

Ab Ende der 1950er-Jahre lernen alle Kinder in der Polytechnischen Oberschule (POS).

MDR FERNSEHEN Fr 26.03.1982 23:53Uhr 05:41 min

https://www.mdr.de/geschichte/stoebern/damals/video47458.html

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Polytechnische Ausbildung: Fremdsprachen kamen zu kurz

Nicht sehr umfangreich und effizient war die Fremdsprachenausbildung an der POS. Zwar umfasste sie nach amtlichen Angaben 7,3 Prozent der Unterrichtsstunden, doch ab dem 5. Schuljahr wurde ausschließlich Russisch, später (ab der 7. Klasse) fakultativ auch Englisch oder Französisch unterrichtet. Trotz der recht hohen Russischstundenzahl (sechs Wochenstunden in Klasse 5 und fünf in Klasse 6 sowie drei in Klasse 7 bis 10) blieben die Russischkenntnisse der Schülerinnen und Schüler bescheiden. Kaum ein Schulabgänger beherrschte die Sprache aktiv. Dagegen rangierte die Ausbildung in den naturwissenschaftlich-technischen Fächern auch im internationalen Vergleich auf hohem Niveau.

Ebenso wurde der produktionsbezogene polytechnische Unterricht, in dem die Schülerinnen und Schüler auf das Berufsleben vorbereitet werden sollten, als beachtlich eingeschätzt. In den Fächern "Einführung in die sozialistische Produktion" (ESP) und "Produktive Arbeit" (PA) sollten sie anhand eigener praktischer Tätigkeit eine Einführung in die Theorie und Praxis des Arbeitsalltags gewinnen. Dennoch führte gerade der PA-Unterricht, alle zwei Wochen arbeiteten die Schülerinnen und Schüler für einen Tag in der Produktion eines Betriebes, zu zahlreichen Diskussionen unter Schülern, Eltern und Lehrern. Zu zeitig würden die Schülerinnen und Schüler mit der "Gammelei" eines sozialistischen Arbeitsalltags konfrontiert oder für wenig sinnvolle und anspruchslose Tätigkeiten eingesetzt, so die Kritikpunkte.

Wehrkundeunterricht: Ein notwendiges Übel

Darüber hinaus kam es nicht nur in Sachen Staatsbürgerkundeunterricht zu heftigen Auseinandersetzungen unter den Betroffenen. Im Brennpunkt der Kritik stand auch der so genannte Wehrkundeunterricht. Die Staatsbürgerkunde wurde zunehmend als notwendiges Übel hingenommen. Es war bekannt, dass eine gute Note für EOS- oder Studienplatzbewerbungen unabdingbar war. Der Wehrkundeunterricht wurde im Schuljahr 1978/79 ab Jahrgangsstufe 9 als Pflichtfach eingeführt. Damit wurde die von der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) betreute vormilitärische Ausbildung fester Bestandteil der Lehrpläne an den POS und EOS (Erweiterte Oberschule). Eine entsprechende Integration vormilitärischer Übungen und militärpolitischer Instruktionen in den Unterrichtsalltag galt auch für Berufsschulen und Studiengänge. An den POS und EOS erfolgte die Ausbildung sowohl während des Unterrichts als auch in der Freizeit. In der 9. und 11. Klasse hatten die Jungen zeitaufwändige Lehrgänge in speziellen Ausbildungslagern der GST zu absolvieren. Die Mädchen wurden währenddessen für Aufgaben der Zivilverteidigung (Sanitätsdienste) ausgebildet, konnten aber auf Wunsch auch an den Ausbildungsprogrammen der Jungen teilnehmen.

Tradition bis heute: Zwei Mal im Jahr Zeugnisse

Zweimal jährlich erhielten die Schülerinnen und Schüler Zeugnisse: das Halbjahreszeugnis vor den Winterferien im Februar und das Jahreszeugnis vor den Sommerferien im Juli. Bewertet wurde mit den Zensuren 1 bis 5. Der Zensurendurchschnitt hatte bei allen möglichst gut zu sein. So war es keine Seltenheit, dass selbst Schülerinnen und Schüler mit einem Notendurchschnitt von unter 1,5 nicht zur EOS zugelassen wurden. Die Zensurengebung spielte eine große Rolle: Die Noten sollten die Leistungsfähigkeit des sozialistischen Bildungssystems demonstrieren. Gleichzeitig wurden Zensuren als Ausdruck der jeweiligen Leistung der Lehrerinnen und Lehrer gewertet. Auch die weitere berufliche Entwicklung (ob Studium oder Berufswahl) hing von der Durchschnittsnote, den Leistungen in den so genannten Hauptfächern sowie vom gesellschaftlichen Engagement der Schülerinnen und Schüler ab. Da es an den Hochschulen und Universitäten der DDR faktisch nur NC-Fächer gab (für jede Studienrichtung wurde die Zahl der zugelassenen Bewerber zentral festgelegt), wurden die Noten besser und besser: Das Volksbildungssystem bewies seine Leistungskraft.

Dieser Artikel wurde erstmals 2004 veröffentlicht.

Über dieses Thema berichtete der MDR im Fernsehen: 12.11.2019 | 22.05 Uhr