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Die DDR - ein Land voller Designerinnen

06. Oktober 2022, 09:19 Uhr

Auch in der DDR wollten sich junge Leute stylisch und trendy kleiden. HO-Kaufhaus und Jugendmode gaben aber nicht viel her. Selbernähen war angesagt! Die DDR - ein Paradies für Kreative?

von Margret Nemak

"Ballonröcke waren auch in der DDR eine Zeit lang total angesagt. Doch zu kaufen gab es keine. Da habe ich selbst zu Nadel und Faden gegriffen und aus einem durchscheinenden, bordeauxroten Gardinenstoff ein Modell genäht", so beschreibt eine ehemalige DDR-Bürgerin, wie sie zu ihrem Lieblingsrock kam.

Wer heute nach einem bestimmten Kleidungsstück sucht, wird meist schnell im Geschäft oder Internet fündig. Ganz anders war die Situation zu DDR-Zeiten, denn in den Geschäften war das Angebot sehr übersichtlich. Für Modefans bedeutete das: Selbst Hand anlegen, wenn man keine guten Kontakte in den Westen hatte.

DDR-Chic war pragmatisch

Die DDR war auf dem Gebiet des Textilmaschinenbaus führend und besaß eine leistungsstarke Textilindustrie. Doch bis zu 90 Prozent der Kleidung wurden ausschließlich für den Export produziert. Hauptabnehmer waren entweder die sozialistischen "Bruderstaaten" wie Bulgarien und die Sowjetunion oder große Versandhändler wie "Quelle" und "Neckermann" in der Bundesrepublik. Die produzierten Waren dienten der DDR als wichtige Einnahmequelle für Devisen.

Mode wechselte schneller als Fünfjahresplan

Die Kleidung, die DDR-Bürger in den HO- und Konsum-Läden kaufen konnten, war von guter Qualität, modischen Trends folgte sie jedoch nicht. Die vorrangige Aufgabe der Modeindustrie war es, Kleidung zu liefern, die praktisch und pflegeleicht ist. Über 90 Prozent der DDR-Frauen waren berufstätig. "Sie konnten sich nicht stundenlang um ihre Kleidung kümmern. Dennoch wollten sie modisch sein", sagt die Kulturwissenschaftlerin und DDR-Mode-Expertin Ute Scheffler. Zudem erschwerte der Fünfjahresplan eine Modernisierung der Bekleidungs- und Textilindustrie. Denn in so großen Zeitabständen konnte man nicht auf die schnell wechselnden Trends in der Mode eingehen. Für die DDR-Konfektion zählten in erster Linie Menge und Planvorgaben, nicht die Trends.

Erinnerungen an selbstgemachte Lieblingsstücke

Maria G., Meiningen: Zu meinem 19. Geburtstag bekam ich ein Paket von meiner Tante aus Konstanz mit einigen Metern Stoff, rot-weiß gestreift aus einem ganz seidigen Material. Daraus ist dann mein Lieblingskleid geworden. Eine Freundin kannte eine Schneiderin und die hat es genäht. Ich habe es dann wirklich immer und überall getragen ... auch an jenem Tag, als ich meinen Heinz kennenlernte. Das ist jetzt beinahe kitschig, aber er hat mich wirklich mit einem Kompliment über mein Kleid herum bekommen: "So ein bezauberndes Kleid, mein Fräulein, fast so reizend wie seine Trägerin." Das hat er wirklich gesagt, kaum zu glauben!

(aus: "Chic im Osten. Mode in der DDR", S. 38, Buch Verlag für die Frau, Leipzig, 2010)
Bildrechte: Buch Verlag für die Frau
Hanna K., Warnemünde: Woran ich mich wirklich mit Schaudern erinnere, ist ein Badeanzug, den meine Mutter mir gestrickt hatte. Ich bin mir nicht sicher, ob das einfach nötig war, weil es nichts anderes gab, oder ob das damals vielleicht sogar Mode war. Ich fand ihn jedenfalls so lange wunderschön, bis ich zum ersten Mal ins Wasser ging. Da machte die Wolle nämlich einfach das, was Wolle im Wasser allgemein macht: Sie sog sich voll und das Teil hing an mir herunter wie ein nasser Lappen. Wirklich, nie wieder gestrickte Badesachen!

(aus: "Chic im Osten. Mode in der DDR", S. 39, Buch Verlag für die Frau, Leipzig, 2010)
Bildrechte: Buch Verlag für die Frau
Martina S., Dresden: So 1960, 1961 bekam ich mein erstes Perlon-Kleid. Blau mit Puffärmeln und Rüschen und einer riesen Schleife auf dem Rücken. Meine Mutter hat es selbst genäht und es war eine Überraschung am Pfingstsonntag-Morgen. Da wurden wir immer herausgeputzt zum Familienspaziergang. Und an diesem Morgen hing da das Kleid im Flur und weiße Söckchen und Lackschuhe. Ich glaube, die ganze Pracht hat so drei, vier Stunden gehalten. Dann löste sich der gesittete Spaziergang in eine wüste Toberei mit meinen Brüdern auf: das Ende war absehbar. Vielleicht erinnere ich mich ja deswegen so gut an dieses Kleid oder weil der Stoff so fein und dünn war.

(aus: "Chic im Osten. Mode in der DDR", S. 39, Buch Verlag für die Frau, Leipzig, 2010)
Bildrechte: Buch Verlag für die Frau
Kristen B., Wernigerode: Mitte der Siebziger, ich war fünfzehn, habe ich mein allererstes Kleid selbst und ohne mütterliche Hilfe genäht, Mutter war zur Kur und ich hatte "freie Bahn". Es war ein ziemlich preiswerter schwarzer Baumwollstoff und dazu eine schwarze Weste mit gelben Noppen. Besonders stolz war ich auf die Ärmel, die lange, enge Manschetten hatten. Für die Knöpfe habe ich extra kleine Schlaufen genäht ... Das Tollste aber war die Rocklänge und dass ich es mir wirklich auf die Haut geschneidert hatte. Nur meine Mutter war entsetzt, als sie es das erste Mal sah. Nicht wegen meiner Nähkünste, die hat sie nach dem ersten Schock sogar gelobt, sondern weil es so kurz und "knapp" war und sie auf der Ansicht beharrte, das sei kein Kleid für ein junges Mädchen.

(aus: "Chic im Osten. Mode in der DDR", S. 123, Buch Verlag für die Frau, Leipzig, 2010)
Bildrechte: Buch Verlag für die Frau
Margarete S., Guben: Der Fasching in der Kinderkrippe meiner Tochter stand an. Doch als was sollte sie gehen? Als ich sie beim Spielen mit meinem Brautkleid sah, kam mir die Idee: ein Schneeflöckchenkostüm. Ich trennte einen Teil des Rocks ab, nähte ihn passend, aus Watte formte ich kleine Kugeln und fertig war das Schneeflöckchen. Das Kleid hat die wilde Faschingsparty sogar überlebt, nur das Kopfband war verschwunden. Bildrechte: MDR/Margret Nemak
Jana N., Eisenhüttenstadt: Ende der Achtziger waren schmale Röcke angesagt. So einen musste ich haben. Irgendwo fand ich eine Art Pepita-Stoff, ganz kleinkariert und schwarz-weiß war er. Diese Art von Röcken war schnell genäht. Das Sakko haben vermutlich unsere Verwandten aus dem Westen mitgebracht. Die Ärmel umgekrempelt und fertig war der Sonntags-Ausgehlook. Wir haben uns jeden Sonntag nämlich immer schick angezogen und sind Spazieren gegangen.

(Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell auch im TV: 23.06.2017 | 21:45 Uhr)
Bildrechte: MDR/Margret Nemak

Sehnsucht nach Mode

Der Staat versuchte dennoch, auf das Modebewusstsein seiner Bürger einzugehen. Ab Mitte der 1960er-Jahre wurden in den "Exquisit"-Läden ansprechende Kollektionen angeboten – allerdings zu sehr hohen Preisen. Für eine Bluse ging schon mal ein Monatsgehalt drauf.

Für die DDR-Jugend wurde ein eigener Textilbereich geschaffen, die "Jugendmode". Ab 1968 konnte man sie in eigens dafür eröffneten Läden oder in Spezialabteilungen der Kaufhäuser kaufen. Die "Jumo" sollte nach eigenem Anspruch besonders "trendy" sein, konnte die Wünsche der jungen Kunden jedoch trotzdem nur selten erfüllen. Deshalb war Eigeninitiative angesagt.

Nähen, Stricken, Färben

Ein gehäkelter Ganzkörperanzug Bildrechte: Buch Verlag für die Frau

Regel Nummer 1: Eine Nähmaschine musste her – die gehörte zum Inventar eines jeden DDR-Haushalts. Wer nicht selbst nähen konnte, suchte sich jemanden im Bekanntenkreis. Auch Stricken, Häkeln und Umfärben standen hoch im Kurs. Der Kreativität war keine Grenzen gesetzt: "Alles, womit man Kleidung machen kann, wurde ausprobiert. Und alles, was man irgendwo gesehen hat, hat man versucht, nachzuahmen", beschreibt Ute Scheffler die Lage von damals.

Stoffe mussten gesucht werden

Stoffe gab es zwar zu kaufen, dabei handelte es sich aber meist um diejenigen, aus denen auch die Kleidung von der Stange genäht wurde. Vereinzelt boten kleine Spezialläden besondere Textilien an, die meist ursprünglich für den Export bestimmt gewesen waren. In Leipzig befand sich zum Beispiel ein solcher Laden in der Eisenbahnstraße. Die Stoffe waren so begehrt, dass man oft stundenlang dafür anstehen musste. Auf der Suche nach schönen Stoffen waren auch Bekannte in der Textilindustrie äußerst hilfreich oder man kaufte Stoffe in den Modemetropolen Prag oder Warschau ein.

Aus Stoffwindeln werden Sommerblusen

Die DDR-Frau griff auf alle Materialien zurück, die sich nur irgendwie eigneten und war dabei ausgesprochen erfinderisch. "Es gab wunderbare Leinenstoffe, nur waren das Bettlaken. Man hat sie einfach gekauft und gefärbt und daraus Jacken, Röcke, Hemden und Blazer gemacht", erzählt Ute Scheffler. Stoffwindeln waren ideale Textilien für leichte Sommerblusen und Sommerkleider. Junge Frauen leierten ihren Großmüttern ihre bestickte Leinenunterwäsche aus den Rippen, um daraus Sommerkleider zu nähen. Möbelbezugsstoffe waren beliebt, um daraus Jacken herzustellen. Lederabfälle, die bei der Textilproduktion entstanden, wurden zu Röcken und Jacken verarbeitet, aus Bast wurden Taschen gehäkelt. Sogar Scheuerlappen wurden umfunktioniert. Wegen ihrer weichen Struktur waren sie bestens als Innenfutter von Jacken geeignet.

Auch Accessoires waren Mangelware. Deshalb griffen findige Frauen zum Beispiel auf Apfelkerne zurück, aufgefädelt ergaben sie eine schicke Kette. Kupferdraht wurde zu Ohrringen, Armbändern und Ketten verarbeitet. Aus Metallabfällen aus der Produktion wurden Broschen gefeilt und gehämmert. Selbst Knetmasse machten sich die Kreativen zu eigen: Suralin war der Grundstoff für eine Vielzahl von Schmuckgegenständen.

Staatlich unterstützte Selbstmach-Kultur

Sozialistische Mode: Cover der DDR-Modezeitschrift "Sibylle" Bildrechte: IMAGO / Felix Abraham

Das Selbstmachen wurde auch staatlich gefördert. Die Freie Deutsche Jugend und der Demokratische Frauenbund Deutschlands boten Nähkurse an. In Modezeitschriften wie "Sibylle" oder "Pramo" gab es Schnittmuster.Vor allem die "Sibylle"-Schnittmuster waren heiß begehrt und wurden zum Teil weitergegeben bis sie auseinanderfielen. Auch begehrt: die aus der Bundesrepublik eingeschmuggelten Modehefte wie "Burda" und "Brigitte" als Vorlage für schicke Kleidungsstücke.

Besonderes Verhältnis zur Kleidung

Wer etwas selbst macht, steckt seine Energie und sein Herzblut hinein. Am Ende entsteht ein ganz individuelles Kleidungsstück. Nicht selten sind damit Geschichten verbunden. Die DDR-Modeexpertin Ute Scheffler erinnert sich an ein besonderes Kleid, das sie für die Sammlung ihres Vereins "Chic im Osten" geschenkt bekam: "Das war ein Brokatkleid, das eine Mutter für das erste Rendezvous ihrer Tochter genäht hat. Die Tochter hatte es all die Zeit über aufgehoben. Als wir es ausgepackt haben, sah es aus wie gestern gekauft.“

Zur PersonUte Scheffler ist promovierte Kulturwissenschaftlerin, Publizistin und Werbefachfrau. Heute ist sie freiberuflich als Grafikdesignerin, Dozentin und Autorin in Leipzig tätig. Ihr Buch "Chic im Osten. Mode in der DDR" ist im BuchVerlag für die Frau erschienen. Mit dem gleichnamigen Verein veranstaltet sie regelmäßig Ausstellungen und Modeschauen zum Thema Mode in der DDR.

(Der Artikel wurde erstmalig 2017 veröffentlicht und 2022 aktualisiert.)


Über dieses Thema berichtete MDR Aktuell auch im:TV | 23.06.2017 | 21:45 Uhr