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Jeans waren auch in der DDR sehr beliebt. Die Modeindustrie entwickelte sogar eine eigenen DDR-Jeansmarke. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Die Jugend und die Mode in der DDRWisent, Boxer, Shanty - Jeansfeeling Ost

07. April 2022, 19:50 Uhr

Egal, in wessen Kleiderschrank man schaut, fast überall finden sie sich: Jeans sind ein fester Bestandteil der Mode des 20. und 21. Jahrhunderts. So selbstverständlich man sie heute auch trägt, in der DDR waren Jeans mehr als schnöde Hosen, sondern ein Symbol: für Rebellion, ein politisches Statement und eine eigene Jugendkultur.

In den 50er- und 60er-Jahren sind Jeans in der DDR ein modisches No-Go. Sie gelten als kapitalistisches Teufelszeug und Hosen des Klassenfeindes. Im Handel gibt es sie offiziell nicht zu kaufen, höchstens als so genannte Bückware unterm Tresen. Doch Jeans werden vom SED-Politbüro äußerst argwöhnisch betrachtet. Sie stehen als Symbol für ein amerikanisches Lebensgefühl, für westliche Beatmusik und Rock’n’Roll; Jugendkulturen also, die die DDR-Führung vehement ablehnt. Staatsratsvorsitzender Walter Ulbricht wettert in einer Rede: "Müssen wir jeden Dreck, der aus dem Westen kommt, kopieren? Mit der Monotonie des Yeah, yeah, juh oder wie das heißt, sollte man Schluss machen!"

Blauhemd statt Blue Jeans

Gerade durch diese ideologische Ablehnung des Staates werden Jeans zum modisch-politischen Statement für renitente Jugendliche. Wer sie trägt, will ein Zeichen setzen, läuft aber gleichzeitig Gefahr, kontrolliert und von der Obrigkeit zurechtgewiesen zu werden. Das Blauhemd soll bitteschön getragen werden, die blaue Hose nicht. Wer es doch macht, gilt als "Rowdy" oder "Gammler". Schüler, die Jeans tragen, werden nach Hause geschickt. Sie sollen erst wiederkommen, wenn sie sich eine "ordentliche Hose" angezogen haben. Auch an Klubhäusern hängen Verbotsschilder: "Nietenhosen - kein Einlass".

Bravo schmuggeln und West-Platten hören

Nicht nur die Blue Jeans sind für die Jugendlichen in der DDR Status-Symbole. Viele beneiden ihre Altersgenossen im Westen darum, frei entscheiden zu dürfen, welche Zeitschriften sie lesen, welche Musik sie hören und welche Sachen sie tragen. In der DDR gibt es kleine Revolutionen - oft im Verborgenen. In überfüllten Zügen fahren junge Leute 18 Stunden lang ins sozialistische Ausland, bevorzugt nach Ungarn, um eine "Bravo" zu kaufen. Bis zu 20 Mark müssen sie dafür hinblättern. Die Jugendzeitschrift ist in der DDR nicht zu haben, gilt sie doch als dekadentes Gedankengut. Die geliebten Stars aus dem Magazin werden abfotografiert oder ausgeschnitten und versteckt im Portmonee überall mit hingetragen.

Bildrechte: Oliver Haucke

Auch Schallplatten werden in Ungarn gekauft: Musik aus dem Westen, die nirgendwo in der DDR zu bekommen ist. Platten und Hefte werden dann heimlich zurück in die Heimat geschmuggelt und wie ein Schatz gehütet. Stehen sie doch für ein kleines Stück Individualität, auch wenn diese - unter Androhung von Strafen - oft nur im Verborgenen ausgelebt wird.

"Jeans sind eine Einstellung und keine Hose"

Der erhobene Zeigefinger der Staatsführung bringt die Jugend bekanntlich nur selten zum Umdenken. So bleiben vor allem die Jeans heiß begehrt. In kleinen Schritten nähert man sich auch in der Öffentlichkeit an: 1964 tritt Schlagersänger Frank Schöbel erstmals in Jeans im DDR-Fernsehen auf. Die erste Modezeitschrift bringt ein Schnittmuster für die Hosen. Was allerdings 1972 passiert, ist trotzdem eine Provokation: In Halle wird am Landestheater das Stück "Die neuen Leiden des jungen W." von Ulrich Plenzdorf uraufgeführt. Die Zuschauer trauen ihren Augen kaum: Die Schauspieler tragen Jeans und interpretieren auf ihre Weise die Sehnsucht einer ganzen Generation nach einem Kleidungsstück. Der Held des Stücks, Edgar Wibeau, verkündet sogar auf der Bühne: "Jeans sind eine Einstellung und keine Hose. Jeans sind die edelsten Hosen der Welt. Dafür verzichte ich doch auf die ganzen synthetischen Lappen aus der 'Jugendmode', die ewig tiffig aussehen." Das Stück, das kurz darauf auf weiteren 17 DDR-Bühnen gezeigt wird, ist ein großer Schritt zum Durchbruch.

Die Doppelkappnahthose als Erfindung der DDR-Jeans

Als in den 70er-Jahren auch noch Filme gezeigt werden, in denen Jeans-Träger die positiven Helden sind, wie 1973 in "Die Legende von Paul und Paula", muss die DDR-Führung ihre rigorose Ablehnung überdenken. Dieses eine Kleidungsstück wollen einfach zu viele, vor allem junge Leute, gerne tragen. Ein Siegeszug der Mode! Um trotzdem einen Import der Hosen aus dem verhassten Westen zu verhindern, werden 1974 die ersten DDR-Jeans entworfen und in Sachsen produziert. Die Hosen aus braunem Cord heißen offiziell "Doppelkappnahthosen".

Wisent vs. Wrangler

Die ersten Hosen in blau werden 1978 produziert. Diese Naht- oder Niethosen, wie sie in der DDR genannt werden sollen, heißen "Boxer" und "Wisent", "Shanty" und "Goldfuchs". Ihre Qualität lässt zu wünschen übrig, an die Originale aus dem Westen reichen sie nicht heran. Der Stoff ist zu weich oder zu hart, die Baumwolle nicht gut genug und bei der Passform muss man auch Abstriche machen. Weil die Hosen nicht gesundheitsschädigend - sprich zu eng - sein sollen, sitzen sie überhaupt nicht richtig. Für die Jugendlichen sind das keine echten Jeans.

Die Jeansproduktion "Made in GDR" bringt nun mal keine richtigen Levi’s oder Wrangler hervor. Wer Glück hat, kann sich "Echte" mit Westgeld im Intershop kaufen oder von der Westverwandtschaft schicken lassen. Der Rest muss mit den DDR-Jeans vorlieb nehmen.

DDR-Jeans: nicht farbecht, nicht auswaschbar, nicht original

Ende der 70er-Jahre hat die Jeans in der DDR endgültig den Nimbus des Protests verloren. In der Produktion gibt es immer wieder Engpässe. Mal fehlen Nieten, mal der richtige Stoff. Die Träger bemängeln, dass sich der beliebte Auswasch-Effekt nicht einstellt und die Hosen nicht farbecht sind. Außerdem werden sie, falsch gewaschen, bretthart. Und dann zieht sich die Ostproduktuion 1980 einen Rechtsstreit mit der Firma Levi’s auf den Tisch: Levis´ moniert, dass die geschwungene Naht auf den hinteren Hosentaschen der Ostjeans das Markenzeichen von Levis´ sei und nicht einfach kopiert werden dürfe. Ein Rückschlag für die DDR-Jeans, wollte man doch den Originalen so nah wie möglich kommen. Als in den 80er-Jahren im Westen "stonewashed" Jeans Mode sind, reagiert man in der DDR mit der "Marmor"-Jeans. Doch das stellt die Produktion vor immense Probleme - im Fünf-Jahres-Plan war so eine kurzfristige Änderung nicht vorgesehen.

DDR: ein Land der Jeans-Träger

Trotz aller Hindernisse: Durch die volkseigene Produktion werden die Jeans in den 1980er-Jahren zur DDR-Freizeithose schlechthin. Selbst bei der FDJ ist sie inzwischen ein angesagtes Kleidungsstück. Die Menschen in der DDR lieben Jeans!

1987 hat jeder Jugendliche der Republik durchschnittlich zwei Jeans im Kleiderschrank. Ein Wert, der europaweit unerreicht bleibt. Die US-Journalistin Karen Kramer kommt damals sogar zu dem Ergebnis, die DDR sei "das Jeans tragende Land an sich". Kein Wunder also, dass der Fall der Mauer 1989 auch aus modischen Gründen von dem ein oder anderen Jeans-Liebhaber gefeiert wird ... Endlich freie Hosenwahl für alle!

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