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Schnaps, Wein und Bier Wie war das mit dem Alkohol im Osten?

18. Mai 2023, 05:00 Uhr

Alkohol und Sozialismus - in der offiziellen Lesart der DDR passte das nicht zusammen. Doch die Wirklichkeit sah ganz anders aus: Das Land belegte beim Pro-Kopf-Verbrauch von Spirituosen sogar eine Spitzenposition. Wieso Anspruch und Wirklichkeit beim Alkoholkonsum in der DDR so weit auseinander klafften, hat der Ethnologe Thomas Kochan mit seiner Dissertation versucht herauszufinden.

Alkoholkonsum war "dem Sozialismus wesensfremd" und galt als "Überrest des Kapitalismus". Trotz vielfältiger Versuche, den Alkoholkonsum der DDR-Bürger einzudämmen, stieg der Pro-Kopf-Verbrauch der DDR-Bürger jedoch immer weiter an. Vor allem bei harten Getränken lagen die DDR-Bürger weit vorn: 1988 trank statistisch gesehen jeder 23 Flaschen Schnaps pro Jahr. Das war doppelt so viel wie die westdeutschen Brüder und Schwestern jährlich an harten Getränken konsumierten. Allerdings nahmen sich Ost und West nicht viel, wenn man den Genuss reinen Alkohols ausrechnet. 11,8 Liter schluckten die Westdeutschen pro Kopf und Jahr, die Ostdeutschen nur 11 Liter.

Alkoholkonsum und Promillegrenze: Anspruch und Wirklichkeit

Ein Mann an einem Tisch mit karierter Decke, vor ihm stehen mehrere volle Gläser mit Bier
Auch im Krimi ein Thema: "Polizeiruf 110: Der Teufel hat den Schnaps gemacht" von 1981 Bildrechte: MDR/DRA/Johann Wioland

Wieso klafften Anspruch und Wirklichkeit beim Alkoholkonsum in der DDR so weit auseinander? Der Ethnologe Thomas Kochan hat sich mit dieser Frage in seiner Dissertation auseinandergesetzt und unzählige Verbrauchsstatistiken, Stasi-Dokumente sowie Gesundheitsratgeber gesichtet. Außerdem las er Romane, studierte medizinische Artikel, Getränkekarten, Schlager und natürlich sprach er mit Menschen, die am kollektiven Trinken beteiligt waren.

Goldi und Blauer Würger

Unter dem Titel "Blauer Würger: So trank die DDR" ist Kochans Dissertation als Buch erschienen. Die Studie zeigt, wie stark Alltag, Wirtschaft, Politik und Kultur in der DDR um den Alkohol kreisten. Die Bekehrung zum sozialistischen Genuss scheiterte trotz scharfer Anti-Alkoholgesetze. "Goldbrand", "Timms Saurer" und "Sambalita" waren beliebt und den allgegenwärtigen Kristall-Wodka taufte der Volksmund "Blauer Würger".

Trinken trotz "sozialistischer Gaststättenkultur"

Es gab zahlreiche Versuche, die Menschen zwischen Ostsee und Thüringer Wald vom harten Alkohol wegzubringen: Schon seit 1956 gab es eine 0,0-Promillegrenze im Straßenverkehr. Wirtshäuser und Eckkneipen wurden in Gaststätten mit "sozialistischer Gaststättenkultur" umgewandelt. Es gab sogar Werbekampagnen, um die Menschen zu bewegen, mehr Wein zu trinken. In den 1960er-Jahren hieß es zum Beispiel: "Trinke nicht wahllos - greife zum Wein".

Doch Realität und der Traum von einer sozialistischen Art des Alkoholkonsums fanden nicht zusammen. "Kein Warenangebot zeigte sich so bunt, optisch ansprechend und immer verfügbar wie im Schnapsregal", schreibt Thomas Kochan. Ende der 1970er-Jahre wurde der VEB Nordhausen zum größten Spirituosenhersteller Europas. Während 1955 der DDR-Bürger durchschnittlich nur 4,4 Liter an harten Getränken kippte, waren es 1988 schon 16,1 Liter.

Trinken, weil man die Zeit dazu hat

Wollten die DDR-Bürger sich einfach ihre triste Realität schön trinken? Nach den Forschungen von Thomas Kochan ist diese Erklärung nicht ausreichend. Zum einen lag es daran, dass das Weinangebot der DDR nicht zum Weintrinken einlud. Dagegen waren Schnapsflaschen beliebte Objekte in der sozialistischen Tauschwirtschaft. Kochans Fazit: "Ursächlich war die Erfahrung einer konkurrenzarmen Kollektivgemeinschaft, ein wenig gefördertes Leistungsdenken, gemeinschaftliche Verantwortungsfreiheit, existenzielle Sorglosigkeit und das Leben in einer begrenzten, dafür an Zeit umso reicheren Welt."

Vom Forscher zum "Schnapsguru"

Was ihn an der Kulturgeschichte des Alkohols fasziniert, beschreibt Thomas Kochan auf seiner Internetseite so: "Fasziniert vom Handwerk des Brennens, immer wieder begeistert von dem, was dann daraus entsteht. Mein Lieblingsspruch stammt von William Faulkner: "Civilization begins with distillation". Thomas Kochan führt seit mehreren Jahren einen eigenen Schnapsladen in Berlin - nur ausgesuchtes Hochprozentiges geht hier über den Ladentisch, Spirituosen aus kleinen Betrieben, Schnäpse, die man nicht im Supermarkt findet. Inzwischen schreibt Thomas Kochan die Kulturgeschichte des Schnapses selbst ein Stück weiter - 2014 hob er zusammen mit einem Freund Berlins erstes Schnapsfestival aus der Taufe. Bis heute kommen auf dem Craft Spirits Berlin jedes Jahr Connaisseurs des Brennereihandwerks zusammen.

(Quelle: Thomas Kochan, Alkohol und Alkoholrausch in der DDR, Bundesstiftung für Aufarbeitung)

Dr. Thomas Kochan
Dr. Thomas Kochan schreibt die Kulturgeschichte des Schnapses selbst ein Stück weiter. Bildrechte: IMAGO / Jakob Hoff

Thomas Kochan Thomas Kochan ist Jahrgang 1968 und stammt aus Cottbus. Er arbeitete am Haus der Geschichte in Bonn sowie an der Berliner Humboldt-Universität und veröffentlichte mehrere Bücher, "Den Blues haben" und "Bye bye, Lübben City. Bluesfreaks, Tramps und Hippies in der DDR".

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Prost Mahlzeit DDR - Kali, Pfeffi, Blauer Würger | 04. Juni 2019 | 22:05 Uhr