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Stierblut in der Schokolade?

07. September 2017, 13:16 Uhr

Frostschutzmittel im Wein, Gammelfleisch oder Milbenmittel in Eiern: in der Marktwirtschaft steckt zumeist Gewinnsucht hinter Lebensmittelpanschereien. Anders in der DDR. Dort machte der Mangel kreatives Mixen und die Suche nach Ersatzstoffen nötig.

In der Lebensmittelproduktion der DDR ging es um "Substitution", um den Austausch von Inhaltsstoffen. In der DDR wuchsen bekanntlich weder Kaffee, noch Kakao, Mandeln oder Zitrusfrüchte. Rohstoffe mussten für harte Währung eingekauft werden, die immer knapp war. Und so suchte man nach Ersatzmöglichkeiten.

Marzipan aus Erbsen

Während einer Leipziger Messe in den 1980er Jahren bekam Klaus V., Abteilungsleiter für Grundlagenforschung und Erzeugnisentwicklung am VEB Forschung und Rationalisierung der Süß,- und Dauerbackwarenindustrie in Leipzig, das Muster einer holländischen Firma von seinem Vorgesetzten in die Hand gedrückt: Es war eine Backwarenfüllmasse; Hauptbestandteil Mondbohnen. Zwar preisgünstig, aber auch nur für Valuta zu haben. So suchte der Chemiker nach eigener Umsetzung. Bohnen empfand er nicht als geeignet, aber Erbsen erwiesen sich als Geschmacksträger mit guter Konsistenz. In einem besonderen Verfahren gekocht, mit Zucker und Aromen versetzt konnte die Masse gut als Marzipan,- und Persipanersatz in Backwaren durchgehen. "Das hat man nicht herausgeschmeckt", erinnert sich Klaus V. Im Zutatenverzeichnis waren dann nur die Eiweiß-, Fett- und Kohlenhydratwerte angegeben.

Rüben als Kakaoersatz

Vor allem die Chemiker des "Zentralinstituts für Ernährung" in Potsdam waren die kreativen Köpfe bei der Nachahmung von Geschmack und Konsistenz. Sie fanden grüne Tomaten als Ersatz für das Zitronat im Christstollen. Eine komplett synthetisch hergestellte fettarme Mayonnaise taugte als Creme für Süßwaren und Schmelzkäse – in der BRD wurde ähnliches für Diabetiker entwickelt. Auch Rüben, Kakaoschalen oder Getreide wurden als Kakaoersatz in Schokolade ausprobiert.

Knäckebrot in Schokolade

"Schokoladenersatzprodukte" hießen dann die wie Schokolade eingepackten Tafeln, und das war wenigstens nicht gelogen. Die "Schlager Süßtafel" bestand aus Fett, Zucker, Molke, Nüssen und 7 Prozent Kakao. Und Stierblut! So hieß es jedenfalls im Volksmund. Ab 1970 stellte der VEB Rotstern in Saalfeld diese Süßigkeit her. VEB Elfe in Berlin produzierte "Creck". Die Tafel enthielt außerdem Knäckebrot und war mit Eiweiß, Calcium und Lecithin angereichert. So sollte sie Energieprodukt sein für Kinder und Sportler. Die Nährwerte wurden vom VEB Forschung und Rationalisierung untersucht, bevor sie auf den Markt kamen.

"Erichs Krönung"

Als die Weltmarktpreise für Kaffee 1976 stiegen, entwickelten die Potsdamer Forscher zusammen mit der Venag in Halle/Saale den "Kaffee-Mix" -  einen Ersatz für Bohnenkaffee. Er bestand nur zu 51 Prozent aus Kaffeebohnen und war mit Hülsenfrüchten, Getreide und Zichorie gestreckt. Das "Erichs Krönung "genannte Gemisch löste großen Unmut in der Bevölkerung aus. Abhilfe hat schließlich eine Änderung in den Einfuhrbestimmungen der DDR geschaffen: Von 1978 an gab es keine Obergrenze für die Einfuhr von Kaffee mehr – Kaffee war fortan eines der liebsten Mitbringsel der Verwandtschaft aus dem Westen.

Nur ein Gerücht

Und was ist nun mit dem Stierblut in der Schokolade? Ein Gerücht, nicht mehr. Aber weil die Konsistenz der DDR-Schokolade oft krümelig war, hält es sich bis heute.

Quellen: "111 Fragen an die DDR: Wer, warum, wieso, weshalb?" von Jan Eik, Klaus Behling; DER SPIEGEL, 17/1991; Volksstimme vom 26. 07. 2017; Interview mit Lebensmittelchemiker Klaus Valdeig

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV auch in "Aktuell"16.05.2013 | 12.45 Uhr