Osprodukte und MarktwirtschaftRondo, Nudossi und Knusperflocken: Ostprodukte nach der deutschen Wiedervereinigung
1990 beginnt für Ostprodukte das Jahrzehnt mit den größten Herausforderungen: Jetzt entscheidet sich, wer überlebt und wer untergeht. Die Kunden aus den neuen Bundesländern bevorzugen erstmal das bunte, attraktive Angebot aus dem Westen, doch mit der "Ostalgie-Welle" Ende der 90er-Jahre werden viele DDR-Produkte wieder eingeführt, zum Teil mit großen Erfolg bis heute.
Inhalt des Artikels:
Ein kostspieliges Novum für die Osthersteller, die die Mechanismen der Planwirtschaft gewöhnt sind, sind die sogenannten Listungsgebühren: ein Betrag, der gezahlt werden muss, um überhaupt einen Platz im Supermarktregal zu bekommen. Wolfgang Fischer, der ehemalige Geschäftsführer der Keksfabrik Wikana in Wittenberg, der die Firma 1992 von der Treuhand gekauft hat und sie als Familienunternehmen durch die turbulenten 1990er-Jahre führte, erinnert sich daran:
Und dann saß ich am Schreibtisch, die Sekretärin stellte durch und sagte, hier ist die Spar dran, die möchte drei Produkte einlisten. Ich sprang auf, mein Sessel kippte nach hinten um, ein riesen Krach und dann hab ich mich gemeldet und hab gefragt: 'Wie wollen wir es denn machen?' und dann wollten die pro Artikel 25.000 DM. Das waren dann 75.000 Mark, so viel hatten wir gar nicht. Also musste ich meinen Sessel wieder ordentlich hochheben und mich setzen - es war nur eine ganz kurze Freude und Idee, eine Möglichkeit den Absatz zu erhöhen.
Wolfgang Fischer | ehemaliger Geschäftsführer der Keksfabrik Wikana
Wiedereinführung von DDR-Produkten als Erfolgsrezept
Erst mit der "Ostalgie-Welle" Ende der 90er-Jahre kommen viele DDR-Produkte zurück auf den Markt. Ost-Hersteller können sich endlich von der Absatz-Talfahrt nach der Wiedervereinigung erholen. Interessant ist dabei, dass vor 1989 viele DDR-Waren als Imitate oder Kopien der "West-Originale" wahrgenommen wurden. "Richtiger" Kaffee kam aus dem Westen, ebenso wie "richtige" Schokolade und "richtige" Zigaretten. In den 1990er-Jahren wird diese Auffassung allerdings ins Gegenteil verwandelt - die Ostwaren werden als die echten, ehrlichen und unverfälschten Produkte wahrgenommen. Das führt dazu, dass zu dieser Zeit die einst verschmähten Produktgruppen wie Ost-Kaffee und Ost-Schokolade wieder gute Chancen auf dem Markt haben.
Einst verschmäht – plötzlich beliebt: Rondo Melange
1997 führt "Röstfein" die DDR-Kaffee-Marke "Rondo" wieder ein. Die Kaffeerösterei in Magdeburg hatte als einzige DDR-Rösterei die Wende überlebt. Die Rezeptur von "Rondo" wurde verbessert, aber bei der Verpackung setzte das Unternehmen auf Wiedererkennung und gestaltetet sie wie den DDR-Vorgänger in blau-silber. Röstfein ist 1997 überwältigt von der enormen Absatzsteigerung. Für das erste Jahr hatte die Firma mit einem Rondo-Absatz von ca. 200 Tonnen gerechnet, am Ende des Jahres lag er bei 5.000 Tonnen, auch die Belegschaft konnte fast verdoppelt werden.
Wir haben mit solchem Erfolg nicht gerechnet, anstelle einer Marktlücke haben wir einen ganzen Markt aufgerissen, kann man sagen und die Bevölkerung hat das Produkt dankend angenommen.
Manfred Winkelmann | Geschäftsführer Röstfein, 1997
Im Laufe der folgenden Jahre brachte die Rösterei weitere traditionelle DDR-Sorten wie Mocca Fix, Mona und "im nu" wieder auf den Markt.
Freude für Naschkatzen: Die Knusperflocke ist wieder da
Ab 1995 erobert die "Knusperflocke" der Firma Zetti den Markt und wendet sich mit einer "Wieder-Da-Rhetorik" an kaufwillige Kunden. "Hallo Schlemmerfreunde, es gibt uns wieder!" ist auf den Tüten zu lesen. Das Konzept geht auf. Die Absatzzahlen steigen und man setzt in Zeitz auf weitere DDR-Klassiker - auch die Bambina Schokolade und die Schlager-Süßtafel werden zurück ins Sortiment geholt. Ein häufiger Kaufgrund ist, dass sich die Kunden gern an den vertrauten Geschmack der Kindheit erinnern.
Wenn wir über Schokoladenriegel reden, dann reden wir auch über Kohorten, die in den späten 70er- und 80er-Jahren Kinder waren und die haben ohnehin ganz andere DDR-Erinnerungen. Die haben von der Diktatur und von den Einengungen nichts mitbekommen, sondern für die war das eine geborgene, süße Kindheit – mit vielen Süßigkeiten, die man dann natürlich auch freudig wiederentdeckte als Produkt in den 90er-Jahren.
Dr. Thomas Ahbe | Sozialwissenschaftler und Publizist
Wie der Othello Keks ein Unternehmen rettete
Nachdem die Wikana Keksfabrik nach 1990 mehrere Jahre rote Zahlen schrieb und mehr recht als schlecht überlebt hatte, hat Firmenchef Wolfgang Fischer 1999 die rettende Idee: er führt den DDR-Klassiker, den kakaohaltigen Othello Keks, wieder ein. Auch hier: die Nachfrage ist enorm und führt sogar dazu, dass Fischer die Markenrechte an einem anderen DDR-Klassiker aufkauft, der vor 1989 nicht zur Marke Wikana gehörte - der Hansa-Keks. Yvonne Böhm, Tochter von Wolfgang Fischer und seit 2008 Geschäftsführerin bei Wikana fasst zusammen:
Im Prinzip haben die ehemaligen Ostprodukte Wikana gerettet. Es gab ja eine sehr schwere Anfangszeit und durch das Aufleben der Ostalgie-Welle, dem Wiederbeleben oder dem Wiederzurückbesinnen der Verbraucher auf die Produkte, die sie aus der Kindheit her kannten und die ja lecker waren – das hat Wikana gerettet.
Zusammenfassend kann man sagen, dass sich viele Ostmarken heute einen starken Regionalmarkt erschlossen haben, der Sprung in den westdeutschen Markt gelang aber nur wenigen Herstellern. Viele Firmen in Ostdeutschland setzten inzwischen hauptsächlich auf den "Heimatmarkt" und den Export.
Wir haben irgendwann die Entscheidung getroffen, dass wir unsere Kraft nicht mehr in den Vertrieb in den alten Bundesländern stecken. Wikana exportiert aktuell in 16 Länder, davon ist z.B. Frankreich unser Hauptmarkt. Das weiteste Land ist Japan - die Japaner sind ganz verrückt nach unseren Halloween-Keksen, das heißt, da geht jedes Jahr einmal ein Container Übersee nach Japan.
Yvonne Böhm, Geschäftsführerin Wikana, 2020
Dieser Artikel wurde erstmals 2020 veröffentlicht.
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise - Der Geschmack von früher | 26. März 2023 | 22:00 Uhr