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"Exzellent" in ZeulenrodaVom West-Berater zum Ost-UnternehmerMeine Geschichte: Christopher J. Schwarzer

03. Mai 2016, 20:02 Uhr

Verführerische Unterwäsche, mit Spitze besetzt oder aus glänzendem Satin, war vor 1989 keine Spezialität des "VEB Elastic-Mieder" in Zeulenroda. Die größte Unterwäschefirma der DDR setzte auf Funktionalität. Allerdings wurden BHs nicht für nur die DDR genäht, sondern auch exklusive Mieder für die Kaufhäuser im Westen. Doch dann kam 1989 - und 1990 ein Unternehmensberater als neuer Chef aus München.

An seinem 35. Geburtstag 1996 ist Christopher J. Schwarzer tief gerührt. Seine Mitarbeiter der Firma "Excellent", die aus dem VEB elastic-mieder hervorgegangen war, machen ihm ein besonderes Geschenk - eine Tafel mit einem Zitat des britischen Premierministers Winston Churchill: "Manche sehen in einem Unternehmer einen Wolf, den man totschlagen muss. Andere sehen in ihm eine Kuh, die man unentwegt melken muss. Nur wenige sehen in ihm den Ochsen, der den Karren zieht." Für den West-Unternehmer ein großer, positiver Moment im Osten - ganz anders als die ersten Eindrücke, die anfänglich sein Bild vom Osten prägen.

Raus aus der Komfortzone, rein in den Osten

Schwarzers Geschichte in Ostdeutschland beginnt mit der Wende. Die Wirtschaft liegt am Boden, in allen Branchen werden Experten gesucht. Schwarzer kommt aus München, hat 1990 gerade erst sein Studium der Betriebswirtschaft beendet und will Karriere machen. Nach einem aufwändigen Testtag wird er bei der Unternehmensberatung Roland Berger eingestellt, eine Kaderschmiede. Das Beratungsgeschäft boomt. Schwarzer will spannende Projekte und große Namen für seinen Lebenslauf sammeln. Entsprechend entsetzt ist Schwarzer, als er Anfang 1991 zur Treuhandanstalt nach Berlin abberufen wird und ehemalige volkseigene Betriebe auf ihre Überlebensfähigkeit in der Marktwirtschaft prüfen soll. Ein heikler Job, für den er wochentags seine bayrische Komfortzone samt Freundin, Loft und Pizzeria verlassen muss.

Wir Wessi-Berater müssen auf die Menschen im Osten damals wie Außenirdische gewirkt haben, die in ihr Leben einbrachen. Im DDR-Alltag ereignete sich tagein, tagaus relativ wenig. Diejenigen, die was zu sagen hatten oder tun durften, wurden angekündigt. Oder sie waren in irgendeiner Weise autorisiert durch eine Uniform oder eine Eskorte. Dadurch wusste man, dass sie wirklich wichtig waren. (...) Was nicht reglementiert war, war nichts Gescheites. Und nun kamen wir daher. Einfach so. Wir fuhren in schicken Autos, hatten einen schneidigen Auftritt (...), stellten Fragen und Ansprüche und wollten ständig irgendetwas.

Christopher J. Schwarzer, Treuhand-Mitarbeiter 1990 bis 1992

Die Treuhandanstalt, gegründet unter dem vorletzten Ministerpräsidenten der DDR, Hans Modrow, sollte ursprünglich die DDR-Wirtschaft sanieren. Erst nach der Volkskammerwahl 1990 ging der Auftrag in Richtung Privatisierung. Der Arbeitsalltag ist für Schwarzer ernüchternd. Die Geschäftsleitungen aller treuhand-eigenen Unternehmen sollten Unternehmens- und Businesspläne erstellen und der Treuhand zur Prüfung vorlegen. Anhand dieser Unterlagen sollte über ihr weiteres Schicksal entschieden werden. Sanierungsbedürftig sind alle Unternehmen, aber ob es überhaupt zu einer solchen Sanierung kommt, entscheidet der vom Bundesfinanzministerium eingesetzte Leitungsausschuss anhand von Schulnoten. Die Note "1" und "2" hätten bedeutet, dass es ein Unternehmen aus eigener Kraft schaffen konnte. Sie kamen, so erinnert sich Schwarzer, jedoch nicht vor. Seine Aufgabe, Entscheidungsvorlagen für das Gremium zu erstellen, ist also extrem verantwortungsvoll - von ihm hängen die Schicksale sehr vieler Menschen und ihrer Familien ab.

Ein reizvolles Angebot - mit spannender Firmengeschichte

1993 bekommt Schwarzer das Angebot, in die thüringische Miederwarenfirma "Exzellent" in Zeulenroda einzusteigen. Ihn fasziniert die Firmengeschichte: Die Brüder Römpler hatten erstmals 1862 einen kleinen Textilbetrieb gegründet, damals noch in Erfurt. 1877 zog die Firma nach Zeulenroda, weil in dieser Region mehr Facharbeiter zur Verfügung standen. Das Geschäft entwickelte sich prächtig, vor dem Ersten Weltkrieg gab es sogar eine Dependance in New York, in der Strümpfe produziert wurden. In den 1930er-Jahren war die Römpler AG Europas größter Hersteller von gewirkten Stoffen und konfektionierten Wirkwaren, aus denen Unterwäsche, Gardinenstoffe und Spitzen hergestellt werden.

1953 wurde der Betrieb enteignet. Das Unternehmen erhielt einen staatlichen Treuhänder und wurde als VEB Gummistrickwerk Zeulenroda "in das Volkseigentum übernommen". Ab 1970 heißt das Unternehmen "VEB elastic-mieder". Ende der 1980er-Jahre arbeiten dort mehr als 4.500 Mitarbeiter - die meisten von ihnen Frauen. Der VEB ist zum größten Unterwäschehersteller der DDR geworden.

1993 trifft Schwarzer jedoch nur noch auf noch 180 Frauen, die gewohnt sind, für den sowjetischen Markt zu produzieren. Die Wäschestücke sind eher praktisch als schön.

Nachher war es dann so, dass ich jeden Tag überrascht wurde, wieviel fachliches Knowhow und vor allen Dingen, das war für mich das Herausragende, wieviel Engagement die Leute mitgebracht haben. Den 'faulen Ossi' habe ich hier nicht kennengelernt.

Christopher J. Schwarzer, "Excellent"-Geschäftsführer 1993 bis 1996

Als neuer Chef will Schwarzer als erstes die Marke relaunchen. Der Name stört ihn. "Exzellent" klingt altbacken für Schwarzer, dennoch hat er im Osten einen hohen Bekanntheitsgrad. Schwarzer tauscht das deutsche "z" durch ein moderneres "c" aus. Auch die Kollektion wird umgestellt: Vom "Beton-BH" zum Push-up, von der biederen Miederhose zum feschen String-Tanga, vom Ganzkörperkondom zum Spitzenbody. Für alle ist das Neuland, der studierte Betriebswirtschaftler Schwarzer weiß aber: Es reicht nicht aus, so gut wie der Westen zu sein. Um Marktanteile zu erobern, muss "Excellent" aus Zeulenroda besser sein. Er drückt auf die Tube.

Nach zwei Jahren macht der Betrieb zweistellige Millionen-Umsätze, streicht gute Gewinne ein, wird zum Stammlieferanten großer Kaufhausketten. Die Dessous-Firma aus Zeulenroda gilt Mitte der 1990er-Jahre in der Politik als Vorzeigeprojekt für die "blühenden Landschaften" im Osten. Aber das Überleben in der Marktwirtschaft ist schwer, gerade wenn man von Dritten abhängig ist: Wenn es bei Stoffen, Spitzen, Bügeln, Gummi, Ösen Lieferengpässe gibt, steht sofort der gute Name auf dem Spiel.

Mit Krediten Altschulden getilgt

Trotz guter Marktposition, voller Auftragsbücher und hoher Gewinne hat die Firma jedoch mehr als elf Millionen D-Mark Altschulden. 1996 übernimmt Schwarzer die Firma. Um die Marke "Excellent" zu retten, bezahlt er nun mit den neuen Krediten die alten Schulden. Als das neue Jahrtausend beginnt, entscheidet sich Schwarzer zum schwersten Schritt seines Lebens: Notverkauf der Firma an einen Wäschegiganten. Die Arbeitsplätze kann er damit retten, seinen eigenen Traum nicht. Schwarzer weiß noch:

Es fiel mir wahnsinnig schwer aufzugeben. Das Unternehmen ging mir über alles. Es war mein Baby. Ich wollte, dass mein Unternehmen eine erfolgreiche Zukunft hat.

Christopher J. Schwarzer, verkauft 2000 "Excellent" Zeulenroda

Schwarzer arbeitete danach wieder als Unternehmensberater in München. In seinem Buch "Inside Ost" zog er einen versöhnlichen Schluss: Bei "Excellent" sei in kurzer Zeit und mit geringen Mitteln aus einem maroden Laden ein modernes Unternehmen gemacht worden. Das haben ihm auch die Mitarbeiter gedankt, nicht nur mit dem Churchill-Zitat.

Buchtipp:Christopher J. Schwarzer:

"Inside Ost. Vom West-Berater zum Ost-Unternehmer"
318 Seiten,
München: Dt. Taschenbuch-Verlag 2014,
ISBN: 978-3-423-26011-4

Von der wärmenden Leibwäsche zum Hauch von NichtsUnterwäsche war nicht immer eine Selbstverständlichkeit: Im Mittelalter wurde, wenn überhaupt, ein langes Hemd zwischen die Beine geklemmt. Wer das nicht hatte, trug die Garderobe direkt auf der Haut. Erst in der frühen Neuzeit wurde das Tragen von Unterwäsche bei Mann und Frau üblich - im frühen 18. Jahrhundert bürgerten sich Hemden für Mann und Frau gleichermaßen als so genannte "Unterkleider" ein. Erst später entwickelten sich schrittweise speziell geschnittene Unterhosen für Männer und für Frauen spezielle Unterröcke, die mit Korsetts kombiniert wurden. Ab dem frühen 19. Jahrhundert benutzte man in gehobenen Kreisen erste Modelle von Frauenunterhosen.

Die sogenannte Leibwäsche bestand aus weißem Leinen - daher auch der Begriff "Weißwäsche". Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Unterwäsche weiter - bis hin zu der Art, die wir heute tragen. Moderne Kunstfaser macht heute leichte, luftige und transparente Schnittmuster möglich. So wurde aus der funktionalen, wärmenden Leibwäsche das verführerische "Dessous".