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Der Balaton mit seinem azurblauen warmen Wasser war das bevorzugte Urlaubsziel vieler DDR-Bürger. Bildrechte: IMAGO / Harald Lange

Urlaubsparadies UngarnBalaton: Mallorca der DDR-Bürger

12. August 2022, 11:04 Uhr

Wer seine westdeutschen Verwandten sehen wollte, verabredete sich zum Urlaub am Balaton. Ungarn war vor 1989 einer der wenigen deutsch-deutschen Begegnungsorte. Während die Westverwandten in Ungarn billig Urlaub machen konnten, mussten die DDR-Bürger jede Mark zweimal umdrehen und verpflegten sich mit mitgebrachten Konserven.

1854 umrundete der ungarische Publizist und Jurist Karoly Eötvös den Balaton zu Fuß. "Traum und Poesie" seien an seinen Ufern beheimatet, schrieb Eötvös später in einem berühmt gewordenen Reisebericht. "Der Plattensee ist Geschichte und Tradition, eine Sammlung wehmütiger Märchen, Stolz der Vergangenheit und strahlende Hoffnung der Zukunft."

Was ist der Balaton?

Der Balaton, den man in Deutschland auch den "Plattensee" nennt, ist Europas größter Binnensee - knapp 80 Kilometer lang und bis zwölf Kilometer breit. Er liegt in Westungarn, in der Region Transdanubien – lang, schmal und vor allem: platt. Die geringe Tiefe des Balaton – im Durchschnitt nur drei Meter – garantiert allerdings angenehm warme Wassertemperaturen. In manchen Jahren ist das Wasser bereits im Mai 22 Grad warm, im Sommer kann die Temperatur auf über 30 Grad steigen – Badewannentemperatur. Der Name Balaton leitet sich übrigens vom slawischen "blatna" her, was soviel bedeutet wie "sumpfiges Gelände".

Balaton in den 1980er-Jahren: Hier und da ist die mondäne Atmosphäre von einst immer noch zu spüren. Bildrechte: IMAGO / United Archives

Adel und Großbürgertum am Balaton

Zu Zeiten des romantischen Reisenden Karoly Eötvös war vor allem das Nordufer des Balaton mit seinen Thermalquellen und Heilbädern ein bevorzugtes Urlaubsziel des ungarischen Adels und Großbürgertums. Etliche stattliche Villen inmitten parkähnlicher Gärten, wie etwa in Balatonfüred, zeugen bis heute von dieser Epoche. Mitte der 1950er-Jahre war es mit dem mondänen Gesellschaftsleben am Balaton aber vorbei. Die Zeit des Massentourismus brach an.

Die kommunistische Partei Ungarns bestimmte den Balaton damals zum Erholungsort für die "werktätigen Massen". Erholungsheime, schmucklose Hotels und Campingplätze entstanden in den einst stillen und eleganten Orten rund um den See. Und es sollte noch schlimmer kommen ...

Nach dem mauerbau entdecken DDR-Touristen den Balaton. Bildrechte: IMAGO / C3 Pictures

DDR-Touristen entdecken den Balaton

Ende der 1960er-Jahre entdeckten die DDR-Bürger, denen nach dem Bau der Berliner Mauer nicht mehr allzu viele Reiseziele in der Ferne geblieben waren, das riesige "Planschbecken der Ungarn". Zu Hunderttausenden kamen sie angereist – mit "Klappfix" und "Steilwandzelt" und dem Kofferraum voller Konserven. Einige Jahre später stammten bereits mehr als 30 Prozent der Balaton-Urlauber aus Magdeburg, Eisenhüttenstadt oder Suhl. Der Balaton war zum "Mallorca der DDR-Bürger" geworden. Zwischen 1970 und 1980 kamen durchschnittlich eine Million Gäste jährlich an den Plattensee, vorwiegend aus den "sozialistischen Bruderstaaten".

Allerdings konnten die meisten DDR-Bürger am Balaton keine großen Sprünge machen. Für den Umtausch von DDR-Mark in die Landeswärung Forint galten Limits und der Kurs war nicht allzu günstig. Das Geld reichte in der Regel nur für einen Campingplatz, erinnern sich die Zeitzeugen. Teure Hotels oder üppiges Schmausen im Restaurant waren nicht drin, von Extravaganzen wie Segeln oder Reiten ganz zu schweigen. Um über die Runden zu kommen, wurden viele Konserven aus der Heimat mitgebracht. Viele DDR-Bürger fühlten sich im Vergleich zu Westdeutschen, die am Plattensee Billigurlaub machten und dank ihrer harten D-Mark fürstlich behandelt wurden, als Urlauber zweiter Klasse.

Treffen mit Westverwandtschaft

Und dennoch kamen manche DDR-Bürger auch gerade wegen der Westdeutschen an den Balaton. Denn neben der faden "Puszta"-Romantik, verlogener Zigeunerfolklore und lauwarmem Wasser lockte auch die Aussicht auf deutsch-deutsche Begegnungen. Am Balatonstrand trafen sich Familien und Freunde, die der Mauerbau getrennt hatte. Und so waren die Campingplätze rund um den Balaton bereits vor dem November 1989 gewissermaßen Orte der deutschen Einheit.

Auf der Strecke blieb allerdings der Balaton selbst. Etliche Male drohte sein fragiles ökologisches Gleichgewicht unter dem Massenansturm aus dem Gleichgewicht zu geraten: Algen wucherten, Fische verendeten und ein übler Geruch stand überm See. Von "Traum und Poesie" war nicht mehr viel zu spüren.

Autos aus der DDR gehören in den 1980er-Jahren fest zum Straßenbild am Balaton. Bildrechte: IMAGO / United Archives

Europäische Kulturhauptstadt 2023

Auch heute sind die Deutschen die größte Gruppe unter ausländischen Touristen, die an den Balaton (und nach Ungarn überhaupt) kommen. Inzwischen erholt sich der Tourismus im Land langsam von den Folgen der weltweiten Corona-Pandemie. 2021 wurden in Ungarn 29 Millionen Übernachtungen gezählt – deutlich mehr als im ersten Pandemiejahr 2020, wenn auch weniger als 2019, als 42 Millionen Übernachtungen verzeichnet wurden. Und: Veszprém am Balaton ist zur Europäischen Kulturhauptstadt 2023 auserkoren worden. Damit rückt die Region erneut in den Fokus.