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Bildrechte: Didier Scheibe

Ohne Auto in den Urlaub in die ČSSR

12. August 2022, 11:19 Uhr

Mit "kreativer Schlitzohrigkeit" schlug Didier Scheibe bis Ende der 70er-Jahre der Bahn ein Schnippchen und ergatterte günstige Platzkarten für Zugreisen nach Praha (Prag) und Brno (Brünn).

von Didier Scheibe

Da FDGB-Plätze extrem knapp waren, orientierte sich meine Familie beim Urlaub auf die ČSSR. Dorthin wurde allen DDR-Bürgern, sofern sie nicht aus politischen Gründen mit einem vorläufigen Personalausweis ausgestattet und damit faktisch mit Landesarrest belegt worden waren, seit 1972 antragsfreier und unbegrenzter Freigang gewährt.

Schwierige Platzreservierung

Bis Praha oder Brno mussten wir die internationalen Reisezüge benutzen, die nicht selten bis an das Schwarze Meer verkehrten. Damit stellte sich das leidige Problem der Platzreservierung. In der Regel konnten die begehrten Plätze maximal zwei Monate vor dem Reiseantritt bestellt werden (im Kursbuch gab es dazu ein Verzeichnis der Züge und der für die Platzkartenbestellung zuständigen Fahrkartenausgaben). Bestellt wurde mit einer doppelten Bestellpostkarte. In den letzten Jahren der DDR wurde diese auf einen nahezu dunkelgrauen Recyclingkarton gedruckt, der an eine Verarbeitung von Schnitzeln abgelederter Reifen denken ließ...

Diese Bestellpostkarten mussten, wenn es um Züge in die Bruderländer ging, mit dem Stempel einer Fahrkartenausgabe versehen werden. Den gab es aber nun wieder nur, wenn zuvor die Fahrkarten gelöst worden waren. Diese waren, verglichen mit einfachen Fahrpreisen auf langen DDR-Strecken, konkurrenzlos billig und wurden erst gesondert für die in den einzelnen Ländern zurückgelegten Strecken in Rubel ermittelt, anschließend addiert und der Gesamtpreis in Mark der DDR umgerechnet (1 Rbl etwa 3,20 Mark der DDR). Wer diesen Tarif der Eisenbahnen der sozialistischen Länder (EMPT) kannte, fuhr mit einer Fahrkarte 1. Klasse zwischen Eisenach und Kunowice (polnischer Grenzbahnhof) preiswerter als mit einem Ticket des Binnentarifs zwischen Eisenach und Berlin.

Natürlich fiel der Bahn diese kreative Schlitzohrigkeit auf und so wurden Ende der siebziger Jahre Streckenzuschläge eingeführt. Sie wurden für die Strecke zwischen Grenze und Abgangs- bzw. Ankunftsbahnhof in der DDR erhoben. Ohne den internationalen Tarif in Frage zu stellen, verteuerten diese die Fahrt mit den internationalen Tickets so, dass es uninteressant wurde, auf diese Weise im Binnenverkehr zu einem eigenen Sparpreis zu kommen. Für die Rückfahrt lagen die Dinge etwas anders. Da waren wir gut beraten, sofort nach der Ankunft in Prag oder Brno auf die Pirsch nach Platzkarten für die Rückfahrt zu gehen.

Natürlich fiel der Bahn diese kreative Schlitzohrigkeit auf und so wurden Ende der siebziger Jahre Streckenzuschläge eingeführt. Sie wurden für die Strecke zwischen Grenze und Abgangs- bzw. Ankunftsbahnhof in der DDR erhoben. Ohne den internationalen Tarif in Frage zu stellen, verteuerten diese die Fahrt mit den internationalen Tickets so, dass es uninteressant wurde, auf diese Weise im Binnenverkehr zu einem eigenen Sparpreis zu kommen. Für die Rückfahrt lagen die Dinge etwas anders. Da waren wir gut beraten, sofort nach der Ankunft in Prag oder Brno auf die Pirsch nach Platzkarten für die Rückfahrt zu gehen.

Herrlich billig

...waren Eisenbahnfahrten in der damaligen CSSR. Doch zu bezahlen waren sie im kostbaren Brudergeld. Von diesem gab es bei einem Reisetag und pro Person 60, bei zwei Reisetagen 120, bei drei 180 und ab vier Tagen 120 Kcs je Tag (der damalige Kurs lag bei 100 Kcs = 33,16 Mark der DDR). Ein Mittelklassehotelzimmer in Kralupy n/Vltavou kostete mich damals knapp 100 Kcs - ohne Verpflegung, versteht sich.

Einzig die Reisebüros der DDR (ich war damals Stammkunde in der Filiale in der Alten Waage in Leipzig) durften Fahrkarten für feine Binnenstrecken in der ČSSR nach einem anderen Tarif, dem TCV gegen Mark der DDR herausgeben. Diese Fahrkarten sahen genauso aus wie Tickets von Leipzig nach Frankfurt/M., Köln oder Ansbach. Zwar war dieses Vergnügen etwas teurer als in der ČSSR selbst, jedoch konnten wir auf diese Weise unseren kostbaren Betrag an Kronen für andere Dinge aufsparen.

Wir wohnten damals bei Freunden in einem kleinen Ort einige Kilometer von Usti n. Orlici entfernt. Um beispielsweise nach Brno (Spilberk), Olomouc (Zoo), Dvur Kralove (Safari Park) oder Nachod (Schloss) zu fahren, durften wir keine Langschläfer sein. Denn entweder mussten wir zu Fuß zum Haltpunkt (2 km entfernt, nur Personenzüge) laufen oder mit dem ersten Bus (morgens halb fünf) zur Bahnstation der Kreisstadt Usti fahren. Die Züge waren nicht die schnellsten und so gerieten solche Eskapaden zu wahren "Weltreisen". In den heißen Sommern standen die Fenster in den Wagen offen und der ohrenbetäubende Lärm der nur liederlich verschweißten Schienenstöße drang herein. Kein Vergleich mit dem nahezu geräuschlos dahin gleitenden ICE. Auch wenn die Wände nicht mit angedeutetem Furnier verkleidet waren und die Eingangsräume der Wagen nicht an ein Vier-Sterne-Hotel erinnerten, so waren die Toiletten doch auch für etwas beleibtere Personen ohne Verrenkungen zugänglich und die Sitzplätze waren ausreichend bemessen und ließen viel Beinfreiheit.

Der Zensur eine Nase gedreht

Gern hätte ich damals das Buch von Woodward und Bernstein "Die Männer des Präsidenten" gelesen, musste mich aber mit dem Buch des DDR-Staranwaltes Karl-Friedrich Kaul zum Watergate-Komplex begnügen. Dann fand ich es aber doch noch in einem Antiquariat in der ČSSR. Ich schlug es in graues Packpapier ein und legte es bei der Rückfahrt aufgeschlagen auf das kleine Bord unterhalb des Wagenfensters. Der übellaunige Zöllner (in der DDR waren sie stets misstrauisch und übellaunig) interessierte sich zwar für die Koffer, würdigte das Buch aber keines Blickes.

Außer Büchern und vielen, vielen Eindrücken von wunderschönen Landschaften (Orlicke hory), historischen Stätten (Velké Losiny - Ort der Hexenprozesse und der Papierschöpfung) und Städten mit einmaligen Kunstschätzen haben wir natürlich auch Konsumgüter mitgebracht - eine Knoblauchpresse, eine Personenwaage, eine Presse für Pommes frites, Rasierwasser, Seife und eine Schreibmaschine.