Rentenüberleitungsgesetz Der Tag, an dem für die Ostdeutschen das Renten-Chaos begann

01. August 2021, 05:00 Uhr

1991 trat das Gesetz zur Rentenüberleitung (RÜG) in Kraft. Es regelte, wie die DDR-Renten im allgemeinen, und die DDR-Zusatz- und Sonderrenten im speziellen, in das bundesdeutsche Rentenrecht (SGB VI) zu überführen sind. Für viele ostdeutsche Rentner wirkte sich das RÜG nachteilig aus: Renten wurden gekürzt oder abgeschmolzen, so dass es über Jahre zu keiner Rentenerhöhung kam. Ab 1993 fingen die ersten Betroffenen an zu klagen. Bis heute wurde keine Lösung gefunden. Und ob die 2020 ausgehandelte Einmalzahlung von bis zu 20.000 Euro pro Person ausgezahlt wird, ist bislang noch offen.

Während sich am 9. November 1989 Ost- und West-Bürger eines fast 40 Jahre lang geteilten Landes in die Arme schlossen, verabschiedete der Bundestag in Bonn ein neues Rentenreformgesetz. Ein Gesetz, das ab 1. Januar 1992 die Renten für die Bundesrepublik neu regeln sollte. Doch das es in der Zwischenzeit zu einer Wiedervereinigung Deutschlands kommen sollte, wussten die Macher des "Rentenreformgesetzes 1992" (RRG '92) damals noch nicht.

Und noch während die Bürger versuchten, sich nach 1990 im geeinten Deutschland neu zu finden, versuchten die Politiker, zwei Teile eines Landes, die sich sozial- und wirtschaftspolitisch knapp vier Jahrzehnte völlig unterschiedlich entwickelt hatten, zusammenzubringen. Allerdings waren die Rentensysteme beider Staaten völlig unterschiedlich, so dass man in der Kürze der Zeit keine abschließende Regelung für eine bundesdeutsche Rentenpolitik finden konnte.

40 Jahre unterschiedliche Rentensysteme

Denn welches System sollte in Zukunft gelten? Das Rentensystem der DDR, mit seinen Zusatz- und Sonderversorgungssystemen, einer Grundrente und einer frauenfreundlichen Rentenpolitik? Oder das westdeutsche Rentensystem, mit seiner leistungsbezogenen, dynamischen Alterssicherung?

Aus für die DDR-Zusatz- und Sonderversorgungssysteme

Der Zeitdruck, um alle sozialpolitischen Details bis ins Kleinste zu besprechen, war während des Wiedervereinigungsprozesses zu groß gewesen. Daher einigte man sich im Vorfeld des 3. Oktober 1990 erst einmal darauf, dass bis zu einer endgültigen Lösung die Renten in den neuen Bundesländern nach DDR-Recht gezahlt werden. Alles Weitere sollte der Gesetzgeber in einem Bundesgesetz regeln. Und der verabschiedete am 25. Juli 1991 das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) mit dem Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG), welches am 1. August 1991 in Kraft trat.

Wir übertragen ein Alterssicherungssystem auf die neuen Bundesländer, das in der Welt seinesgleichen sucht.

Norbert Blüm (CDU) damaliger Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung

Das Gesetz regelte die Schließung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der DDR und deren Überführung in die allgemeine gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) der Bundesrepublik Deutschland. Für die in der DDR in der Sozialpflichtversicherung und in der Freiwilligen Zusatzversicherung (FZR) Versicherten wirkte sich diese Übertragung der gesetzliche BRD-Rentenversicherung durchaus günstig aus. Die Rentenumwertung führte dank Bestandsgarantie und Auffüllbeträgen für weniger als zehn Prozent der Betroffenen zu niedrigeren und für über 90 Prozent zu höheren Zahlbeträgen in der Rente. Doch was sollte mit denjenigen passieren, die nicht schablonenartig ins BRD-Rentensystem passten? Mit den Menschen, die Anwärter oder Bezieher von Zusatz- und Sonderversorgungssystemen waren?

Erste Regelungen schon durch Volkskammer

Die letzte Volkskammer der DDR hatte bereits im Juni 1990 im Zuge der Wirtschafts- Währungs- und Sozialunion mit dem Rentenangleichungsgesetz entschieden, dass die DDR eine Angleichung der Bestandsrenten an das Nettorentenniveau der Bundesrepublik Deutschland durchführen möchte. Der Höchstbetrag aus Zusatzversorgungen sollte für Mitarbeiter des Staatsapparates, Leiter im Wirtschaftsbereich, Generaldirektoren, Kombinatsleiter und Mitarbeiter von gesellschaftlichen Organisationen sowie der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) bei 2010 DM gedeckelt werden. Die Bezüge aus den Sonderversorgungssystemen, wie sie beispielsweise Stasi-Mitarbeiter bekamen, wurden bei 990 DM gekappt.

DDR-Zusatzrente in Betrieben: Abwanderung gen Westen stoppen

Doch neben den Zusatz- und Sonderversorgungssysteme von Führungskräften oder Stasi-Mitarbeitern, gab es noch Systeme für andere Berufsgruppen. So war das erste Zusatzversorgungssystem 1951 für die technische und wissenschaftliche Intelligenz in den Betrieben eingerichtet worden. Die Intelligenzler wurden zum Aufbau des Arbeiter- und Bauernstaates benötigt und sollten durch erhöhte ökonomische Anreize und einer damit verbundenen betrieblichen Bindung von einer Abwanderung in den Westen abgehalten werden. Denn hier gab es nicht nur bessere Löhne, sondern auch betriebliche Altersversorgungen.

Förderung der technischen Intelligenz der DDR

So setzte sich Walter Ulbricht "besonders [für die] Förderung von leitenden Angehörigen der Intelligenz […] durch eine zusätzliche Altersversorgung […]" ein. Ende der 50er Jahre wurde es bei den noch offenen Grenzen dann erforderlich, auch bei Ärzten jeder Fachrichtung Zusatzversorgungen einzurichten, weil es zunehmend bei diesen Berufsgruppen starke Abwanderungstendenzen gab. In den Folgejahren wurden nach und nach auch für Mitarbeiter an künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen sowie für Wissenschaftler an den Akademien zusätzliche Altersversorgungen eingerichtet. Erst ab 1970 wurden die Sonderversorgungssysteme für die Mitarbeiter der Staatssicherheit (MfS), dem Amt für Nationale Sicherheit (AfNS), Zollverwaltung, Strafvollzug, Feierwehr, Nationale Volksarmee (NVA) und Volkspolizei eingeführt.

DDR-Renten abgeschmolzen, gedeckelt, reduziert

Für 27 Berufs- und Personengruppen, die mit ihren Ansprüchen nicht ins westdeutsche Rentensystem passten, fing mit Inkrafttreten des RÜGs eine bis heute bestehende Benachteiligung an. Sie mussten erhebliche finanzielle Verluste in Kauf nehmen. Anders als im Staats- und im Einigungsvertrag zugesichert, wurden teilweise DDR-spezifische Rentenelemente modifiziert oder gestrichen und ganze Personengruppen vergessen. Es wurden Wortlaute falsch interpretiert, Festlegungen des Einigungsvertrages wenige Monate nach der Wiedervereinigung ausgehebelt, nicht-systemnahe DDR-Renten gedeckelt und zu hohe Renten abgeschmolzen, so dass Teile der Ostrentner über Jahre keine Rentenerhöhung bekamen.

Zu den durch die Ausnahmeregelungen im Rentenüberleitungsgesetz betroffenen Gruppen gehören u.a. in der DDR-geschiedene Frauen, Reichsbahner, Postler, Krankenschwestern, Angehörige der technischen Intelligenz, Bergmänner und Ballettänzerinnen.

Erste Klagen ab 1993

Jede Gruppe für sich klagte. Teilweise über mehrere Jahrzehnte. Die ersten Klagen gingen bereits 1993 ein. Für zehn Gruppen wurden Lösungen gefunden. 17 Gruppen klagten erfolglos. Mehrmals musste das Überleitungsgesetz erneuert werden. Nachdem alle innerdeutschen juristischen Mittel ausgeschöpft waren, zogen Gruppen wie die Balletttänzerinnen oder die in der DDR-geschiedenen Frauen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser verwies darauf, es sei eine "innerdeutsche Angelegenheit."

2018 wurde im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD eine politische Lösung in Form eines Härtefallfonds im Bereich der Grundsicherung verankert. Es sollte eine Einmalzahlung von 15 000 bis 20 000 Euro pro Person geben, die durch das Rentenüberleitungsgesetz benachteiligt worden war. Als Anerkennung der Lebensleistung. Doch 2020 verkündete das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), man sehe nur eine Lösung im Bereich der Grundsicherung. Das würde rund zwei Prozent der betroffenen Personen betreffen. Doch auch die bekämen keine 15.000 Euro. Sondern, zumindest ist das der Stand Juli 2021, rund 2556,46 Euro Einmalzahlung. Doch ob die nun kommen, ist bislang nicht klar.