Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio

Geschichte

DDRNS-ZeitZeitgeschichteMitteldeutschlandWissen

Die Wende im EisSchnee, Eis, friedliche Revolution: So erlebten DDR-Forscher die Wende

10. Januar 2022, 12:30 Uhr

Oktober 1989: In der Antarktis kündigt sich der Sommer an. Auf dem grenzenlosen Kontinent leben zwölf DDR-Wissenschaftler und Techniker seit einem Jahr im ewigen Eis. Inmitten einer unberührten Natur arbeiten sie auf der Antarktisstation "Georg Forster". In der Heimat, rund 14.000 Kilometer entfernt, erleben die Menschen dagegen einen "stürmischen Herbst".

In der "Schirmacher Oase" im Osten der Antarktis steht die DDR Forschungsstation "Georg Forster". Sie ist ein 20 Kilometer langer und drei Kilometer breiter Felsstreifen. Hier arbeiten im Herbst 1989 die Teilnehmer der zweiten und dritten Antarktisexpedition. Das die DDR bald untergehen wird, davon ahnen die Forscher vorerst nichts. Meteorologen, Physiker, Vermessungsingenieure, Techniker gehören zur Elite im Dienste der Wissenschaft.

Ein Schifferboot informiert über die politische Lage

Ein Fischer, der vor Mosambik liegt, schickt den Forschern täglich per Telex etwas zur aktuellen Lage. Trotzdem ist die Informationen über die politische Situation dürftig und was durchsickert, ist parteigefärbt. Die Forscher berichten von "Verunsicherung wegen der ganzen Verhältnisse" und "Angst um Frau und Kind". Doch neben der großen Frage, ob die Revolution im Land friedlich abläuft, steht für die Forscher ein viel drängenderes Problem im Raum: Wie wird es mit ihnen weiter gehen?

Antarktisvertrag: friedliche Nutzung des Kontinents

Lange haben die Expeditionsteilnehmer auf diese Chance gewartet. Denn in der DDR ist es ein Privileg, im nichtsozialistischen Ausland arbeiten zu dürfen. Seit 1959 schickt die DDR Wissenschaftler auf den entlegenen Erdteil. Auf Bitten des Bruderlandes zuerst als Teilnehmer der sowjetischen Antarktisexpeditionen, um die Präsenz des sozialistischen Lagers zu stärken. 1974, noch fünf Jahre vor der BRD, tritt die DDR dem Antarktisvertrag bei, der eine friedliche Nutzung des Kontinents regelt.

Die Prüfung durch die Akademie der Wissenschaften zieht sich bei den meisten Bewerbern jahrelang hin. Als es dann losgeht, fliegen sie gemeinsam mit den Sowjets. Die Iljuschin 76, die größte Frachtmaschine der Welt - scherzhaft auch fliegende Scheune genannt - bringt jahrzehntelang ostdeutsche und sowjetische Polarniks ins ewige Eis. "Das war ein Kindheitstraum. Ich hab immer als Jugendlicher schon davon geschwärmt Expeditionen durchzuführen und irgendwo war halt die Möglichkeit sich da zu bewerben", erzählt Norbert Flaake.

Kampf der Systeme hat auch in der Antarktis statt gefunden

Er und Thomas Gerloff sind Mitglieder der zweiten DDR Antarktisexpedition. Fast zwei Jahre sollen sie insgesamt bleiben. Ende Oktober landet dann ein Vortrupp der dritten DDR Antarktisexpedition im ewigen Eis, um den östlichen Teil des Südpols zu vermessen, Unterwasserseen zu erkunden, die Ozonforschung weiter zu betreiben. In dieser Zeit mit dabei ein Kamerateam der DEFA, das für das DDR Fernsehen einen Dreiteiler über die Überwinterer auf der DDR Station drehen will. Es soll die wissenschaftlichen Erfolge der Republik, vor allem auf dem Gebiet der Ozonforschung dokumentieren.

Geplant ist ein Wissenschaftsfilm. Jetzt wird es auch ein Film über die "Wende im Eis". Der Kampf der Systeme hat auch in der Antarktis stattgefunden. Die DDR-Antarktis-Station lief unter der Überschrift 'Wettstreit und Anerkennung der DDR'. "Mit den Ergebnissen, die aus der Antarktis kamen, konnten die entsprechenden Leute vom Zentralinstitut für Physik der Erde auch international mitmachen", erinnert sich Thomas Schlosser, ein weiterer Forscher des Teams.

Forschung mit umgebauten russischen Panzern

Tagsüber sind die Forscher abgelenkt von den verwirrenden Nachrichten aus der Heimat. Denn der Alltag am Südpol ist eine ständige Herausforderung. Wind und Kälte machen aus jeder Routinearbeit ein Abenteuer. Darunter leiden vor allem die Techniker. Denn sie haben es mit alter Ausrüstung zu tun. Teilweise bewegen sie sich mit umgebauten, russischen Panzern aus dem Zweiten Weltkrieg. Schlepper, mit denen Erkundungstouren gemacht werden. Thomas Gerloff, der Techniker aus Freital, muss den alten Fuhrpark ständig reparieren, bei bis zu Minus 40 Grad.

"Ich dachte, ich bin im falschen Film."

Die Novembertage 1989 verlaufen ruhig in der Antarktis. Hier geht alles seinen gewohnten Gang. Bis am Abend des 10. November eine Nachricht eintrifft, die auch für die Expeditionsteilnehmer folgenschwere Veränderungen mit sich bringt. Die Mauer ist auf. "Ich dachte, ich bin im falschen Film. Es war unfassbar, dass mal sowas passieren würde. Das konnte man sich einfach nicht vorstellen. Wir waren ja auch nicht dabei, wir haben die ganze Entwicklung bis dahin nicht erlebt", erzählt Norbert Flaake. "Also ich habe es erst geglaubt, nachdem ich mit meiner Frau am Sonntag nach dem Mauerfall telefoniert habe und sie mir erzählte, dass sie auf dem Berliner Ku'Damm war."

Auch in der Antarktis Grenzen einreißen

Es wird den Männern klar, dass die Veränderungen noch größer sind, als sie überhaupt geglaubt haben. In den Polarnächten treffen ständig Nachrichten über Betriebsschließungen und Entlassungen ein. Aus der Heimat erreichen sie auch Berichte über eine geplante Wiedervereinigung. Nachdem die Forscher die Gewissheit haben, dass die Mauer gefallen ist, beschließen sie, auch in der Antarktis die Grenzen einzureißen.