Staatseigentum zu treuen Händen

09. September 2010, 18:43 Uhr

Die Treuhandanstalt soll das Volkseigentum der DDR in die soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik überführen. Das bedeutet, dass die volkseigenen Betriebe privatisiert werden müssen. Seit Anfang 1990 ist die Treuhand ist auf der Suche nach Investoren.

Es sind Erfolge und Misserfolge, die Anfang 1991 von der Treuhandanstalt vermeldet werden können. Da ist die Befreiung der Jenoptik GmbH Carl Zeiss Jena von ihren Altschulden aus DDR-Zeiten – ein wichtiger Schritt für den Fortbestand des weltweit agierenden Traditionsunternehmens aus Thüringen.

Anteilsscheine fürs Volk?

Da ist aber auch das Ende der Wartburg-Produktion in Eisenach oder die Liquidation der Interflug. Zunehmend zeigt sich, dass der ursprüngliche Zweck der Treuhandanstalt kaum erfüllt werden kann. Statt Erlösen aus den Privatisierungen, erzielt die größte Staatsholding der Welt Verluste – und hinterlässt eine weitgehend deindustrialisierte Region.

Die Bildung der Treuhandanstalt geht auf eine Initiative von DDR-Bürgerrechtlern zurück. Im Februar 1990 schlägt das "Freie Forschungskollegium Selbstorganisation" in einem Zwei-Seiten-Papier vor, das Volkseigentum einer Staatsholding zu übertragen. So sollen die Anteile der DDR-Bürger am Volkseigentum gewahrt werden. Wolfgang Ullmann von der Bürgerrechtsbewegung "Demokratie Jetzt" bringt diesen Vorschlag in die Diskussionen am Runden Tisch ein – und zwei Wochen später hat die Modrow-Regierung tatsächlich einen Gesetzentwurf ausgearbeitet. Allerdings fehlt ein entscheidender Passus. Von einer Verteilung des Eigentums an das Volk ist nirgendwo mehr die Rede, zu kompliziert erscheint der Vorschlag, und das wenige Wochen vor der ersten freien Volkskammerwahl. Per Verordnung wird am 1. März 1990 die Treuhandanstalt gegründet.

Reformen im Eiltempo

Zunächst sind es gerade einmal 100 Mitarbeiter, die in der neuen Institution für die etwa 8.000 "volkseigenen" Betriebe zuständig sind. Die Behörde tritt das industrielle und wirtschaftliche Erbe der DDR an. Ihre Aufgabe ist gewaltig: Aus einer maroden sozialistischen Planwirtschaft soll sie eine soziale Marktwirtschaft nach dem Erfolgsrezept der Bundesrepublik Deutschland machen. Nach der Volkskammerwahl führt die Regierung de Maizière den eingeschlagenen Kurs fort: Alle Betriebe werden Eigentümer der Immobilien, auf denen sie sich befinden und für die sie bisher die Rechtsträgerschaft hatten. Das ist der größte Immobilentransfer kraft Gesetz. Über Nacht werden aus den Betrieben, die bis dahin der Gewinnabführungspflicht der volkseigenen Wirtschaft unterlagen, eigene Steuersubjekte – nur so können sie auf eigene Faust wirtschaften.

Die Währungsunion als Wirtschaftsdebakel

Paradoxerweise ist es ausgerechnet die Währungsunion, die zu großen Problemen bei der Arbeit der Treuhand führt. Im Handel zwischen West und Ost gilt ein Wechselkurs von etwa 1:4. In der Debatte um die Währungsunion setzt sich aber ein Wechselkurs von 1:1 durch – ein politischer Kurs, kein ökonomischer. Der Umtauschsatz hat für die DDR-Betriebe fatale Folgen: Sie müssen nun Löhne in D-Mark zahlen – und produzieren viel zu teuer Güter, die in der DDR ohnehin keiner mehr kaufen will bzw., die in Osteuropa mangels Devisen keiner mehr kaufen kann. Ausgerechnet die Währungsunion macht über Nacht nahezu alle DDR-Unternehmen zum Sanierungsfall. Die Treuhand-Anstalt als neuer Verwalter der Betriebe ist mit der Situation völlig überfordert. Und strebt nun vorrangig den zügigen Verkauf der Betriebe an.

Ein "harter Sanierer" als Chef

Im August 1990 wird Detlev Karsten Rohwedder zum Chef der Treuhand ernannt. Er hatte zuvor den maroden Stahlkonzern Hoesch aus den roten Zahlen geführt – und betreibt nun die Privatisierung, Sanierung oder Abwicklung der DDR-Betriebe. Wegen ihrer wachsenden Schulden will Rohwedder die volkseigenen Betriebe so schnell wie möglich an Investoren verkaufen. Den Wert der DDR-Betriebe beziffert er auf 600 Milliarden D-Mark. Aber wie sich bald herausstellt, ist das Volkseigentum nahezu unverkäuflich. Milliarden müssten investiert werden, um wettbewerbsfähig zu werden. Den Ost-Unternehmen fehlt hierzu das Kapital, und das Interesse von West-Investoren hält sich in Grenzen. Viele West-Unternehmen haben seit Jahren Überkapazitäten in der Produktion. Den Warenhunger der DDR-Bürger befriedigen sie spielend mit ihren alten Standorten im Westen.

Und so werden immer mehr DDR-Betriebe stillgelegt, als erstes Großkombinat im Oktober 1990 das Pentacon-Kamerawerk in Dresden. Auf den Jubel der Einheitsfeiern folgt die Ernüchterung. Ganze Industriezweige brechen zusammen. Die Stimmung in Ostdeutschland verschlechtert sich in beängstigendem Tempo. Wo privatisiert wird, wird auch entlassen. Ein Drittel aller im Frühjahr 1990 Beschäftigten wird arbeitslos. Für das Dilemma machen viele nicht etwa vierzig Jahre Planwirtschaft, sondern die Treuhand verantwortlich.

Bilanz einer Behörde

Am 1. April 1991 wird der Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder bei einem Attentat ermordet. Bis heute sind die Hintergründe ungeklärt. Rohwedders Nachfolgerin Birgit Breuel verschärft noch einmal den Privatisierungskurs. Jetzt werden Betriebe sogar verschenkt oder für eine symbolische Mark verkauft, wenn die Investoren den Erhalt von Arbeitsplätzen versprechen. In vielen Fällen führt das zu Verkäufen, die eher der Marktbereinigung dienen als dem Aufbau Ost. Die Berichte darüber erzürnen die Öffentlichkeit. Birgit Breuel sagt später, zu Beginn des Umbaus blühten in Ostdeutschland "Spekulation und Raubrittertum. Zum Symbol dafür wurde kurzerhand die Treuhandanstalt."

Um den gewaltigen Aufgaben gewachsen zu sein, ist die Treuhandanstalt zu einer Mammutbehörde mit 3.500 Beschäftigten angewachsen. Doch obwohl es viele Beispiele für gelungene Privatisierungen gibt, bestimmen im Bewusstsein der Öffentlichkeit vor allem die Fehler und Skandale das Bild der Treuhand. 1994 endet der Auftrag der Treuhandanstalt. Die als Behörde zur Wahrung des Volkseigentums gegründete Anstalt hinterlässt dem Staat einen Schuldenberg von rund 250 Milliarden D-Mark und 2,5 Millionen Arbeitsplätze, die nicht gerettet werden konnten.