1994 Abzug der Rote Armee Abzug in Würde? Wie die Sowjetarmee Wünsdorf verließ

15. September 2015, 14:57 Uhr

Der kleine Ort Wünsdorf in Brandenburg war das Hauptquartier der sowjetischen Streitkräfte in der DDR. 1994 werden zu tausenden stationierten Soldaten sang- und klanglos abgezogen.

Einst zog ein Hauch von Moskau durch die eher unscheinbare Gemeinde Wünsdorf in Brandenburg. Unweit von Berlin entfernt war hier fast 50 Jahre das Oberkommando der sowjetischen Truppen in Deutschland stationiert. Zehntausende Soldaten führten dort mit ihren Familien ein normales Leben mit eigenen Schulen, Theater, Museen, einem Krankenhaus und Direktzügen nach Moskau. Wünsdorf war die Kommandozentrale der Sowjetunion in der DDR. Doch als die Soldaten 1994 abgezogen werden, ist vom alten Glanz nicht viel zu spüren.  

Abschied 1994

Am 11. Juni 1994 verabschieden sich die Soldaten der 16. Luftlandearmee mit einem Umzug aus Wünsdorf. Noch einmal zeigen sie Präsenz mit Panzer, Flugzeugen und Marschmusik. Doch der Abschied findet ohne Politiker und Prominenz statt. Die Sowjets hätten sich gern als Teil einer großen Abschiedsparade mit den Westalliierten am Brandenburger Tor gesehen – und empfinden den nahezu geräuschlosen Abzug als Kränkung. 1990 hatte sich noch eine Mehrheit der Deutschen für einen gemeinsamen Abschied der alliierten Truppen ausgesprochen.

Die Amerikaner waren es, die sich weigerten und dies ziemlich burschikos begründeten: Sie wären die befreundete Schutzmacht, während die Russen eine Besatzungmacht gewesen wären. Das haben die Russen zurecht als Kränkung empfunden. Die waren der Meinung, das sie mit gleichem Recht hier waren wie die Amerikaner, Engländer und Franzosen.

Lothar de Maiziere, 1990 letzter Ministerpräsident der DDR

Die Regierung Kohl kommt dem Wunsch nach einer zentralen Feier nicht nach. Der Bürgerrechtler und letzte Verteidigungsminister der DDR, Rainer Eppelmann, erklärt die Zurückhaltung mit der Rolle der sowjetischen Truppen zu DDR-Zeiten. In der DDR galt die Sowjetarmee offiziell als Befreier und Sieger der Geschichte. In der Wahrnehmung der Menschen jedoch sorgten die Sowjettruppen während der Berlinblockade 1948/1949 und der Niederschlagung des Volksaufstandes 1953 mit Panzern dafür, dass die Diktatur weiter gehen konnte.

Das offizielle Ende

Am 25. Juni 1994 sagen die Sowjets deswegen allein mit einem Militäraufmarsch in Berlin-Köpenick Lebewohl. Wenige Wochen später nehmen Boris Jelzin und Helmut Kohl am Berliner Gendarmenmarkt die letzte Meldung des Oberbefehlshabers der Sowjettruppen in der DDR entgegen. Am sowjetischen Ehrenmal in Treptow wird zwar der Soldaten gedacht, die im Kampf gegen den Faschismus fielen – das Gefühl des zweitklassigen Abschiedes wird so aber nicht wettgemacht.

Ich glaube die Art und Weise, wie sie dann aus Deutschland abzogen wurden, haben sowjetische Politiker und nun in den meisten Fällen russische Politiker, nicht als besonders charmant und schon gar nicht als besonders ehrenvoll empfunden. Das hat ihnen sicher weh getan. Sie wollten als großzügige, ehemalige Sieger gehen und dazu ist die Form nicht angetan gewesen.

Rainer Eppelmann, 1990 letzer Minister für Abrüstung und Verteidigung der DDR

Zwanzig Jahre danach

Vom größten Militärstandort Europas ist nicht mehr viel übrig. Wünsdorf hat heute 6.000 Einwohner. In manchen Kasernen sind Behörden untergebracht. Viele Gebäude des ehemaligen Armeegeländes stehen aber immer noch leer, die Stadt sucht weiter Investoren. Dennoch wird ein der kleine sowjetische Symbolort Wünsdorf noch einmal an alte Zeiten erinnern. 20 Jahre nach dem Abzug reisen am 11. Juni 2014 ehemalige russische Veteranen an, um gemeinsam mit der Gemeinde Wünsdorf eine Gedenkfeier zur Erinnerung an die Abschiedsparade der sowjetischen Streitkräfte zu begehen.

Fünf Dinge, die Sie noch nicht über Wünsdorf wussten Der kleine Ort Wünsdorf war ein Schnittpunkt deutscher, sowjetischer und europäischer Militärgeschichte:


- Im Dritten Reich befand sich in Wünsdorf ein Jahrzehnt lang das Oberkommando des Heeres mit ober- und unterirdischen Kommandozentralen.

- In Wünsdorf waren im Laufe der Zeit mehr Marschälle und Generalstabsoffiziere anwesend, als der Ort je Einwohner hatte.

- Die "Dicke Bertha", ein 420-Milimeter-Mörser, der im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurde, ist in Wünsdorf erprobt worden.

- Von Berlin aus führte eine Militär-Eisenbahnstrecke nach Wünsdorf, auf der Anfang des 19. Jahrhunderts ein Geschwindigkeits-Weltrekord aufgestellt wurde.

- 1919 ließ die Reichswehrführung den Leichnam der erschosenen Sozialdemokratin Rosa Luxemburg nach Wünsdorf bringen.