Volkskammer beschließt Neugründung der Länder Wie um die neuen Bundesländer gefeilscht wurde
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22. September 2020, 11:35 Uhr
Am 22. Juli 1990 verabschiedet die Volkskammer der DDR das Ländereinführungsgesetz. Aus den 14 Bezirken der DDR müssen Bundesländer gebildet werden, als Grundvoraussetzung für die deutsche Einheit. Jetzt geht es um Schicksale: Werde ich Sachse, bin ich Thüringer, möchte ich Sachsen-Anhalter sein? Noch nie zuvor ist eine derartig gravierende Strukturveränderung durch demokratische Abstimmungsprozesse und "politische Laien" umgesetzt worden. Der MDR hat dazu eine neue dreiteilige Dokumentation gedreht. Autorin ist die Leipziger Filmemacherin Katja Herr. Sie hat politischen Akteure von damals interviewt und erstaunliche Offenheit erlebt.
Ländereinführungsgesetz ist ein schwieriges Wort für einen schwierigen Vorgang. Was bedeutete die Aufteilung in fünf neue Bundesländer für die Menschen in Ostdeutschland?
Es ist ein Gesetz, das nicht nur die Anzahl und Größe der neuen Länder im Osten festlegt, sondern es regelt auch: Wie soll dieser Prozess stattfinden, wer hat welche Aufgabe, wer entscheidet schlussendlich, wo der Bürger seine neue Länder-Heimat finden soll?
Die Herausforderung war: Wie führt man 14 Bezirke der DDR plus Berlin zusammen? Wie schafft man sie ab, wie einigt man sich auf ein Land mit welchen Traditionen? Die Bezirke hatten alle ihre eigene Verwaltung und ihre eigene Regierung. Oft war es so, dass aus drei Bezirken ein Land gemacht wurde. In Thüringen aus den Bezirken Suhl, Gera und Erfurt. In Sachsen waren es die Bezirke Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt und in dem neuen Land Sachsen-Anhalt sollten sich die Bezirke Halle und Magdeburg einigen. Das war damals Potential für viele Konflikte, die teilweise auch sehr unschön und öffentlich ausgetragen wurden.
Interessenskonflikte bei der Aufteilung Die meisten Probleme und Streitigkeiten gab es zwischen Halle und Magdeburg. Das Land Sachsen-Anhalt existierte kurz nach dem Krieg schon einmal, zwischen 1947 und 1952, zusammengeführt aus Teilen der preußischen Provinz Sachsen und dem kleinen Land Anhalt. Eingesetzt durch die sowjetische Besatzungsmacht, die ein Erstarken Preußens um jeden Preis verhindern wollte. Damals wurde Halle zur Landeshauptstadt, weil es am wenigsten zerstört war. Deshalb hatte nach der Wende Halle den Anspruch, es möchte wieder Landeshauptstadt werden. Magdeburg war zu DDR Zeiten viel bedeutsamer durch die Großbetriebe des Schwermaschinen- und Anlagenbaus. Durch den Industrie-Standort wollte sie Landeshauptstadt werden.
Es gab zudem 15 Kreise, die so genannten Krawallgebiete, die an den zukünftigen Ländergrenzen lagen und nicht mit den Bezirksgrenzen identisch waren. Man muss sich nur vorstellen, der Bezirk Cottbus wurde aus drei Länderteilen zusammengesetzt. Das musste jetzt wieder auseinander dividiert werden.
In der Regierung de Maizière hatte man in einer ersten Entscheidung am 06. Mai 1990 festgelegt, es gibt in diesen 15 Kreisen Volksabstimmungen. Die höchste Form der demokratischen Mitbestimmung. Dabei ging es auch um die historischen Wurzeln der ansässigen Menschen, um Traditionen, Verwaltungszentren und wirtschaftliche Strukturen. So dass man gesagt hat, das müssen die Leute vor Ort selbst entscheiden.
Allerdings fanden im Mai auch die Kommunalwahlen statt und es wurden neue regionale Regierungen demokratisch gewählt. Diese würde man nun durch Volksabstimmungen übergehen. In der Folge wurde deshalb die Volksabstimmung zurückgenommen und zu einer Volksbefragung umgewandelt, ohne es allerdings öffentlich zu kommunizieren. Das war ein riesiger Knackpunkt in der Erfahrung mit Demokratie, denn es gab auch drei Fälle, bei denen dann die Kreistage als Entscheidungsgremium etwas anderes entschieden haben, als es der mehrheitliche Bürgerwille gewesen war.
Laien sollten plötzlich Politik machen, niemand wusste so richtig, wo die Reise hingeht. Was hat Dich besonders überrascht?
Natürlich sagen die Jungpolitiker von damals, es sei ungerecht, von ihnen als Laien, Amateure und so weiter zu sprechen, weil sie ja gestandene Leute jeweils in ihren Berufen waren. Man muss berücksichtigen, dass die Leute, die frisch in die Politik gekommen sind, auch parlamentarische Strukturen und Entscheidungsprozesse erst mal lernen mussten. Wir haben zum Beispiel eine Landrätin oder ehemalige Landrätin im Film, die sagt: "Ich bin erst gewählt worden und dann habe ich zum ersten Mal die Gemeindeordnung gelesen". Oder der Verfassungsrechts-Experte der Ost-SPD für die Volkskammer ist in diese Funktion gewählt worden, nachdem er einen einwöchigen Kurs in Verfassungsrecht absolviert hat. Darüber kann man lächeln, es ist aber ganz normal, weil wir ja bis zum 03. Oktober noch DDR hatten.
Da kannte man keine Verwaltungsvorschriften aus den alten Bundesländern, keine föderalen Ordnungen. Das kann man den neuen Politikern nicht wirklich zum Vorwurf machen. Insofern muss man sagen, ist das eine großartige Leistung, dass überhaupt Länder entstanden sind. Trotzdem muss man natürlich Abstriche machen bei dem Aspekt, welchen Einfluss der Osten sich mit seinen Neuen Ländern in der Bundesrepublik dann tatsächlich sichern konnte.
Oder der Verfassungsrechts-Experte der Ost-SPD für die Volkskammer ist in diese Funktion gewählt worden, nachdem er einen einwöchigen Kurs in Verfassungsrecht absolviert hat. Darüber kann man lächeln, es ist aber ganz normal, weil wir ja bis zum 03. Oktober noch DDR hatten.
Wie schwierig war es, die Protagonisten dazu zu bewegen, "aus dem Nähkästchen zu plaudern"?
Überraschenderweise war es überhaupt nicht kompliziert. Ich habe versucht, die Landespolitik-Ebene relativ weitreichend anzufragen und keine einzige Absage bekommen. Ich habe zum Beispiel die drei ersten Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, die später zum Teil zurück getreten oder gestürzt worden sind, angerufen und um ein Interview gebeten. Und alle drei haben zugesagt. Vielleicht auch, weil es 30 Jahre her ist und alles schon so ein bisschen Patina angesetzt hat.
Und selbst wenn man es nur neun Monate im Amt geschafft hatte, war es trotzdem eine Leistung, an diese Position gekommen zu sein und ein Stück Geschichte mit geschrieben zu haben. Wir haben uns in jedem Bundesland an Orte begeben, wo es in der Anfangszeit gerade bei der Länderwahl einige Schwierigkeiten oder Besonderheiten gab und haben geguckt, wie haben diese Kreise sich entwickelt? Meist war es so, dass die Menschen vor Ort sehr schnell gesagt haben: "Interessantes Projekt, das ist noch gar nicht erzählt worden".
Ich glaube, das ist auch das Besondere dieses Films ist: Es wird ein Kapitel der DDR- oder früher bundesdeutscher Geschichte erzählt, das einfach noch nicht beleuchtet wurde. Das hat es auch für mich sehr interessant gemacht.
Und selbst wenn man es nur neun Monate im Amt geschafft hatte, war es trotzdem eine Leistung, an diese Position gekommen zu sein und ein Stück Geschichte mit geschrieben zu haben.
Was hast Du selbst mitgenommen aus dem Projekt?
Also mitgenommen habe ich aus dem Projekt extrem viel. Gerade die Anfangsjahre waren eine sehr spannende Zeit, in der gerade auf regionaler Ebene wirklich viel möglich war. Das Geld floss in Strömen und die Menschen hatten Lust, ihre Orte hübsch zu machen, sich selbst zu verwirklichen. Ich habe aber auch mitgenommen, dass auf damaliger Politikebene die Leute schon sehr lange brauchten, um ihren Platz in diesem bundesdeutschen Kontext zu finden. Es genügte eben nicht, mit Kohl befreundet zu sein, um langfristig politischen Erfolg zu haben. Was ich aber total irre fand, sind die Leute vor Ort, die mit so viel Witz und mit so viel Charme an die Gestaltung ihrer ganz konkreten Heimat rangingen. Das hat mich total beeindruckt.
Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV:
MDR | "Machtpoker um Mitteldeutschland" | 22:10 Uhr
Erster Teil "Die Stunde der Polit-Amateure": 22. September 2020
Zweiter Teil "Die neuen Bundesländer": 29. September 2020
Dritter Teil "Die Zeit der Strategen": 06. Oktober 2020