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Gleichberechtigung bei Bundeswehr und NVAEmanzipation im deutschen Militär: NVA und Bundeswehr im Vergleich

25. November 2021, 10:01 Uhr

Mit der Wiedervereinigung 1990 wurde nicht nur ein Land geeint, sondern auch zwei Armeen. Doch das Grundgesetz der Bundesrepublik bedachte nur einen Teil der NVA-Angehörigen und machte den Dienst an der Waffe für die Soldatinnen zunächst unmöglich. Der Kampf um die Gleichberechtigung der Frau im deutschen Militär begann erneut und zog sich noch weitere elf Jahre nach der Wiedervereinigung hin. Erst seit 2001 stehen Frauen in der Bundeswehr alle Laufbahnen offen - wie einst zu NVA-Zeiten.

von Laura Meinfelder

Dienst an der Waffe, Uniform am Körper - und das als Frau. Für Streitkräfte der Nationalen Volksarmee war das Normalität. Neben Männern gehörten auch Frauen seit der Gründung 1956 zur Armee der DDR, denn die Gleichberechtigung galt auch in der NVA. Doch diese Selbstverständlichkeit stützte sich auf wacklige Säulen, wie sich in der Retrospektive zeigt.

Gleichberechtigung in der DDR

"Mann und Frau sind gleichberechtigt. Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sind aufgehoben", so steht es in Artikel 7 der DDR-Verfassung vom Oktober 1949 geschrieben. Gleichberechtigung hieß für die SED: die volle Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt. Und dazu gehörte auch der Dienst bei der Nationalen Volksarmee als Arbeitgeber.

Frauen in der NVA

Rund 3.500 Planstellen für "weibliche Uniformträger" wies die Personalverwaltung der NVA in der Mitte der Achtzigerjahre aus. Anders als die Männer durften sie freiwillig eintreten. Den Soldatinnen stand es frei, welche Tätigkeit sie ausüben wollten. So waren Laufbahnen im Nachrichtendienst, den Luftstreitkräften, dem Felddienst oder der Volksmarine als Berufsunteroffizier, Fähnrich oder Unteroffizier auf Zeit möglich. Die meisten Frauen dienten im rückwärtigen, administrativen oder medizinischen Dienst.

In der DDR war es nicht so einfach umzuschulen. Da saß man in seinem Beruf fest, den man gelernt hat. Auch meine Eltern saßen in ihrem Beruf fest.

Maren Dohle | Frühere NVA-Soldatin

Doch warum als Frau zur NVA? "Ich wusste auf jeden Fall: Ich will nicht mein Leben lang als Kellnerin arbeiten. Und in der DDR war es nicht so einfach umzuschulen", erinnert sich Maren Dohle. Sie ist eine der wenigen Frauen, die sowohl in der NVA als auch in der Bundewehr dienten. Heute ist sie Stabsfeldwebel bei der Bundeswehr. Doch ihr militärisches Leben begann bereits 1988, als sie mit dem Zug zur Grundausbildung nach Großröhrsdorf fuhr. Angeworben wurde sie durch einen NVA-Offizier, der ihre Berufsschule besucht hatte: "Je mehr Vorteile der erzählt hat, was man haben kann, wenn man bei der Armee ist, desto hellhöriger bin ich geworden".

Maren Dohles militärische Laufbahn begann schon bei der NVA. Sie wollte der Arbeit als Kellnerin entgehen und entschied sich für eine Karriere bei der NVA. Das Bild zeigt sie bei ihrer Vereidigung im September 1988. Bildrechte: Maren Dohle

Mit 18 Jahren eine eigene Wohnung beziehen und nicht auf die staatliche Zuteilung warten müssen? Verlockend. Ebenso die Möglichkeit, sich beruflich neu orientieren zu können und dabei ein für DDR-Verhältnisse recht hohes Gehalt zu verdienen. Für Maren Dohle und andere Frauen war das Berufsmilitär eine Möglichkeit, Freiheiten zu leben, die sie in der DDR so nicht hatten.

Ich habe nur 200 Mark weniger verdient als ein Facharbeiter, der zu diesem Zeitpunkt schon 20 Jahre im Dreischichtsystem in der Fabrik gearbeitet hat.

Maren Dohle | Frühere NVA-Soldatin

Maren Dohle mit ihrer Familie kurz vor ihrer Vereidigung 1988. Bildrechte: Maren Dohle

In der Bundesrepublik war die Sitation eine andere. Da sie bei der Gleichstellung der Frau im Vergleich zur DDR Aufholbedarf hatte, verwundert es kaum, dass Frauen dort keinen Dienst an der Waffe leisten durften. Obwohl es schon in den 60er- und 70er-Jahren Forderungen für die Öffnung der Bundeswehr für Frauen gab, geschah nicht viel. Nur medizinische Laufbahnen standen seit 1975 Frauen offen. Doch mit der Annäherung beider deutscher Staaten 1990 zeichnete sich ab: Es wird keine zwei Armeen geben.

Nationale Volksarmee (NVA)

Die Nationale Volksarmee (NVA) wurde am 1. März 1956 gegründet. Durch die Einführung der Wehrpflicht 1962 wachsen die DDR-Streitkräfte auf über 170.000 Soldaten und Soldatinnen an. Die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 ist auch das Ende für die NVA, denn die Bundeswehr wird die Armee des wiedervereinigten Landes. Nur rund 51.000 NVA-Soldaten sind nach der Auflösung in die Bundeswehr übernommen wurden. Für Frauen gab es damals aber keine Möglichkeit, einen Dienst an der Waffe zu leisten. Das Grundgesetz sah das nicht vor, somit konnten Frauen nur im zivilen oder sanitären Dienst übernommen werden.

Die DDR löst sich auf, der Arbeitgeber NVA ebenso

Als die Gerüchteküche los ging, war NVA-Soldatin Maren Dohle erst kurze Zeit bei ihrem neuen Einsatzort, dem Jagdfliegergeschwader 8 in Marxwalde bei Berlin: "Es wird keine zwei Armeen geben, sie werden verschmelzen und es wird nicht jeder das Glück haben, übernommen zu werden", erinnert sie sich. Aus den Spekulationen wurde Gewissheit: Von den 170.000 Angehörigen der NVA wurden nach dem 3. Oktober 1990 nur rund 51.000 von der Bundeswehr übernommen. Von den rund 2.000 NVA-Soldatinnen hatte keine einzige das Glück.

Man hat uns gesagt, dass man uns Frauen auf keinen Fall übernehmen kann, egal wie qualifiziert wir sind, weil das das Grundgesetz nicht zulässt. Frauen dürften keinen Dienst an der Waffe tun.

Maren Dohle | über ihre Zeit in der NVA

Von der DDR-Regierung kam keine Unterstützung für die Frauen. In kaum einer Tagung der Volkskammer wurde ihre Lage besprochen. Von der einstigen Gleichstellung der Frau blieb im Rausch der Einheit keine Spur. Rainer Eppelmann, DDR-Minister für Abrüstung und Verteidigung, sagte in einem Interview in der Aktuellen Kamera knapp:

Wenn ich an die 2.000 weiblichen Uniformträger denke: Denen wird nichts anderes übrig bleiben, als ihre Uniform auszuziehen, da es nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik nur im medizinischen Bereich - und da auch nur als Ärztinnen - uniformierte Frauen geben darf.

Rainer Eppelmann, DDR-Minister für Abrüstung und Verteidigung | Aktuelle Kamera, September 1990

Weitere Worte über die Lage der Frauen wurden nicht verloren. Hilfe bei der zivilen Eingliederung? Ebenso Fehlanzeige. Auch Maren Dohle musste sich nach einer Lösung umsehen. Für sie ging es zunächst zurück in den verhassten Kellnerberuf, dem sie mit dem Militärdienst entgehen wollte. Für ein paar Jahre arrangierte sie sich damit. Doch sie dachte oft zurück an ihre Zeit bei der NVA: "Das militärische Leben, obwohl ich es nicht lange hatte, hat mir schon gefehlt. Vor allem die Kameradschaft".

Reset der Emanzipation: Dienst bei der Bundeswehr

1991 öffnete sich die Bundeswehr auch für Frauen, doch nur im Sanitäts- oder Militärmusikdienst. Für viele ehemalige NVA-Soldatinnen war diese Laufbahn unattraktiv, denn sie hätten für einen völlig neuen Beruf umschulen müssen. "Wenn sie das gewollt hätten, dann hätten sie das auch in der DDR schon lernen können. Das ist ein Grund, weshalb nicht viele Frauen in die Bundeswehr gegangen sind, als sie dann durften", so Dohle. Auch sie haderte zunächst mit der Entscheidung sich bei der Bundeswehr zu bewerben. Doch schließlich wurde sie wieder Soldatin - auch wenn dies nur über den Sanitätsdienst möglich war.

Auch wenn es nur über den Sanitätsdienst möglich war, ging Maren Dohle zur Bundeswehr. Aufnahme: 1997. Bildrechte: Maren Dohle

Neben dem beruflichen Neustart auch die Stunde Null der Gleichberechtigung innerhalb der Kompanie. Für die Soldaten der Bundeswehr gab es bis dato keine Frauen in Uniform. Von der einstigen Gleichstellung, wie sie Dohle aus NVA-Zeiten kannte, war 1994 wenig zu spüren. Die Akzeptanz musste sie sich erarbeiten: Weil sie "Ossi" war, weil sie eine Frau war und weil sie eine Uniform trug.

'Da hast du aber schön die Fronten gewechselt'. Das waren so Sprüche von Leuten, die nicht verstanden haben, was es bedeutet, wenn sich ein Land auflöst. Und natürlich der Arbeitgeber gleich mit.

Maren Dohle

Doch mit der Zeit wurden die Sprüche weniger. Die Normalität, die sie aus ihrer Zeit in der Grundausbildung und Marxwalde kannte, kehrte zurück. "Damals, 1994, waren wir drei Frauen und 60 Männer", so Dohle "Und heute: 30 Männer, 30 Frauen. Etwas völlig Normales".

Wir haben den Weg für die Frauen bereitet, die nach uns kamen. So wie die Frauen in der NVA den Weg für uns gemacht haben.

Maren Dohle

Bundeswehrsoldatin Maren Dohle bei einer Übung zu Verwundetenversorgung. Aufnahme: 1998. Bildrechte: Maren Dohle

Mit der Vereinigung beider Armeen wurde auch die Emanzipation zurückgesetzt. Erst seit 2001 stehen Frauen in der Bundeswehr alle Laufbahnen offen - also auch das Fliegen von Kampfflugzeugen oder das Kommandieren von Kriegsschiffen. Elf Jahre hat es gedauert, bis Frauen innerhalb der Bundeswehr den Stand erreichten, den die Soldatinnen in der NVA gewohnt waren. "Letzten Endes haben sich Frauen in der Geschichte viele Dinge erkämpfen müssen, wie Wahlrecht oder den Führerschein ohne die Zustimmung des Mannes machen zu können. Und es war ein weiteres Kapitel, dass sich Frauen die Freiheit der Berufswahl erkämpfen mussten – auch bei der Bundeswehr", sagt Maren Dohle.

In eigener SacheIn unserem TV-Magazin "MDR Zeitreise" haben wir am 22. November 2020 die Sportlerin und Soldatin Susi Erdmann vorgestellt, die ihre Laufbahn bei der NVA begann und später in der Bundeswehr diente. Am Ende des Filmbeitrags wurde die Vermutung aufgestellt: "Susi Erdmann ist wohl die einzige Frau, die in beiden deutschen Armeen in Uniform gedient hat." Dies hat sich als falsch erwiesen. Nach der Sendung meldete sich bei uns Maren Dohle, die ebenfalls in beiden Armeen diente. Ihre Erfahrungen werden in diesem Artikel dargestellt.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | Das Ende der NVA - Wie die Bundeswehr die DDR-Volksarmee übernahm | 22. November 2020 | 23:00 Uhr