1990 nach Kuba: Wiedervereinigung via Weltempfänger erlebt

10. Juni 2011, 09:29 Uhr

Katrin Wangemann, Spanisch-Studentin am Dolmetscherinstitut der Karl-Marx-Universität Leipzig, ging im September 1990 für zehn Monate zum Studium an die Universität in der kubanischen Hauptstadt Havanna. Wir haben sie nach ihren Erinnerungen befragt.

Als Sie zum Studium nach Kuba geflogen sind, war die DDR gerade in Auflösung begriffen. Wären Sie nicht lieber zu Hause geblieben, um zu sehen, was in dieser spannenden Zeit in Leipzig passiert?

Katrin Wangemann: Viele haben uns damals für verrückt erklärt: Jetzt steht euch die Welt offen und ihr geht ausgerechnet nach Kuba. Aber den Aufenthalt hatten wir einfach sicher. Flug, Unterkunft, Stipendium - das war alles organisiert und finanziell geregelt. Und hier wusste man ja auch nicht, wie sich alles entwickelt, deshalb habe ich eigentlich gar nicht lange gezögert.

In der DDR war man gerade für Reise- und Meinungsfreiheit auf die Straße gegangen und hatte erste Erfahrung mit der Demokratie gemacht. Kuba dagegen war eine der letzten Bastionen des Sozialismus. Wie haben Sie den kubanischen Sozialismus erlebt?

Das war schon skurril. Man fühlte sich in die sozialistische Steinzeit zurückversetzt. Die Stadt war voller Propaganda. Überall hingen Parolen wie "Socialsmo o muerte" (Sozialismus oder Tod) oder "Fidel para siempre" (Fiedel für immer). In Kuba habe ich noch einmal den Sozialismus in einer krassen Form erlebt und erfahren, was Propaganda und Diktatur für das Leben, den Alltag bedeuten. So hatten wir permanent das Gefühl überwacht zu werden. Allgegenwärtig waren die Aktivitäten der so genannten "Komitees zur Verteidigung der Revolution" (CDR). Deren Mitglieder führten z.B. Listen über die Bewohner eines Viertels und deren Lebensgewohnheiten. Wer sich nicht 'revolutionskonform' verhielt, hatte mit Nachteilen zu rechnen. Auch wir wurden, wenn wir mit Kubanern unterwegs waren, häufiger auf der Straße angesprochen und mussten unsere Ausweise zeigen.

Das klingt ja doch ein bisschen beängstigend!

Aber bei der Wärme, der Musik und der Lebensfreude der Kubaner ließ sich der Sozialismus einfach leichter ertragen. Die Kubaner nahmen alles einfach viel gelassener hin. Man brauchte nur den Salsa-Rhythmen in der Stadt folgen und konnte sicher sein, auch am helllichten Tag auf tanzende Menschen zu stoßen.
Es gab aber auch Momente, in denen wir uns Sorgen machten. Schließlich hatte man uns zu Beginn unseres Aufenthaltes die Pässe abgenommen, die DDR-Botschaft fühlte sich nicht mehr, die BRD-Botschaft noch nicht zuständig.

Wie haben die Kubaner die Studenten aus dem "abtrünnigen" Bruderland mit den Devisen im Portmonee aufgenommen – gab es eher Sympathie für die friedliche Revolution in der DDR oder eher Ablehnung?

Das war gemischt zwischen "Herzlichen Glückwunsch, ihr habt’s geschafft" und "Ihr Armen, jetzt werdet ihr vom Kapitalismus geschluckt". Die D-Mark – die Währungsunion war bereits vollzogen - gab uns damals schon eine gewisse Sicherheit. Meine Zeit in Kuba fiel ja in die "Periodo especial en tiempo de paz", zu Deutsch "Sonderperiode in Friedenszeiten", also den Beginn der schweren Wirtschaftskrise in Kuba. Durch die allmähliche Auflösung des Ostblocks bröckelten auch die Wirtschaftsabkommen mit den RGW-Staaten und Kuba geriet in extreme Versorgungsengpässe bei Öl, Benzin und auch Lebensmitteln. Deshalb war es auch ganz schwierig mit dem öffentlichen Nahverkehr. Wenn es Benzin gab, fuhren die Busse, wenn nicht, dann eben nicht. Wir haben damals einfach viel Zeit damit verbracht, zu warten und uns mit Lebensmitteln zu versorgen, wir hatten ja keine Lebensmittelmarken wie die Kubaner. Ohne die D-Mark wäre das weitaus schwieriger gewesen.

Und ganz konkret, wie war das Studium an der Universität Havanna organisiert?

Alles begann schon damit, dass uns am Flughafen keiner abholte und auch gerade Stromausfall war - und das bei 35 Grad Wärme und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Da standen wir nun, sechs junge Studentinnen aus Leipzig, die gerade mal ein paar Brocken Spanisch sprachen. Zum Glück trafen wir auf dem Flughafen den Militärattaché der DDR, der gerade seine Schwiegermutter zum Flughafen gebracht hatte. Der nahm uns mit in die Botschaft der DDR und kümmerte sich darum, dass uns von der Uni jemand in Empfang nahm. Die erste Nacht in Havanna haben wir in einer schäbigen Abstellkammer im Studentenwohnheim verbracht. An der Uni war es ähnlich, anfangs fühlte sich erstmal keiner zuständig für uns. Die Verantwortlichen in der DDR hatten gerade andere Sorgen und in Kuba wusste man nicht, ob die alten Verträge noch gültig waren. Das renkte sich später alles ein, aber alles dauerte … So haben wir am Ende nicht nur viel Spanisch gelernt, sondern auch, mit etwas mehr Gelassenheit durchs Leben zu gehen.

Wie sind Sie in Leipzig auf Ihren Auslandsaufenthalt vorbereitet wurden?

Wir hatten unser abgeschlossenes Spanisch-Grundstudium in der Tasche, dazu ein bisschen Landeskundeunterricht und als Kinder des DDR-Sozialismus wussten wir natürlich alles über die Revolution. Kubaner in Leipzig hatten uns außerdem den Rat gegeben, Feinstrumpfhosen, Seife und Kaugummi zum Tauschen mitzunehmen. Das war auch hilfreich. Aber eigentlich sind wir losgefahren wie die Frisöre.

Während Sie in Kuba waren, kam es schließlich zur Wiedervereinigung. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?

Wir haben uns schick angezogen und bei einer Flasche Sekt die Live-Übertragung der Einheitsfeier am Brandenburger Tor über die Deutsche Welle auf meinem Weltempfänger angehört. Den Weltempfänger hatte ich mir glücklicherweise nach der Währungsreform von meinem ersten Westgeld gekauft. Auch die Kubaner kamen vorbei und haben uns beglückwünscht. Was diese Einheit für uns bedeutet, konnten wir damals nicht sagen. Aber diese kleine Feier im Wohnheim war doch sehr bewegend.