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Bildrechte: imago/Ulrich Hässler

Die erste freie Wahl in der DDRDie Volkskammerwahl von 1990

18. März 2020, 10:35 Uhr

Der 18. März 1990 war eine Zäsur. Der Tag markierte einerseits den Endpunkt der Friedlichen Revolution in der DDR, andererseits einen Meilenstein auf dem Weg zur Deutschen Einheit. Denn in der an diesem Tag gewählten Volkskammer hatten die Befürworter der schnellen Wiedervereinigung die eindeutige Mehrheit. Am 5. April 1990 trat das letzte Parlament der DDR zum ersten Mal zusammen.

Schon die Entscheidung für den Wahltermin zeigt die Dramatik der Situation: Ursprünglich war der 6. Mai geplant - ein Jahr also nach der Kommunalwahl in der DDR, bei der Bürgerrechtler erstmals Wahlfälschungen nachweisen konnten. Doch Ende Januar einigten sich die Modrow-Regierung und die am Runden Tisch vertretenen Gruppierungen auf einen vorgezogenen Termin am 18. März. Man wollte das lähmende Machtvakuum möglichst schnell durch eine Regierung ersetzen, die durch freie Wahlen legitimiert war. Kaum stand der Termin fest, entfaltete sich ein intensiv geführter Wahlkampf, für und gegen eine schnelle Wiedervereinigung.

Wussten Sie schon ...?

..., dass es im Palast der Republik als Sitz der DDR-Volkskammer keine Arbeitszimmer für die Abgeordneten gab? Lediglich für den Präsidenten war eines vorgesehen. Für Fraktionen und Ausschüsse gab es beiderseits des Plenarsaals nur sechs teilbare Räume, für eine intensive parlamentarische Arbeit völlig unzureichend, wie die erste frei gewählte Volkskammer 1990 schnell feststellte.

"Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört"

Zunächst waren es die DDR-Sozialdemokraten SDP, die sich der Hilfe aus dem Westen versicherten. Die Partei um Ibrahim Böhme und Markus Meckel bestand zwar auf einer Eigenständigkeit (daher auch der Unterschied im Kürzel), ließ sich aber gern von der großen Schwester aus dem Westen assistieren. Die Genossen aus Westdeutschland halfen, Organisationsstrukturen aufzubauen und gaben nützliche Ratschläge, wie die Dominanz der bestens strukturierten und politikerfahrenen SED-PDS zu überwinden wäre.

Die ehemalige DDR-Staatspartei kämpfte zwar mit massivem Mitgliederschwund, hatte aber noch immer ca. 700.000 mehr oder weniger treue Anhänger und mit Gregor Gysi und Hans Modrow reformwillige und in den Augen vieler auch vertrauenswürdige neue Vorreiter. Auf dem SDP-Parteitag sprach am 23. Februar SPD-Kanzlerkandidat der SPD, Oskar Lafontaine. Er bremste die Forderungen nach einer schnellen Währungsunion. Und auch das Thema Deutsche Einheit wollte Lafontaine langsam angehen: "Sozialdemokraten können nur eine deutsche Einheit als Vorstufe zu einer europäischen Einheit befürworten." Auf diesem Parteitag wurde Willy Brandt zum Ehrenvorsitzenden der Ost-SPD gewählt. Damit hatten die Sozialdemokraten ein prominentes Zugpferd für den Wahlkampf - und tatsächlich sahen Beobachter die SPD schon als Wahlsieger. Umfragen ergaben im Februar 1990, dass mehr als 54 Prozent der DDR-Bürger sozialdemokratisch wählen wollten.

Rote Blockflöten mit schwarzem Anstrich?

Die West-CDU tat sich schwerer damit, durch die direkte Unterstützung einer Partei in den Wahlkampf einzugreifen. Ihr Problem: Die Schwesterpartei im Osten war als ehemalige Blockpartei und Steigbügelhalterin der SED belastet. Aber als mit dem Demokratischen Aufbruch und der DSU zwei neue unbelastete Gruppierungen zusammen mit der Ost-CDU ein Wahlbündnis eingingen, schwanden diese Hemmungen. Und so unterstütze die CDU den Wahlkampf dieser "Allianz für Deutschland" mit 4,5 Millionen Mark.

Das große Plus der Allianz bestand in ihrem "Kanzlerbonus". Helmut Kohl hatte sich schon im Dezember 1989 bei seinem Besuch in Dresden als Befürworter der Deutschen Einheit zu erkennen gegeben - auf ihn richteten sich die Hoffnungen vieler DDR-Bürger. Die konservative Allianz konnte sich im Wahlkampf in Szene setzen als die Kraft, die am konsequentesten die alten SED-Strukturen und Seilschaften zerschlagen würde, die sich am klarsten zu einer schnellen Wiedervereinigung bekannte und die mit dem starken Kanzler aus dem Westen auch den notwendigen Rückhalt dafür haben würde.

Wahl-"Kampf"

Am 14. März beklagten sich Mitglieder vom "Unabhängigen Kontakttelefon" – einer Vereinigung, die sich gegen den Wahlbetrug vom Mai 1989 eingesetzt hatte – während einer Pressekonferenz über Zwischenfälle im Wahlkampf. Eine Reporterin der "Aktuellen Kamera" berichtete:

"Mancher nahm ihn gar wörtlich: den Kampf um ein Wahlmandat. Der Ausfälle gab es genug, die Fairness ließ zu wünschen übrig. Das Unabhängige Kontakttelefon, vor einem Jahr im Mai noch eifriger Registrator von Wahlbetrug, muss nun feststellen, die Kultur blieb auf der Strecke. Überklebte Plakate, Verunglimpfungen der Parteien, einzelner Personen, Kinder, die als Werber arbeiten und immer wieder Beschimpfungen, oft weit unter der Gürtellinie angesiedelt. So wurde für die Allianz für Deutschland geworben, indem man vor dem 'SED-Gauleiter Modrow' warnte, und auch Ibrahim Böhme von der SPD bekam die entsprechende Charakteristik mit der demagogischen Frage: 'Wollen Sie, dass ein alternativer Marxist DDR-Ministerpräsident wird?' Zerschlagene Fenster und Buttersäure gab es in CDU- und DA-Büros und beim Neuen Forum. Gegendemonstrationen sorgten oft für Gewalt. In Berlin registrierte die Polizei allein 18 kriminelle Vorfälle. Und es gab zwei Wahlkämpfe: der von DDR-Bürgern und jener von bundesdeutschen Politikern."

Ein Triumph für die Befürworter der Einheit

93,4 Prozent der wahlberechtigten Bürger gaben am 18. März 1990 ihre Stimme ab. Es handelte sich damit um die höchste Wahlbeteiligung, die bei demokratischen Parlamentswahlen in Deutschland jemals gemessen wurde. 48,15 Prozent der Wähler stimmten für die Parteien der Allianz für Deutschland, 21,9 Prozent für die SPD, 16,4 Prozent für die PDS und 5,3 Prozent für die Freien Demokraten.

Über dieses Thema berichtete MDR ZEITREISE auch im TV:15.03.2020 | 22:25 Uhr