Nuklear-Pläne im All Sowjetunion wollte eine Atombombe auf dem Mond zünden

20. Juli 2019, 09:03 Uhr

1957: Amerika im Schock-Zustand. Die Sowjetunion will den Mond mit einer Atombombe beschießen, so das Gerücht. Nun belegt ein neu aufgetauchtes Geheim-Dokument, dass es diese Pläne tatsächlich gab.

Eine Atombombe auf dem Mond: Im Herbst 1957 machen Gerüchte die Runde, dass die Kreml-Führung den Mond im Visier habe und dort eine Atombombe zünden wolle. Erst wenige Wochen zuvor haben die Sowjets den ersten Sputnik-Satelliten in die Erdumlaufbahn geschossen und damit die Welt in Erstaunen versetzt.

Die Schlagzeile "They'll Bomb Moon" ("Sie werden den Mond bombardieren") vom 1. November 1957 schürt nun neue Ängste um das atomare Schreckgespenst und liegt durchaus im Zeitgeist. Die Welt ist in Unruhe, Amerika im Schock-Zustand. Mit den Gerüchten um den Atomtest auf dem Mond, schlägt die Sowjetunion ein völlig neues Kapitel auf, im gefährlichen Rüstungswettlauf mit den USA.

"Gleichgewicht des Schreckens" Bis 1949 haben die USA ein regelrechtes Atomwaffen-Monopol. Doch auch die Sowjets sind in dieser Zeit nicht untätig. Im August 1949 führen sie ihren ersten Atomwaffen-Test durch und zünden einen Sprengsatz. Und sie sind nicht die Einzigen: auch Großbritannien, Frankreich und auch China forschen damals an der Schreckenswaffe.

Atomare Muskelspiele auf dem Mond

Recherchen des Geschichtsmagazins MDR ZEITREISE belegen nun erstmalig: die atomaren Pläne im Weltraum gab es tatsächlich. Auf höchster Regierungsebene haben die Sowjets geplant, auf dem Mond eine atomare Bombe zu zünden. Das geht aus einem Geheim-Befehl vom 6. September 1958 aus dem russischen Staatsarchiv hervor.

Damit ist nun offiziell klar: Hinter den Spekulationen stand ein konkreter Plan der Sowjetunion.

Wir können also ganz eindeutig sagen, es hat eine Sitzung beim Politbüro stattgefunden, auf der beschlossen wurde, wir bringen einen nuklearen Sprengsatz zum Mond, lassen ihn dort zünden.

Dr. Matthias Uhl Deutsches Historisches Institut Moskau

Dem Befehl zufolge sollten zwei verschiedene Bomben entwickelt werden, eine Wasserstoff- und eine Atombombe. Eine davon wollte man dann zum Mond bringen und dort explodieren lassen. Bei einer möglichen Explosion hätte es laut des Militärhistorikers Alexander Jazakow eine seismische Welle gegeben sowie einen Auswurf von Mondgestein über mehrere Kilometer.

Der Kreml rekrutiert die besten Wissenschaftler

Für dieses nukleare Muskelspiel werden die besten Leute der Sowjetunion eingeplant. Chefkonstrukteur Sergei Koroljow soll seine Sputnik-Super-Rakete so nachrüsten, sodass sie die 300.000 Kilometer bis zum Mond schafft. Noch nie war ein solcher Flug versucht worden. Einer der Stars der Atom-Physik, Juli Chariton, soll neue nukleare Sprengköpfe konstruieren – mit der Sprengkraft der Hiroshima-Bombe. Schon im Sommer 1959 soll die Kernladung auf dem Mond explodieren.

Atomzeitalter Bis 1963 führen die Sowjetunion und die USA weit mehr als 500 oberirdische Atomtests durch. Auch durch die Proteste der Bevölkerung wegen der rücksichtslosen, radioaktiven Verseuchung werden die USA, Großbritannien und die Sowjetunion zu einem "begrenzten Teststoppvertrag (LTBT)" gezwungen. Dieser Vertrag verbietet Nukleartests unter Wasser, in der Atmosphäre und sogar im Weltraum. Unter der Erde werden die Tests allerdings fortgesetzt – zur Entwicklung neuer Sprengköpfe. Bis Mitte der 80er Jahre produzieren die USA und die Sowjetunion etwa 70.000 Sprengköpfe, die zum großen Teil auf Raketen, Bomben und U-Booten stationiert sind. Ein Atomkrieg, der alles Leben auf der Erde auslöschen könnte, ist zu diesem Zeitpunkt also durchaus möglich.

Doch was steckt eigentlich hinter dem tollkühnen Projekt? "Das Ziel der sowjetischen Regierung war damals die Stärke des Staates zu demonstrieren, aber auch die Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus. Das ist in allen Handlungen spürbar und sichtbar gewesen", sagt der Moskauer Militärhistoriker Jazakow.

Überlegungen der Amerikaner

Auch in den USA gibt es zu dieser Zeit Überlegungen für Atombombentests auf dem Mond. Die wurden jedoch nicht soweit forciert wie vom Kreml. US-Historiker des "U.S. Space And Rocket Centers" in Washington sprechen beispielsweise von Gedankenspielen ohne jede praktische Konsequenz. Die Aktenlage ist jedoch dürftig. Einen Hinweis auf mögliche Pläne liefert eine amerikanische Studie aus dem Jahr 1959, die in Auszügen zugänglich ist. Darin werden die möglichen physikalischen Effekte einer atomaren Explosion auf dem Mond untersucht. Alles weitere ist allerdings noch unter Verschluss.

Machtdemonstration mit Nuklear-Show

Schon bei den irdischen Atombombentests ging es immer auch um Superlative - TNT-Rekorde, gigantische Explosionen, kilometerhohe Rauch-Pilze. Doch wie würde so etwas auf dem Mond aussehen? Selbst ein riesiger Staub-Pilz wie bei der Hiroshima-Bombe wäre aus der Entfernung von hunderttausenden Kilometern wohl kaum erkennbar. Deswegen war in Punkt vier des Befehls auch die Bereitstellung von Spezialtechnik festgehalten: 24 Bahnverfolgungsgeräte und vier Spezialteleskope zur Dokumentation.

Einen Lichtblitz hätte es zweifellos gegeben. Eine radioaktive Verseuchung hätte natürlich auch an der entsprechenden Stelle auf dem Mond stattgefunden.

Alexander Jazakow Militärhistoriker aus Moskau

Doch zur atomaren Mond-Show kommt es nicht. Zwei Testflüge Richtung Mond scheitern 1958. Die technologischen Probleme und die Angst vor einer atomaren Katastrophe beim Start einer nuklear bestückten Rakete waren wohl zu groß. Das sogenannte Projekt E3 wird eingestellt. Warum genau – das ist bis heute ein Staatsgeheimnis – verborgen in russischen Archiven. 

Mehr zur exklusiven Recherche im MDR ZEITREISE Magazin: MDR FERNSEHEN | 07.07.2019 | 22:00 Uhr