Innerdeutscher Gipfel 1981 Ein Kanzler zu Besuch beim Staatsratsvorsitzenden

04. Januar 2022, 11:35 Uhr

Der Besuch Helmut Schmidt bei Erich Honecker 1981 fand in einer schwierigen politischen Lage statt. Der NATO-Doppelbeschluss einerseits und die Verhängung des Kriegsrechts in Polen andererseits steigerten die Anspannung im Verhältnis von Ost und West. Dennoch war der Besuch nicht unwichtig – und ein atmosphärischer Meilenstein.

Nach dem Ende der "Tauwetter-Periode" unter Chruschtschow war die Sowjetunion unter Breschnjew zu einer Politik der Stärke zurückgekehrt. In den 1970er-Jahren versuchte sie,  ihre militärische Position auszubauen und modernisierte die Rote Armee. Auf großen Unmut bei der NATO stieß vor allem die Stationierung von russischen Mittelstreckenraketen in Osteuropa, auch in der DDR.  Die russischen SS-20 waren treffgenauer als die bisherigen Fernwaffen, hatten eine größere Reichweite und konnten vor allem mit Atomsprengköpfen bestückt werden. Als westliche Reaktion auf diese Aufrüstung folgte 1979 der NATO-Doppelbeschluss: Er beinhaltete das Angebot, über Rüstungsbegrenzung zu verhandeln; zugleich aber die Drohung, auch auf westlicher Seite atomare Mittelstreckenraketen zu stationieren. Der NATO-Doppelbeschluss wurde von der sowjetischen Führung als "Ultimatum" wahrgenommen und als Absage an die Entspannungspolitik interpretiert. Als dann sowjetische Truppen 1979 in Afghanistan einmarschierten, um dort die kommunistische Partei zu unterstützen, begann sich das Verhältnis zwischen Ost und West erheblich zu verschlechtern. Es begann eine neue Phase der Aufrüstung, die auch das Verhältnis der beiden deutschen Staaten belastete.

Krisenherd Polen

Zur Vorgeschichte des Schmidt-Besuches gehört auch, dass im Sommer 1980 in Polen die Solidarność entstanden war – die erste von den Kommunisten unabhängige Gewerkschaft in einem Ostblockland. Mit mehr als 9 Millionen Mitgliedern war sie schnell eine Macht - die ganz offen den Herrschaftsanspruch der KP in Frage stellte. Anlässlich der großen Streiks auf der Danziger Lenin-Werft stand nun 1981 zu befürchten, dass die Sowjetunion und ihre Verbündeten in Polen einmarschieren würden. Helmut Schmidt in einem "Zeit"-Artikel: "Ich hatte in Erinnerung an die Beteiligung der DDR an der militärischen Intervention in der Tschechoslowakei - damals noch unter Ulbricht - Honecker dringend von einer Teilnahme abgeraten, war aber ohne klare Antwort geblieben. Deshalb hatte ich meinen Besuch schon zweimal verschoben."

Aus Sicht Honeckers weckte der Kanzler-Besuch alte Ängste: 1970 war es beim Besuch von Willy Brandt in Erfurt zu spontanen Zustimmungen für den Bundeskanzler gekommen. Die "Willy, Willy"–Rufe am Hotel hatten eben nicht dem SED-Vertreter Willy Stoph gegolten, sondern dem SPD-Mann aus dem Westen. "Ein zweites Erfurt muss verhindert werden" war daher die Devise für den Kanzler-Besuch 1981. 

"Nicht verhandelbar"

Am 9. Dezember 1981 kam es zu einem Vorgespräch zwischen Honeckers Emissär Wolfgang Vogel und Bundeskanzler Schmidt, bei dem dieser signalisierte, dass er in bestimmten Punkten der DDR entgegenkommen könne, beispielsweise bei der Elbe-Grenze. Die DDR strebte einen Grenzverlauf in der Mitte des Flusses an, während die Bundesrepublik das nordöstliche Ufer als Grenze ansah. Außerdem sicherte Schmidt Honecker zu, sich um eine Schließung der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter, in der seit 1961 Beweise für Verbrechen des SED-Regimes gesammelt wurden, zu bemühen. Da es sich dabei um eine Einrichtung der Länder handelte, war sein Spielraum begrenzt.

Allerdings gab es in den Kernfragen keinen Verhandlungsspielraum. Die von Honecker geforderte Umwandlung der Ständigen Vertretungen in Botschaften und die Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft waren für die westliche Seite nicht verhandelbar. Schon alleine deswegen nicht, weil Helmut Schmidt sich durch seinen Amtseid dem Grundgesetz und damit der Wiederherstellung der Einheit verpflichtet sah.

Dispo für das Feindesland

Der Besuch des Kanzlers dauerte vom 11. bis zum 13. Dezember 1981. Im allgemeiner Erinnerung ist vor allem Schmidts Besuch in Güstrow – die Stadt war von der Stasi abgeriegelt worden und wurde für die Stunden des Schmidt-Besuches regelrecht in ein "Potjomkinsches Dorf" verwandelt. Die eigentlichen politischen Gespräche aber fanden davor im Schloss Hubertusstock statt, am Werbellinsee, in der Moränenlandschaft nördlich Berlins.

Die wirtschaftliche Lage sowohl der Bundesrepublik als auch der DDR war zu Beginn der 80er Jahre problematisch. 1981 etwa lag die Nettoauslandsverschuldung der DDR im Westen bei gut 22 Milliarden Euro, was zu einer Abwertung des Landes auf den Finanzmärkten führte. In den Gesprächen setzte sich Schmidt deswegen für einen Beitritt der DDR zum Internationalen Währungsfond (IWF) ein. Honecker war davon überzeugt, dass die Verschuldung in den nächsten fünf Jahren abgebaut werden könnte. Schmidt über Honecker: "Er glaubte in vollem Ernst, die DDR habe wirtschaftlich "Weltklasseniveau" erreicht und gehöre zu den bedeutendsten Industrienationen der Welt. Zugleich war er aber bekümmert über den geringen Wechselkurs der Mark (Ost) und über die Devisennotlage der DDR. Der Wunsch nach weiteren westlichen Devisenkrediten kam immer wieder zur Sprache. Im Unterbewusstsein, so habe ich empfunden, hatte er jedoch einen Minderwertigkeitskomplex - nämlich weil er uns immer wieder die Freiheit und die Ausreise von Menschen gegen DM (West) verkaufte, die zu Unrecht in seinen Gefängnissen einsaßen, und wohl auch, weil er wusste, dass seine Formel von der DDR als 'sozialistische Nation' Unfug war und dass seine Regierung auf der militärischen Präsenz sowjetischer Truppen beruhte, nicht auf der Zustimmung der Bürger der DDR."

Auch wenn die DDR dem IWF nicht beitrat, wurde zumindest eine sechsmonatige Verlängerung des zinslosen Überziehungskredits "Swing" vereinbart und so der finanzielle Spielraum der DDR für ein paar Monate erweitert. Die erhoffte Abschaffung des gerade erst von 13 auf 25 DM je Tag erhöhten Zwangsumtausches für westliche Besucher der DDR konnte die Delegation des Kanzlers nicht erreichen.

Signalwirkung jenseits konkreter Ergebnisse

Auf den ersten Blick sah es so aus, als haben die 15-stündigen Gespräche zu wenig konkreten Ergebnissen geführt. In Grundsatzfragen wurden sich die DDR und die Bundesrepublik im Dezember 1981 wieder einmal nicht einig. Und mit Blick auf das just am dritten Besuchstag in Polen eingeführte Kriegsrecht waren Schmidt und Honecker ähnlich zurückhaltend in ihren Einschätzungen und Kommentaren. Schmidt sagte in seinem Schlusswort: Polen sei nur ein Mosaikstein im Bild der schwierigen politischen Lage in Europa und es bestünde die Gefahr, "dass sich aus Polen Entwicklungen ergeben, die uns beide stören und in Mitleidenschaft ziehen können". Umso wichtiger sei es, "dass sich die obersten Repräsentanten der beiden deutschen Staaten hier in einer solchen Atmosphäre getroffen haben".

Honecker dagegen dürfte froh gewesen sein, den Kanzler-Besuch unbeschadet überstanden zu haben. Der Stasi war es mit ihrem Großaufgebot während der Besuchstage tatsächlich gelungen, "ein zweites Erfurt" zu verhindern.