Als Deutscher unter Deutschen: Erich Honecker in der BRD

07. September 2017, 17:51 Uhr

Im September 1987 ist er das Topthema beiderseits der innerdeutschen Grenze - der erste und letztlich einzige Besuch von DDR-Staatschef Erich Honecker in der BRD. Es ist ein delikates Ereignis mit langer Vorgeschichte und ganz speziellem Prozedere …

Der rote Teppich ist etwas kürzer, die Motorradeskorte kleiner und Salutschüsse gibt es gar nicht - als DDR-Staatschef Erich Honecker am 7. September 1987 von Bundeskanzler Helmut Kohl in Bonn empfangen wird, ist alles etwas anders – der spezielle Gast sorgt für spezielle Maßnahmen. Es ist der erste und einzige Besuch eines ostdeutschen Staatsoberhaupts in der BRD vor der Wende – und während der nächsten fünf Tage oft genug ein Eiertanz.

Lange Vorgeschichte

Honeckers "Arbeitsbesuch" im anderen Deutschland hat eine lange Vorgeschichte. Im Zuge der "Neuen Ostpolitik" der BRD mit dem Ziel der Verständigung war es 1970 zu einem ersten deutsch-deutschen Gipfeltreffen zwischen Kanzler Willy Brandt und DDR-Regierungschef Willi Stoph in Erfurt und Kassel gekommen. Ende 1981 hatte dann Honecker Brandts Nachfolger Helmut Schmidt zu einem mehrfach verschobenen Treffen am Brandenburger Werbellinsee empfangen – und war nun seinerseits in die Bundesrepublik eingeladen worden. Doch zum Gegenbesuch kommt es erst gut sechs Jahre später.

Zwischen Konfrontation und Annäherung

Im Verlauf der 1980er-Jahre blockiert die Sowjetunion als "großer Bruder" der DDR den Ausbau der deutsch-deutschen Spitzentreffen – vor allem, weil die Aufstellung neuer US-Atomraketen in der Bundesrepublik den Kalten Krieg nach der Entspannung der 1970er-Jahre wieder anheizt. Erst als sich zwischen Moskau und Washington eine Annäherung abzeichnet, können Ost-Berlin und Bonn den Faden wieder aufnehmen. Dabei wird aber das Blockdenken noch bis zum Mauerfall 1989 den Rahmen setzen und so auch das Treffen im Herbst 1987 bestimmen.

Ein Staatsbesuch, der keiner ist

Nach langwierigen Vorbereitungen macht sich Honecker im September des Jahres 1987 auf den Weg und wird den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn erleben – obwohl beide Seiten das Treffen völlig unterschiedlich deuten. Für den SED-Generalsekretär und seine Partei bedeutet der "Arbeitsbesuch eines Staatsoberhaupts mit Exekutivgewalt" die nächste Stufe der Anerkennung der DDR als zweiten deutschen Staat durch die Bundesrepublik. Auf westdeutscher Seite betont man hingegen, dass es sich nicht um einen offiziellen Staatsbesuch handelt und möchte das Aufeinandertreffen mit Kohl als Mittel zum Zweck der Annäherung verstanden wissen – mit dem Ziel der Wiedervereinigung im Blick.

Wie Feuer und Wasser

Auf den Empfang Honeckers vor dem Bundeskanzleramt folgt am ersten Tag seines Besuchs ein Zusammentreffen mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker, auf das die DDR-Seite aus symbolischen Gründen bestanden hatte. Das westdeutsche Staatsoberhaupt heißt seinen Counterpart als "Deutschen unter Deutschen" willkommen und würdigt insbesondere seinen Widerstand gegen das NS-Regime. Nach anschließenden Gesprächen im Kanzleramt zeigen die live im west- und ostdeutschen Fernsehen übertragenen Tischreden von Kanzler Kohl und Honecker beim gemeinsamen Abendessen, wie weit beide Seiten in der Deutschlandpolitik auseinanderliegen. Der Bundeskanzler spricht vom "Bewusstsein für die Einheit der Nation" und fordert Honecker auf, die Mauer aus der Welt zu schaffen: "Die Menschen in Deutschland leiden unter der Trennung. Sie leiden an einer Mauer, die ihnen buchstäblich im Wege steht und die sie abstößt. Wenn wir abbauen, was Menschen trennt, tragen wir dem unüberhörbaren Verlangen der Deutschen Rechnung: Sie wollen zueinanderkommen können, weil sie zusammengehören." Honecker hält dem, auch mit Verweis auf den Weltfrieden, entgegen, "dass Sozialismus und Kapitalismus sich ebenso wenig vereinigen lassen wie Feuer und Wasser".

Brücken und Grenzen

Erich Honecker und Udo Lindenberg (1987)
Erich Honecker trifft Udo Lindenberg Bildrechte: imago/Sven Simon

In den folgenden Tagen trifft Honecker mit etlichen führenden Politikern und Wirtschaftsvertretern zusammen. Neben dem Ausbau der Handelsbeziehungen werden dabei vor allem mehr Zusammenarbeit in Wissenschaft und Kultur sowie neue Regelungen für den Reiseverkehr angebahnt. Am dritten Tag reist Honecker unter anderem nach Wuppertal und bekommt dort vor dem Friedrich-Engels-Haus von Udo Lindenberg eine E-Gitarre überreicht – mit der Aufschrift "Gitarren statt Knarren".

Am Tag darauf besucht Honecker zunächst das Geburtshaus von Karl Marx in Trier, was er als "besonderen Höhepunkt" seiner Reise bezeichnet, und anschließend seine saarländische Heimat. In seiner Geburtsstadt Neunkirchen sieht Honecker seine jüngere Schwester wieder und geht an das Grab seiner Eltern. Es ist wohl Sentimentalität, die ihn hier von einer zukünftigen Öffnung der innerdeutschen Grenzen sprechen lässt:

Dass unter diesen Bedingungen die Grenzen nicht so sind, wie sie sein sollten, ist nur allzu verständlich. Aber ich glaube, wenn wir gemeinsam hinwirken, […] dann wird auch der Tag kommen, an dem Grenzen uns nicht mehr trennen, sondern Grenzen uns vereinen – so wie uns die Grenze zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Volksrepublik Polen vereint.

Spielräume des Machbaren

Am 11. September trifft Honecker schließlich noch mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß in München zusammen, bevor er nach Berlin-Schönefeld zurückfliegt. Nachdem eben jener Strauß vier Jahre zuvor einen Milliardenkredit an die DDR vermittelt hatte, war klar, dass Honecker als Schuldner der Bundesrepublik während seiner Reise auf Provokationen verzichten würde. Vielmehr hatte Ost-Berlin vor allem durch die offizielle Abschaffung der Todesstrafe in der DDR schon zwei Monate zuvor seinen guten Willen gezeigt. Die Atmosphäre war während der fünf Septembertage dennoch verkrampft – zu viel stand vor allem für die Menschen im Osten auf dem Spiel. Für sie blieb der direkte Nutzen des Besuchs allerdings weitgehend auf einige Reiseerleichterungen beschränkt.

In den Medien beider Seiten spiegelte sich vor allem die Realität der Zweistaatlichkeit, die während des Besuchs so augenfällig war wie sonst nur entlang der innerdeutschen Grenze und insbesondere der Berliner Mauer. Beobachter sahen dabei in erster Linie einen Triumph Honeckers, den dieser auch als solchen verstanden wissen wollte – obwohl er das Ziel einer offiziellen Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft verpasste.

In der Nachlese hob man beiderseits die Unvereinbarkeit der politischen Systeme hervor – doch unter dem Strich war der Honecker-Besuch ein wichtiger Schritt der Annäherung auf dem Weg zur Wiedervereinigung drei Jahre später. Hätte man diese bereits absehen können, wäre es zu dem Besuch aber vermutlich gar nicht mehr gekommen. In der Wendezeit reist mit der Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl noch ein zweites DDR-Staatsoberhaupt nach Bonn – doch das bleibt im Vergleich eine Fußnote der Geschichte des geteilten Deutschlands.

Über dieses Thema berichtete MDR im TV auch in "MDR um 4" 23.06.2013 | 16.00 Uhr