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Konflikt zwischen Politik und WissenschaftVeröffentlichung der Göttinger Erklärungvon Ole Steffen

12. April 2017, 11:21 Uhr

Am 12. April 1957 richten sich achtzehn Physiker aus der Bundesrepublik Deutschland an die Regierung Adenauer, um die Aufrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen zu verhindern. Die als Göttinger Erklärung bekannt gewordene Stellungnahme hat weitreichende politische und gesellschaftliche Folgen.

Selten rücken Wissenschaftler von ihrer neutralen Position ab und beziehen von sich aus Stellung zu politischen Themen der Zeitgeschichte. Das liegt an der Objektivität, die ihrer Rolle im gesellschaftlichen Diskurs zugeschrieben ist. Die Gegenwart kann jedoch die öffentliche Haltung von Forschern herausfordern.

Scheinbar kein Grund zur Sorge

Frühling 1957 - Konrad Adenauer ist seit acht Jahren Bundeskanzler. In fünf Monaten soll er wieder für die Christdemokraten zur Bundestagswahl antreten. Deutschland geht es gut. Das Wirtschaftswunder ist voll in Gange, der Bundeshaushalt ausgeglichen, die Menschen sind beschäftigt. Am 25. März 1957 wird die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet. Gleichzeitig nimmt auch die Europäische Atomgemeinschaft ihre Arbeit auf. Scheinbar kein Grund zur Sorge. So will es zumindest die Regierung verkaufen. Innenpolitisch geht mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge jedoch die brisante Frage einher: soll die Bundeswehr mit Atomwaffen ausgestattet werden? Konrad Adenauer bringt mit einer Aussage zu dieser Debatte einen größeren Stein ins Rollen als vermutlich beabsichtigt:

Die taktischen atomaren Waffen sind im Grunde genommen nichts Anderes als eine Weiterentwicklung der Artillerie und es ist ganz selbstverständlich, dass bei einer so starken Fortentwicklung der Waffentechnik wir nicht darauf verzichten können, dass unsere Truppen auch die neuesten Typen haben und die neueste Entwicklung mitmachen... 

Konrad Adenauer

Heute würde man sagen, dass diese in einer Presseerklärung getätigte Aussage für einen Aufschrei sorgt. Im sogenannten Ausschuss Kernphysik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft rumort es. Auf Anlass von Carl Friedrich von Weizsäcker wird im April 1957 eine Erklärung verfasst, die gegen eine Aufrüstung der Bundeswehr Stellung bezieht. Der Name der Erklärung rührt daher, dass ein Großteil der Unterzeichner aus Göttingen stammt. Die ehemaligen oder gegenwärtigen Göttinger Max Born, Otto Hahn, Werner Heisenberg, Max von Laue und Wolfgang Paul unterzeichnen die Erklärung mit 12 weiteren Forschern.

Die Forscher kritisieren primär die verharmlosende Darstellung der sogenannten taktischen Atomwaffen. Diese haben "eine ähnliche Wirkung wie die erste Atombombe, die Hiroshima zerstört hat", so die Forscher. Insofern seien sie nicht eine "bloße Weiterentwicklung der Artillerie", wie Adenauer es formuliert, sondern zerstörerisch. Sekundär warnen die Forscher auch vor der Gefahr, die von dem Besitz von Wasserstoffbomben ausgeht, den sogenannten “strategischen Bomben“.

Die Forscher betonen, dass sie eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft verspüren. Ihre Tätigkeit beziehe sich nicht nur auf die Wissenschaft, sondern auch auf die Anwendung der selbigen.  Daraus ergebe sich eine "Verantwortung über die möglichen Folgen der Tätigkeit." Deshalb könne man "nicht zu allen politischen Fragen schweigen."

Auch die Studenten unterstützen die Haltung ihrer Professoren und sammeln Unterschriften. Die Kampagne Kampf dem Atomtod ist eine direkte Folge dieser politischen Entwicklung in der Bundesrepublik. Sie wird als Vorläufer der 68er-Studentenbewegung betrachtet.

Reaktionen auf Göttinger Erklärung auch in der DDR

Das nun stattfindende große Medienecho hören auch die Physiker in Dresden. Auf eine erste „Dresdner Erklärung“ folgt am 17. April, also fünf Tage nach der Veröffentlichung in der BRD, eine Resolution der Physikalischen Gesellschaft der DDR „gegen Atomwaffenversuche, die Entwicklung von Atomwaffen und für die friedliche Nutzung der Atomenergie.“ In den kommenden Tagen folgen zudem Erklärungen der Universitäten in Greifswald und Jena.